[hr gap=“null“]Bequem war sie nie, die Politikerin Hildegard Hamm-Brücher, auch und gerade nicht für die FDP, der sie über 50 Jahre angehört hatte. Und die sie verließ wegen antisemitischer Äußerungen von Jürgen Möllemann. Das konnte sie nicht ertragen, dass mit solchen Gedanken in ihrer Partei gespielt wurde, weil man auf Stimmensuche ging. Nein, das war eindeutig zu viel für Hildegard Hamm-Brücher, die selber Halbjüdin gewesen war und deswegen einiges hatte erleiden müssen. 95 Jahre ist sie gerade geworden.
In der Öffentlichkeit hatte man sie kaum noch gesehen. Jetzt beim Trauergottesdienst im Alten Peter in München für den vor ein paar Tagen verstorbenen ehemaligen Münchner Oberbürgermeister Georg Kronawitter(SPD) schob sich die frühere Grande Dame der Liberalen, die Ehrenbürgerin der bayerischen Metropole, in ihrem Rollator an den Sarg des Toten heran, mit dem sie vieles verband, den sie schätzte, diesen knorrigen und eigenwilligen Sozialdemokraten der alten Schule, wenn man so will. Die SPD, so wird der heutige, umstrittene Parteichef Sigmar Gabriel zitiert, habe es Kronawitter nicht leicht gemacht, aber er ihr auch nicht. So war es auch im Fall von Hamm-Brücher und der FDP, beide waren sie keine verkopften Ideologen, sie folgten vielmehr ihren Ideen und Idealen und kümmerten sich dabei wenig um die engeren parteipolitischen Linien.
Rassengesetze der Nazis treffen die Halbjüdin
Wer sie einst im Bonner Bundestag erlebt hat, bezeugte dieser Politikerin den nötigen Respekt, gleich, wo er parteipolitisch stand. Denn sie kämpfte für ihre Ideen, für Freiheit, für Frieden, für die Demokratie, ja selbstverständlich auch für Frauenrechte. Und sie bekam die arrogante und machtbewusste Männerwelt zu spüren, die in ihren Hinterzimmer-Runden Mehrheiten auskungelten und ihre Machtspiele betrieben. Frauen in Führungspersonen, das gibt es in der Politik heute öfter als früher, Beispiel Merkel, Beispiel Kraft, in der Wirtschaft ist das aber weiterhin ein Feld, auf dem Frauen selten genug entsprechend ihren Fähigkeiten Spitzenpositionen einnehmen.
Geboren ist Hamm-Brücher 1921 in Essen, aufgewachsen in Berlin, im Alter von zehn Jahren verliert sie ihre Eltern, wächst bei der Oma in Dresden auf und lernt eine der brauen Hochburgen dieser schlimmen Zeit kennen. Dass sie Halbjüdin ist, erfährt die preußische Protestantin erst, als die Nürnberger Rassegesetze das Leben in Nazi-Deutschland schlagartig verändern. Ihre Freundinnen dürfen sie nicht mehr besuchen, vom Schwimmunterricht wird die Leistungsschwimmerin Hildegard ausgeschlossen. Das Schullandheim darf sie auch nicht mehr besuchen.
Ein Dekan der Uni mit NS-Gesinnung
„Das kriegt man nicht mehr aus dem Kopf und dem Herzen, wie die Deutschen damals waren“, sagt sie über die NS-Zeit. Im Internat auf Schloss Salem macht sie das Abitur, bei der Immatrikulation an der Ludwig-Maximilian-Universität in München macht ihr NS-Dekan Wüst „wegen ihrer nichtarischen Abstammung“ Schwierigkeiten und im Übrigen seinem Namen alle Ehre, wie sie diesen Nazi später beschreibt, der sich „in seiner NS-Gesinnung von niemandem in der Uni übertreffen ließ“ .
Jahre später nimmt sich geliebte Oma in Dresden das Leben nimmt, weil sie ins KZ Theresienstadt deportiert werden soll, eine Frau, die an Stöcken geht und sich nicht mehr allein an- noch ausziehen kann. Als die Oma im Sterben liegt, muss Hildegard mit anhören, wie die SS-Leute unten im Haus mit den Füßen trommeln und einer der SS-Männer ruft: „Ist die alte Juden-Sau noch nicht verreckt?“ Deutschland im Jahre 1943. Auch andere aus ihrer Familie werden von den Nazis verfolgt, bedroht, ermordet. Ihre Großtante Julia Pick, von der Gestapo geschlagen und bespuckt, geht Selbstmord wie der Bruder ihres Großvaters.
