Was ich nun über Hubertus Giebe berichten kann, ist kein Porträit, was kunstgeschichtlichen Ansprüchen vollumfänglich gerecht werden könnte. Es ist eine Zusammenfassung von Eindrücken aus Begegnungen, Eindrücken beim Betrachten seiner Bilder, Atelier- und Ausstellungsbesuchen und natürlich den Wirkungen von Veröffentlichungen über ihn und seine Arbeit auf mich als Sammler.
Begegnet sind wir uns erstmalig im Juni 1986 in seinem Atelier in Dresden. Mit Karin Thomas vom DuMont Buchverlag und dem Direktor des staatlichen Kunsthandels der DDR Rüdiger Küttner war ich bei einer Auswahlreise zu der vereinbarten Ausstellung „Menschenbilder – Kunst aus der DDR“, die im selben Jahr noch in der Bundesrepublik auf mehreren Stationen gezeigt werden sollte. Freundlich und dabei sehr zurückhaltend hat uns Giebe seine Arbeiten präsentiert, aber nicht etwa versucht, zu erklären und zu deuten. Wir waren beeindruckt, nicht nur von seinem Schaffen. Gerhard Kettner, damals Rektor der Hochschule in Dresden und Schwiegervater von Giebe, was ich erst später erfahren habe, hat ihn bei dieser Begegnung mit leiser Ironie und kaum bemerkbaren Skepsis zu manchen seiner Arbeiten begleitet. Er hatte ihm wohl nicht ganz verziehen, dass er sich 1976 aus dem Hochschulbetrieb in Dresden verabschiedet hatte und schließlich ein externes Diplom an der Hochschule in Leipzig abgelegt und anschließend Meisterschüler bei Bernhard Heisig war. Die Leipziger Schule und die Dresdner Maltradition haben sich immer gebissen.
Menschlich sind wir uns bei einem gemeinsamen Essen in unserem Haus in Meckenheim zusammen mit Werner Stötzer und Gerhard Kettner am Tag nach der Ausstellungseröffnung „Menschenbilder“ im November 1986 begegnet. Weil meiner Frau und mir nichts Besseres einfiel und wir in einem Anflug von westdeutschem kulinarischen Überlegenheitsgefühl dies für angebracht hielten, wurde eine ordentliche Seite schottischer Räucherlachs auf den Tisch gestellt. Das kam an und wurde in der Folgezeit als ein legendäres Ereignis im Gedächtnis bewahrt. Stötzer und Kettner rauchten ununterbrochen dicke Zigarren, die uns in dichten Nebel hüllten. Zugegeben, wir tranken auch Wodka und Bier. Der dichte Qualm und Alkoholisches haben uns nicht an tiefgehenden Betrachtungen gehindert und auf alle Fälle die Türen zu ungetrübter künftiger Kommunikation geöffnet.
Die Ausstellung mit elf Künstlern aus der DDR hat mir persönlich erste repräsentative Einblicke in die Szene der bildenden Künste in der DDR verschafft. Dabei ist mir schnell die singuläre Rolle des Künstlers Giebe in der ganzen Palette der gezeigten und aus Bildarchiven gesehenen Arbeiten klar geworden.
Giebe hat sich mit der von ihm illustrierten Figur von „ Oskar dem Trommler“aus der Blechtrommel von Günther Grass ein Alter Ego geschaffen. Der kleine Mensch „Oskar“ mit der rot-weiß gestreiften umgehängten Trommel ist ein in vielen Grafiken und Gemälden auftauchendes Sinnbild für die Weigerung des Individuums, sich klaglos mörderischen Tendenzen zu unterwerfen. Mit seinen Grafiken und Bildern, zumal mit den Geschichtsbildern, schlägt er die Trommel gegen das Vergessen. Nicht nur damit ist Giebe zum „Oskar“ in der heutigen Szene der bildenden Künste in der Bundesrepublik geworden, in der Auseinandersetzung über die Missachtung von Traditionen und Entwicklungslinien zu Gunsten von durch Oekonomie geprägter Beliebigkeit. Klein gemacht , wie Oskar, hat er sich dabei nie. Sein umfassendes Wissen in den Bereichen Kunst und Literatur ist fast schon legendär und macht ihn zu einem sehr geschätzten Gesprächspartner und gelegentlich auch zu einem gefürchteten Kritiker zeitgenössischer Trends.
