München am 8. November 1939 um 21.20 Uhr: Im Bürgerbräu-Keller ging in diesem Moment die alljährliche Kultveranstaltung der NSDAP zu Ehren der Toten des misslungenen Putsches von 1923 zu Ende, als eine gewaltige Detonation mit einer riesigen Stichflamme die Decke des Raumes einstürzen ließ. Der Leiter der Propagandatechnik beim Reichsautozug, Emil Wepfel, gab später zu Protokoll: „Plötzlich war um uns ein kurzer, greller Feuerschein. Im gleichen Augenblick hörten wir einen entsetzlichen Knall. Ich wurde etwa zwei Meter nach rückwärts geschleudert, fiel auf die Trümmer und dann brach es prasselnd und krachend über mich hinein.“
Die Trümmer hätten 15 Minute früher den Redner Adolf Hitler und seine neben ihm sitzenden Paladine, dr Joseph Goebbels (Reichsminister für Propaganda und Volksaufklärung), Rudolf Hess (Partei-Stellvertreter Hitlers) und Alfred Rosenberg (NS-Ideologie) treffen sollen. Aber die Verbrecher entkamen. Acht Menschen, die Kellnerin Maria Henle und sieben „alte Kämpfer“ und Blutordensträger starben unter der eingestürzten Decke. In einem Beitrag über den Staatsakt zu Ehren der Getöteten berichtete ein Reporter, sie alle waren „glühende“ Verfechter der Ideen des Führers. Noch in derselben Nacht ließ Goebbels über alle Medien denn vom erfolgreichen Angriffskrieg gegen Polen berauschten deutschen eintrichtern, dass es eine „göttliche Vorsehung“ war, die den Führer gerettet hätte. Die Wahrheit war profaner: Wegen des aufkommenden Novembernebels riet Hitlers Flugkapitän Baur von einem Flug ab. Der Diktator nahm einen Sonderzug, der 21.20 Uhr den Münchner Hauptbahnhof verließ. Er wollte ohne weiteren Zeitverlust in Berlin sein, um mit Generalstäblern der Wehrmacht Vorbereitungen für einen Angriff auf Frankreich zu planen. Goebbels ließ außerdem kolportieren, dass die Drahtzieher des Attentats der britische Geheimdienst in Zusammenarbeit mit dem in die Schweiz emigrierten Otto Strasser wären. Dieser einstige Repräsentant des sozialistischen Flügels der NSDAP hatte bereits 1930 mit Hitler gebrochen. Er bekämpfte das Regime aktiv aus dem Ausland. Doch noch ehe die Bombe explodierte, Verhafteten die Zöllner Waldemar Zipper und Xaver Rieger bei Konstanz Johann Georg Elser wegen illegalen Grenzübertritts 25 Meter vor der Schweiz.
Bis 1945 versucht in SS und Gestapo aus Elser mit Hilfe alle denkbaren Foltermethoden irgendwelche Namen herauszupressen. Der kleine, schmächtiger Mann aus Königsbronn in Württemberg ließ sich auch durch Pervitin-Spritze der Nazi-Ärzte nicht brechen.
Woher nahm der kleine Schorsch, wie er in seiner Heimat und es später auch im KZ genannt wurde, diese moralische Kraft und Zähigkeit? Er durchlebte in Königsbronn eine harte Kindheit. Der Vater, ein alkoholsüchtiger, gewalttätiger Holzhändler, die Mutter eine gläubige, fleißige Protestanten, deren einziger Freizeit darin bestand, in die Bibelstunde zu gehen. Sie erzog alle vier Kinder im christlichen Glauben und Betriebe eine kleine Landwirtschaft, in der ihr Ältester Johann Georg schon früh arbeiten musste. Trotz der Schläge des Vaters blieb er folgsam und wurde ein guter Schüler. In der Heidenheimer Gewerbeschule erhielt er drei Belobigungen und schloss seine Schreinerlehre als Jahrgangsbeste ab. Hellmut G. Haasis schrieb in der Elser-Biografie: „In der trostlosen Familienerfahrungen dürfte Georgs starkes Gerechtigkeitsempfinden gründen: das tragende Motiv seiner antinazistischen Einstellung.“
Der ruhige, feingliedrige junge Mann mit der damals unüblichen gewellten Künstlerfrisur galt in seinem Heimatort als freundlich, arbeitsam und vor allem hilfsbereit. In seiner knappen Freizeit widmete er sich der Kunstschreinerei, zum Beispiel der Herstellung feiner Intarsienarbeiten. In dem Königsbronner Zither-Club und seinem Stammlokal, wo er darauf bestand, immer auf demselben Platz zu sitzen, galt er als liebenswert, gesellig, aber auch eigenwillig. Am liebsten beobachtete er -meistens lächelnd – seine Umgebung. Nur wirklich guten Freunden öffnete er seine Gedanken.
