Das Statistische Bundesamt hat im Mikrozensus 2013 (1), der jährlichen größten Haushaltsbefragung in Deutschland, die Fakten über die Lebensform zusammengetragen. Die Ergebnisse lassen sich schnell auf einen Nenner bringen: das traditionelle Familienmodell der verheirateten Eltern mit einem oder zwei Kindern ist auf dem absteigenden Ast. Waren vor 20 Jahren noch gut 81% der Familieneltern verheiratet, sind es mittlerweile nur noch 71%.
Eine Überraschung ist diese Entwicklung ja schon länger nicht mehr. Das traditionelle Familienmodell ist auf dem Rückzug. So ist Berlin schon lange mit bald 33% die „Hauptstadt der alleinerziehenden Väter und Mütter“ und auch der Bundesdurchschnitt wird mit mittlerweile 20% der Familien als alleinerziehende Eltern immer größer.
Mit den Mikrozensusergebnissen wird der Wandel von den Bundesstatistikern registriert .Viele Akteure in der Politik und Meinungsmacher in den Medien scheinen erst den Beleg für diese Entwicklung, schwarz auf weiß, zu brauchen. „Familien 2013: Ehepaare noch dominierend, aber rückläufig“ hat das Bundesamt vorsichtig seine Pressemitteilung getitelt. Trotz dieser Erkenntnis hat man dennoch den Eindruck, dass diese Entwicklung bei den Entscheidern immer noch nicht so richtig „angekommen“ ist.
Für „Alarmstimmung“ ist zwar keinerlei Grund. Aber der dauernde Hinweis auf eine gesellschaftliche Entwicklung, die rasant an Fahrt aufnimmt, reicht für eine wirklich tiefgreifende Auseinandersetzung und daraus entstehender politischer Handlungsoptionen nicht aus. Im Zusammenleben der Menschen spiegelt sich der Veränderungsprozess unserer Gesellschaft wieder. Das hat nicht nur Auswirkungen auf das Miteinander in einem Gemeinwesen, sondern konkret auf die Fragen der Arbeitswelt, der Wirtschaft, der Infrastruktur, der Bildung oder auch auf die Fragen des Wohnens oder der Ernährung. Die vielen Berührungspunkte, die sich hier zeigen, machen klar, dass die nüchterne Feststellung einer Zahl Signal für die Politik sein muss, sich auch politikfeldübergreifend mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.
Aber gerade in der Familienpolitik stehen immer noch zu oft die Ideologen auf der Bühne. Einer hat sich jüngst wieder mit wohlgesetzten Worten und spitzer Zunge zu Wort gemeldet: Norbert Blüm, sechzehn Jahre Bundesarbeits- und Sozialminister unter Helmut Kohl. Er hat „den Staat“ und „die Justiz“ als Grund allen Übels für diese Entwicklung ausgemacht. Der Staat habe „die Ehe zu einem Bündnis auf Zeit“ (2) gemacht. Das Familienrecht, sei zu einer „Art Insolvenzrecht ohne Nachhaltigkeit und Verantwortung verkommen“. Wohlfeil schwingt der Ex-Minister die PR-Keule und trommelt gleichzeitig für sein neues Buch. Blüm propagiert ein Familienbild, das mit der gelebten Wirklichkeit so nicht mehr zur Deckung zu bringen ist.
Die Anforderungen an die heutigen Familien sind andere und zu den Familien zählen eben nach dem Statistischen Bundesamt alle Eltern-Kind-Gemeinschaften, bei denen mindestens ein minderjähriges Kind im Haushalt lebt und zu den Kindern zählen dabei – neben leiblichen Kindern – auch Stief-, Pflege- und Adoptivkinder. Die Ehe ist also keine Voraussetzung für ein gelingendes Familienleben – auch wenn uns das Norbert Blüm subkutan mitteilen will, wenn er uns die Ehe, die nicht nach einem Trennungsjahr beendet werden kann, als vermeintlich fortschrittlich verkaufen will. Mehr noch, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wie sie nun zunehmend auch im Arbeitsleben thematisiert wird, wird als reine Reduktion auf die Ökonomie abqualifiziert (3). Es ist klar, wie Familie hier argumentativ gestrickt wird. Als „Kitt für den Zusammenhalt in der Gesellschaft“ darf sie immer herhalten. Selbstverständlich in geordneter Form: Vater-Mutter-Kind und natürlich verheiratet.