Geboren wurde er 1953 in Dohna bei Dresden. Nach dem Abitur und Wehrdienst folgte das Studium der Malerei und Grafik ab 1974 an der Dresdner Hochschule und 1978 mit einem externen Diplom an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Anschließend war Giebe für ein Jahr Meisterschüler bei Bernhard Heisig an dieser Hochschule, was für seine weitere künstlerische Entwicklung von erheblicher Bedeutung war.
Ab 1979 war Giebe beruflich in der Hochschule für bildende Künste Dresden zunächst als Assistent für Malerei und Grafik und ab 1982 gemeinsam mit Johannes Heisig, dem Sohn des „Malerfürsten“ Bernhard Heisig, als Leiter des künstlerischen Grundlagenstudiums tätig. Von 1987 bis 1991 war er dort Dozent für Malerei und Grafik, Leiter einer Fachklasse und zuletzt Prorektor der Hochschule. Der nach der Wende einsetzende Bildersturm und die entfesselte Personalpolitik gegen die fachlich qualifizierten vorhandenen Kräfte in allen Institutionen des Kulturbetriebs in der ehemaligen DDR festigte bei Giebe den Beschluss, bei der Hochschule auszusteigen und sich sein Brot fortan als freischaffender Künstler zu verdienen. Unterbrochen hat er diese Phase nur durch eine Vertretungsprofessur für Malerei 2004 an der Universität Dortmund.
Nach zahlreichen Ausstellungsbeteiligungen im In – und Ausland war die Einzelausstellung „Geschichtsbilder“ auf der 44. Biennale di Venezia in Venedig 1990 der erste ganz große Erfolg. Sein kritischer Blick in die Geschichte und der Versuch einer bleibenden Deutung vergangener Ereignisse für die Zukunft sind zur Leitlinie seines bildnerischen Anliegens geworden. Im selben Jahr folgte eine Ausstellung in der Raab Gallery, London, und die Teilnahme an der „Chicago International Art Exposition“. In dichter Folge ergaben sich weitere bedeutende Beteiligungen und Einzelausstellungen: 1996 „Oskar Kokoschka und Dresden“ in der Gemäldegalerie Neue Meister, Dresden und Wien sowie die Einzelausstellung in der staatlichen Belinskij-Bibliothek in Jekatarinenburg, 2003 Retrospektive im Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg,sowie „Schein und Schock“ 216, Städtische Galerie Dresden.
Seine Werke befinden sich u.a. in folgenden öffentlichen und privaten Sammlungen:
- Kunstsammlung des Deutschen Bundestages,
- Deutsches Historisches Museum,
- Staatliche Museen zu Berlin, Neue Nationalgalerie und Kupferstichkabinett,
- Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn,
- Slowakische Nationalgalerie, Bratislava
- Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister, Kupferstichkabinett,
- Lehmbruck Museum, Duisburg,
- Kunsthalle Emden,
- Deutsches Plakat Museum, Essen
- Sammlung Lothar-Günther Buchheim, Feldafing,
- Deutsche Nationalbibliothek, Frankfurt am Main,
- Stiftung Moritzburg Halle-Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt,
- Sprengel Museum, Hannover,
- Museumslandschaft Hessen Kassel, Museum Schloss Wilhelmshöhe,
- Sammlung Wolfgang Majer, Königsstein/Taunus,
- Deutsche Nationalbibliothek, Leipzig,
- The British Museum, London,
- Ball State University, David Owsley Museum of Art, Indiana/ USA
- Sammlung Priscilla und Gerardo Joffe, San Francisco, USA
- Sammlung Margaret Boyd, San Francisco, USA,
- Kunsthalle Rostock,
- Ludwig-Museum im Russischen Museum St. Petersburg
und zahlreiche weitere Sammlungen. Neben anderen Preisen erhielt er 2007 den Wilhelm-Morgner-Preis der Stadt Soest und 2020 den FALKENROT PREIS des Künstlerhauses Bethanien, Berlin.
