Als ich vor ein paar Tagen erfuhr, dass es ein neues Buch über und mit Dieter Hildebrandt gebe, hat meine Frau bei unserem Buchhändler um die Ecke gleich nachgefragt. Und siehe da: Er hatte es. „Dieter Hildebrandt. Was aber bleibt.“ Texte aus fünf Jahrzehnten. Dass es mich so brennend interessiert, liegt auch daran, dass ich diesen Mann mehrfach auf der Bühne erlebt habe, in Berlin, Bonn und Recklinghausen. Und dann hatte ich noch das Glück, mit diesem Mann u.a. in Berlin nach einem Auftritt im Tränenpalast über Gott und die Welt, heißt Politik zu diskutieren. Und: Im Sommer 2013 planten Norbert Bicher und ich die Herausgabe eines Buches mit dem Titel: „Zeitung unter Druck“. Ein Plädoyer für ein Kulturgut. Ich rief Hildebrandt auf seinem Handy an und fragte, ob er Zeit und Lust habe, einen Beitrag dazu zu schreiben. Und ob er hatte, denn Hildebrandt war ein leidenschaftlicher Zeitungsleser. „Die Zukunft von gestern“ überschrieb er seinen Text, wie immer auf der Schreibmaschine geschrieben, faxte er ihn mir nach Hause. Da war er schon krank, aber ich wusste nicht, wie schlimm es ihn erwischt hatte. Übrigens: der Text zu unserem Buch war wohl der letzte, den er verfasste. Ich erschrak, als ich wenig später vom Tod des Dieter Hildebrandt hörte.
Mit scharfer Zunge und spitzer Feder
Was aber bleibt. Da diese Unterzeile auf Dieter Hildebrandt, d e n großen deutschen Kabarettisten, gemünzt ist: Eine ganze Menge. Denn Hildebrandt hat wie kein anderer seines ehrbaren Gewerbes mit scharfer Zunge und spitzer Feder kritisiert und gemahnt, er hat die Größen der Republik, in der Politik, Wirtschaft wie der Gesellschaft auf die Hörner genommen und ist vor niemandem zurückgeschreckt. Er hat die Missstände angeprangert, gesagt, was gesagt werden musste. Sein Lebenswerk ist jetzt erstmalig in einem Buch erschienen: „Ein Sittengemälde Deutschlands durch die Brille des großen Moralisten und Menschenfreunds Dieter Hildebrandt“, so kann man es auf dem Klappentext lesen. „Dieter Hildebrandt“ heißt der schlichte Titel. Mehr muss ja nicht sein. Auf den folgenden 544 Seiten findet man Texte aus fünf Jahrzehnten. Eigentlich unvorstellbar.
Zu diesem Buch erfährt man vorweg vom Herausgeber des lesenswerten Werkes Rolf Cyriax, der auch Hildebrandts Lektor war, dass Dieter Hildebrandt Anfang 2013 auf Cyriax zukam, um ihm sein neues Programm zu seinem 90. Geburtstag am 23. Mai 2017 zu erläutern, ein Programm, das er sich auch als Buch vorstellen könne. Titel: „Mit 90 in die Kurve“. Der Kabarettist Hildebrandt, selbst ein klasse Autor, schrieb die Gedanken auf wenigen Seiten nieder, damit der Herausgeber die wichtigsten Entscheidungs- und Bedenkenträger im Verlag informieren könnte. Das Buch schaffte Hildebrandt nicht mehr, er starb im November 2013. Der Verlag sah sich gefordert, zu Ehren des Mannes einen großen Erinnerungsband herauszugeben, eine Auswahl aus allen Lebensphasen des Kabarettisten. Und geradezu selbstverständlich erscheint es, dass der Freund von Hildebrandt, Dieter Hanitzsch, ein Meister der Karikatur, die passenden Zeichnungen zu den Texten lieferte.
Notizen aus der Provinz, Scheibenwischer
Wer ihn erlebt hat auf der Bühne, ob in der „Lach- und Schießgesellschaft“ in München-Schwabing, wer ihn gehört und gesehen hat im Fernsehen bei „Notizen aus der Provinz“ oder beim „Scheibenwischer“, der wird sich erinnern, wenn er in diesem Buch blättert, das man nicht chronologisch lesen muss. Ich habe die ersten Seiten gelesen und dann vom Schluß her, Stück für Stück. Das Buch fängt den Leser, den Zeitgenossen, der sich für Politik interessiert. Kleine Anmerkung vorweg: Man hätte sich zu den gedruckten Beiträgen das Jahr gewünscht, in dem Hildebrandt das Stück auf der Bühne vorgetragen hat.
Fangen mir mit dem Klappentext vorn an. Da findet sich eine seiner Einschätzungen zur Lage der Nation. „Man kann nicht mit der Faust auf den Tisch hauen, wenn man die Finger überall drin hat.“ Da könnte ich einen Satz von Willy Brandt hinzufügen, dem das Bild vom auf-den-Tisch-hauen ein Gräuel war und der auf entsprechende Forderungen gelassen reagierte: „Das imponiert nicht mal dem Tisch.“
Oder eine andere Erkenntnis von Hildebrandt: „Politiker haben in der Regel saubere Hände. Das ist auch klar, denn es heißt ja ausdrücklich: Eine Hand wäscht die andere.“ Oder: „Große Koalitionen sind nicht dazu da, um endlich die Probleme zu lösen, sondern vier Jahre um sie herumzukommen.“
Wenn die Kosaken kommen
Die Kanzler waren und sind immer die Lieblingsthemen der Kabarettisten wie auch der Zeichner. „Kohl- ein Vermächtnis“, heißt ein kurzes Stück über den Dauer-Kanzler. „Er war es, der die Mantel-Metapher erfand. Niemand außer ihm wäre auf die Idee gekommen, dass die Geschichte einen Mantel hat, und er war es, der den Mantel der Geschichte im Winde der Ereignisse flattern ließ. Ganz zu schweigen vom Tellerrand des morgigen Abends“, über den „eine gute Politik sieht… Man sah ihn, im Tellerrand stehend, mit wehendem Mantel über den Tellerrand sehen, und dann die Warnung an sein Volk und die Sozialdemokraten insbesondere aussprechen: Was nützt die beste Sozialpolitik, wenn die Kosaken kommen.“ Inzwischen seien sie da, ohne Pferde. Mit Ferraris und Koffern voller Geld, mit breiten und satten Frauen, vielen Kindern und sie liegen an den Stränden Europas.“ Nicht nur, sondern sie bevölkern längst die teuren Skipisten in Österreich.