Anfang Mai 1925 erfüllte Elser sich seinen Traum von der Befreiung aus der heimatlichen Enge, indem er am Bodensee auf Wanderschaft ging. So arbeitete der fleißige Schwabe zum ersten Mal in seinem Leben nur so viel, wie er selbst zum Leben benötigte. Die Naturerlebnisse am Ufer des Bodensee bedeuteten dem sparsamen Elser mehr als Geld. Während seiner Tätigkeit in einer Uhrenfabrik fand er Anschluss ans linke Milieu und trat in Konstanz In die Holzarbeitergewerkschaft ein.
Ab 1929 fuhr der junge Mann, der sich als Autodidakt ständig beruflich weiterentwickelte, mit dem Fahrrad fünf Kilometer ins schweizerische Bottighofen zur Schreinerei Schönholzer. Wegen seines Arbeitseifers, Kompetenz in seinem Beruf und der Bereitschaft, Überstunden zu leisten, erlaubte ihm sein Arbeitgeber, dass er bei schönem Wetter nur abends oder nachts arbeiten durfte. Den Tag verbrachte er dann mit Schwimmen oder lag am Ufer im Gras und beobachtete die vorbeiziehenden, silbern glänzenden Zeppeline aus Friedrichshafen. Als Mitglied des Abstinenzler-Vereins von Kreuzlingen, wo die Frauen in der Mehrheit waren, wurde der elegante, hübsche junge Mann mit dem „Strunz- Tüchlein“ in der Jacken bald der Hahn im Korb. Er verliebte sich in Mathilde Niedermann und zeugte ein Kind mit ihr, trennte sich aber als er sich hintergangen fühlte.
Sein Freund Josef Schurr schrieb am 3. Februar 1947 über diese Zeit in der „Ulmer Zeitung“: „Wer diesen Krieg nicht kommen sah, war politisch blind.“ Von da an hörte Elser nicht mehr auf die gut gemeinten Ratschläge derer, die ahnten, dass er etwas vorhatte. Er kümmerte sich auch nicht um Organisationen, denen er sowieso misstraute. Elser musste viele persönliche Opfer bringen um das Attentat vorzubereiten. Er schuftet in einem Steinbruch, um an Dynamit zu kommen, und dann in einer Rüstungsfabrik, um sich Zündkapseln zu beschaffen. Seine Umgebung wunderte sich nur darüber, dass er in schlecht bezahlten Berufen arbeitete und sich immer stärker von ihnen zurückzog. Aber er verschloss seine Augen nicht, als Juden durch die Straßen getrieben wurden. Er hörte von den Bomben auf Unschuldige im spanischen Guernica und Warschau und hatte als einer der Wenigen in Deutschland eine Ahnung von der Singularität der Verbrechen, die im Namen Deutschlands von den Nationalsozialisten begangen wurden. Seinen außerordentlichen Mut bezahlte Georg Elser (bis dahin als Sonderhäftling des Führers) am 19. April 1945 im KZ Dachau mit dem Leben. Auch in der Nachkriegszeit blieb dem stillen Helden die Anerkennung für seine Tat bis heute versagt. Darum schlug der Dramatiker Rolf Hochhuth dem regierenden Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit vor, zum 70. Jahrestag des Attentats im Regierungsviertel ein Denkmal für Georg Elser zu errichten. Obwohl der Zigarettenerbe Philipp Reemtsma sofort anbot das Projekt zu finanzieren, wurde Hochhuths Vorschlag bis jetzt ignoriert.
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