Ohne dies direkt zu sagen, geht es in dem Werk von Giebe wie ein roter Faden um das Wesen des Individuums unter der Bedrückung von ideologischen Deformationen und dem Terror von Krieg und Gewalt. Sein Kampf gegen die Macht und Dominanz der Ökonomie des westdeutsch geprägten Kunstmarktes dauert bis heute an. Anders als bei Film und Theater waren die bildenden Künstler aus der ehemaligen DDR als Konkurrenten der Etablierten aus dem Westen Deutschlands einem maliziösen Verdrängungswettbewerb ausgesetzt, der an der Behauptung ideologischer Bindung an das Regime festgemacht wurde. Ganz langsam setzt sich im allmächtigen Kunstbetrieb nun die Erkenntnis durch, dass malerische und künstlerische Qualität der „Ostmaler“ sich auf Dauer nicht ausklammern lassen. Diese Erkenntnis wird wohl auch durch das Ausscheiden alter Konkurrenten aus dem westdeutschen Kunstmarkt und einen immer deutlicher werdenden Mangel an künstlerischem Nachwuchs aus den Akademien gefördert.
Wenn Giebe von Geschichtsbildern spricht, meint er nicht etwa die sattsam bekannten Historienbilder mir den Größen der Geschichte oder den Schlachtengemälden. Gemeinsam mit diesen ist nur die rückwärtsgewandte Betrachtung. Er leitet allerdings mit vielerlei versteckten Hinweisen und Metaphern auf mögliche Schrecknisse in der Zukunft hin. Initialzündung für diese Bildkunst aus der Geschichte war nach meinem Eindruck die Beschäftigung mit Peter Weiss und der Ästhetik des Widerstandes. Daraus entstand 1986 sein viel beachtetes großes Gemälde der „Widerstand – für Peter Weiss“, jetzt im Besitz der Neuen Nationalgalerie zu Berlin. Für Giebe war es eine große Genugtuung und Würdigung, dass dieses Bild 2002 in der Nationalgalerie gegenüber dem „Flandernbild“ von Dix seinen spektakulären Platz fand. Der Einfluss dieses Bilderzyklus auf die Künstler der jüngeren Generation aus der ehemaligen DDR kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Die malerische und grafische Sprache von Giebe ist in allen Werken singulär wie der Künstler selbst in seiner Bedeutung für die Kunstgeschichte. Auch in den Bildern von Frauen und den Akten, die Egon Schiele um Nichts nachstehen, ist sein nichts beschönigender Blick stets sichtbar. Bei den Landschaftsbildern, in den letzten Jahren vor allem von der Nordseeküste, ist trotz kühler Strenge und archaisch anmutenden Motiven ein Schuss Romantik erkennbar. Ähnliches gilt für die Arbeiten aus und über seinen wunderbaren Garten in Dresden, die mit einer außerordentlichen Farbvielfalt zu den einzelnen Jahreszeiten beeindrucken.Das scheint für ihn Erholung von der Auseinandersetzung mit den Widerwärtigkeiten aus Vergangenheit und Gegenwart zu sein. Eindrucksvoll sind sie allemal, wie dies schon Dix in seinen späten Arbeiten gezeigt hat.
Hinweis zu den Bildrechten: Selbstbildnis Hubertus Giebe: Galerie Himmel, Dresden. Gartenbild: Galerie Rosemarie Bassi, Remagen.