In die Politik geht die studierte Chemikerin dann 1948 und zieht als Stadträtin für die FDP in den Münchner Stadtrat. Einen Namen macht sich die Liberale als Bildungspolitikerin, als sie in Bayern in einem Volksbegehren die Abschaffung der katholischen Bekenntnisschule durchsetzen hilft, eine Leistung, die ihr viele Lehrer im Freistaat später hoch anrechneten. Einfach ist das Leben für die selbstbewusste Frau in Bayern nicht. Sie heiratet den CSU-Stadtrat Hamm, was nicht jedem weder in der CSU gefällt, überhaupt missfällt manchen Zeitgenossen die politische Eigenständigkeit der Frau an der Seite eines Christsozialen. So wird sie auf einer Wahlveranstaltung in Amberg von einer Zuhörerin beschimpft: „Pfui Teufel, wie kann man anders sein als sein Mann?“
Sie lehnt das Misstrauensvotum gegen Schmidt ab
In Bonn ist sie eine geachtete Politikerin, eine hoch geschätzte Freie Demokratin, wobei der Scherpunkt auf beiden Begriffen liegt: Frei und Demokratin. Und dass sie unabhängig ist und sich von niemandem das Wort verbieten lässt, bekommen Frei- wie Christdemokraten am 1. Oktober 1982 beim Misstrauensvotum der Union wie der FDP gegen den Bundeskanzler Helmut Schmidt(SPD) zu spüren. In einer persönlichen Erklärung im Plenum des Hohen Hauses betont sie: „Es geht um die Grundfrage, ob die Abgeordneten einer Fraktion…, die mit einer klaren Aussage für eine Koalition und gegen eine andere ein hohes Wahlergebnis erzielt hat, nach zwei Jahren entgegen diesem Versprechen einen Machtwechsel ohne vorheriges Wählervotum herbeiführen dürfen…“ Gemeint der Beschluss des Wahlslogans der FDP auf dem Parteitag 1980 in Freiburg: FDP wählen, damit Helmut Schmidt Kanzler bleibt.
Hildegard Hamm-Brücher folgert in ihrer Erklärung vor dem Plenum daraus, dass das Misstrauensvotum gegen Schmidt und die Wahl von Kohl „nach meinem Empfinden das Odium des verletzten demokratischen Anstands“ habe. „Sie beschädigen quasi die moralisch-sittliche Integrität von Machtwechseln.“ Rolf Zundel von der Zeit kommentiert das dann Folgende so:“ Im Beifall der SPD und von den Abgeordneten der FDP wurde der Zwischenruf des Kanzlerkandidaten(gemeint Helmut Kohl) hörbar: „Das ist ein Skandal“ Wahrscheinlich war dies die wirkungsvollste und gefährlichste Rede gegen die neue Regierung.“ Das wird sie in der Nachbetrachtung nicht für Kohl, wohl aber für Hans-Dietrich Genscher, den Chef der FDP, der eine Spaltung droht. Übrigens grüßt Kohl Hildegard Hamm-Brücher seitdem nicht mehr. Sie wird es verschmerzt haben.
Danach wird Hildegard Hamm-Brücher in der eigenen Partei isoliert, auch mit Genscher kommt es zum vorübergehenden Bruch, später spricht man sich aus.
1994 scheitert ihr Versuch, Bundespräsidentin zu werden. Im dritten Wahlgang zieht die FDP die Kandidatin Hamm-Brücher zugunsten des CDU/CSU-Kandidaten Roman Herzog zurück, um den Fortbestand der Koalition nicht zu gefährden. Johannes Rau, der Kandidat der SPD, verliert dann gegen Herzog, erst fünf Jahre später wird Rau Staatsoberhaupt. Später erzählt sie, dass sie während dieser Zeit einen Leserbrief folgenden Inhalts erhalten habe: „Du alte Judensau wirst niemals Präsidentin der Deutschen.“
Nationale Strömungen beunruhigen sie
Die Politik verfolgt die Dame weiter, beunruhigt durch das Aufkommen nationaler Strömungen und durch Anschläge auf Flüchtlingsheime. Das Erbe des Nationalsozialismus sei nicht gebannt, wird sie zitiert. Nicht von ungefähr hat sie ihrem Buch den Titel gegeben: Freiheit ist mehr als ein Wort. „Nichts gibt es ohne Freiheit- keine Menschenwürde, keine Solidarität, keine Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, keine Vielfalt und keine Toleranz.“ Freiheit, so das Fazit der Grande Dame der deutschen Politik, „steht für die Bewährungsprobe, ob und was wir aus den Irrtümern unserer Geschichte gelernt haben.“ Ist es ein Wunder, dass sie, die diese Geschichte am eigenen Leib erlebt hat, heute für „Tendenzen kurz vor echtem Nazismus“ ein großes Potential sieht? Dass sie befürchtet, dass da eine ganze Menge nachgewachsen sei könnte. Dagegen hilft Demokratie und der Wille, die Erinnerungen an die Hitler-Diktatur wachzuhalten.
Vor ein paar Jahren, als sie 90 Jahre alt geworden war, wurde sie vom SZ-Magazin interviewt und dort bekannte sie, dass sie eine fröhliche Christin sei, die gern einem Vers von Rilke folge: „Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn. Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.“
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