Wenn aber aus der Familie heraus Ansprüche an die Gesellschaft und die Politik formuliert werden, hört es auf, mit der Anerkennung und dem Loblied auf Ehe und Familie. So wird auch klar, dass die Forderung nach einer gleichberechtigten Partnerschaft in Berufs- und Familienarbeit, ein Projekt, dem sich Bundesfamilienministerin Schwesig (4) verschrieben hat, mit dem Verweis auf die „Privatheit“ und einem kräftigen Schuss rückwärtsgewandter Argumentation umgehend in Frage gestellt wird. Wenn Sie denken, hier wird die Diskussionslandschaft aus den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts beschrieben, dann gönnen Sie sich einfach einen Blick in die aktuelle Diskussion um die Frage der Vereinbarkeit und Gleichstellung von Frauen in der Wirtschaft (5). Eine Posse um „das Risiko Frau“ für die deutschen Unternehmen, die dann wohl selbst der Bundeskanzlerin zu viel wurde: „Das Gesetz für die Frauenquote kommt.“
Hinter den Zahlen des Statistischen Bundesamtes steckt eine klare Botschaft an die Politik: Wenn die politische Entwicklung mit der gesellschaftlichen Realität der Familien mithalten will, muss mehr Tempo gemacht werden. Da reicht es nicht mehr, auf die wachsende Zahl der alleinerziehenden Eltern und deren Armutsrisiko hinzuweisen. Konkrete Schritte zur Vereinbarkeit gerade für diese Familien sind ebenso wichtig wie die Frage nach Bildung und Ausbildung für die Kinder und Jugendlichen in den Familien. Gerade eine große Koalition müsste dazu in der Lage sein über den „Tellerrand der Ressorts“ zu schauen, um gemeinsam die Probleme anzupacken.
Vor Ort ist man da an vielen Stellen schon weiter. Wenn sich zum Beispiel fünf Ruhrgebietskommunen in dem Projekt RuhrFutur der Stiftung Mercator (7) zusammentun, um ihre Ganztagsangebote in Grundschulen auszubauen oder das in ganz Deutschland brennende Thema „Schulabbrecher“ in den weiterführenden Schulen gemeinsam in Angriff zu nehmen, dann wird hier praktisch gezeigt, dass auch über bestehende Strukturen hinaus nach guten Lösungen gesucht werden kann.
Ehe ist also „out“? Selbst wenn sich der Trend bei der Ehe als Auslaufmodell fortsetzt, eines hat der Mikrozensus gezeigt: Familie ist immer noch „in“. Bei Jugendlichen steht sie als Lebensform ganz oben an – und zwar in aller Vielfalt, egal ob verheiratet, unverheiratet, als Patchwork oder Regenbogenfamilie. Das ist – ganz nebenbei – die gute Botschaft des Mikrozensus für die Landespolitiker in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Berlin. Denn hier ist die Zahl der Ehepaare in den Familien mit 51% am niedrigsten in Deutschland.
Jetzt muss die Politik das Signal aufnehmen und Familien in jeder Lebensform nicht mehr nur scheibchenweise, sondern effektiv und mit geballter Ressortkompetenz der vielen Politikbereiche unterstützen. Ein erster wichtiger Schritt wäre die Abschaffung des Ehegattensplittings. Wenn dies geschieht, dann hat sich die Aufregung um das vermeintliche „Ende der Ehe“ schon gelohnt!
Quellen:
[3]http://www.zeit.de/2012/42/Ehe-Familie-Karriere
[4]http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/gleichstellung,did=210002.html
[5]http://www.welt.de/wirtschaft/article124567579/Topmanager-wehren-sich-gegen-Frauenquote.html
[7]http://www.ruhrfutur.de/ueber-uns/die-initiative/
Bildquelle: Bundesarchiv Bild 183-E0711-0011-001, Lütten-Klein, Blick in ein WohnzimmerCC-BY-SA-3.0-de
Der Ast ist schon fast durch. Eine Kleinstadt mit 25000 Einwohnern in NRW meldet in vier Jahren den Rückgang von fast 500 Schülern. Am 01.08.2010 waren 3496 Schüler an den Schulen gemeldet. Zum Ende des Schuljahres 2013/2014 betrug die Schülerzahl 3026 Schüler. Wobei der Einwohnerzahl fast konstant ist. Allerdings geht die Alterspyramide weiter nach oben. Wo führt das hin?