Der Weiße Nebel wunderbar
Nicht fehlen darf in diesem Buch der Klassiker, den er bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen ebenso vortrug wie im Pantheon in Bonn oder in Berlin. Helmut Kohl liest Matthias Claudius: Abendlied. „Der Mond, meine Damen und Herren, liebe Freunde, und das möchte ich hier in aller Offenheit sagen, ist aufgegangen. Und niemand von Ihnen, meine Damen und Herren, liebe Freunde, wird mich daran hindern, hier in aller Entschlossenheit festzustellen: Die Goldenen Sternlein prangen. Und wenn Sie mich, meine Damen und Herren, liebe Freunde, fragen: Wo? Dann sack ich es Ihnen: Am Himmel.“ Wenig später scheut er sich auch nicht, „hier an dieser Stelle ganz konkret zu behaupten: Der Wald steht schwarz. Und lassen Sie mich hinzufügen. Und schweiget!“ Das Stück endet mit: „Und aus den Wiesen steiget das, was meine Reden immer ausgezeichnet hat: Der Weiße Nebel wunderbar.“
Dass die Regierung den Versuch unterlässt, die „Urzelle der Gewalt, nämlich die NPD“, verbieten zu lassen, hat ihn empört. Sie habe „weniger Angst davor, dass Inder, Afrikaner, Vietnamesen halb totgeprügelt werden, sie hat Angst, dass sie ein zweites Mal gegen das Verfassungsgericht verliert.“
Über Stoiber und das Damoklesschwert
Natürlich hat Hildebrandt Strauß nicht ausgelassen, und schon gar nicht einen seiner Polit-Erben, Edmund Stoiber, diesen wortgewaltigen Menschen. Als Gerhard Schröder, gegen den er knapp die Wahl verlor, nachdem er zu früh ein „Glas“ Champagner geköpft hatte, Jahre später Neuwahlen vorschlug, griff der CSU-Chef Stoiber zu einer gewagten Metapher. „Schröder will durch das Damoklesschwert der Neuwahlen das Ausmaß der fehlenden Gemeinsamkeiten eindämmen.“ Und Hildebrandt fragt sich, über wem eigentlich das dämliche Schwert hänge und was es da mache? „Es fällt. Wieso fällt es? Wenn ich das richtig verstanden habe, fällt es doch erst, wenn der Faden reißt oder abgeschnitten wird.“ Und so weiter.
Über Schäuble, die Baumeister, den dazu gehörenden Spenden-Skandal hat er geschrieben und gesprochen, immer wieder über Strauß, aber auch den völkischen Franz, gemeint Schönhuber, der in der SPD mal rechts, mal links war und der sich auf die Fersen dieses mächtigen Strauß geheftet habe. ‚“Das muss aber dann so aufdrängend gewesen sein…vermutlich wollte er gleich in die Schuhe rein oder woanders, wo schon alles besetzt war…der Feller hat schon dringesessen und das Schild Geschlossene Gesellschaft hinten rausgehängt..“ Der Schönhuber gründete dann die neue rechte Partei „Republikaner“ und schrieb ein Buch „Ich war dabei“. Fazit Hildebrandt zu diesem Buch: „200000 verkaufte Exemplare… und mit purer Scheiße gefüllte Wort-Container.“ Und Wolf Feller war Programmdirektor beim Bayerischen Rundfunk.
Ohne Zeitung fängt mein Tag nicht an
Es gibt vieles zu sagen über Dieter Hildebrandt. Er war ein Mann, der viel las, Bücher und Zeitungen, der mit dem Wort umzugehen verstand wie ein Jongleur, wenn der Vergleich erlaubt ist. Er selber beschrieb seine Tätigkeit in seinem Buch „Was bleibt mir übrig“ einmal als eine „singende und spielende Bürgerinitiative auf eigene Verantwortung“. Er hat seine Zuhörer stets fasziniert. Ich komme noch mal auf unser Zeitung-unter-Druck–Buch zurück und eine kleine Vorgeschichte. Seine Frau Renate, die selbst früher Mitglieder der Lach- und Schießgesellschaft war, hatte ihm bei der Diskussion über unser Buch-Vorhaben die Frage gestellt: „Du ohne Zeitung“. Selbst auf den Malediven, so behauptete sie, hätte er schon nach einem Tag Aufenthalt nach einer deutschen Zeitung gefragt. Und er selbst schrieb es in unserem Buch so auf: „Ohne Zeitung fängt mein Tag gar nicht erst an.“
Quicklebendig habe ich diesen Mann aus dem niederschlesischen Bunzlau erlebt, wie er das Gedicht über den Frühling vortrug. Bis zu 200 Auftritte hatte er im Jahr, die er dann im Alter auf rund 150 reduzierte. Mit der Eisenbahn fuhr er von Ort zu Ort, die Bühne war sein zweites Zuhause, ein Lebens-Elixier. Das war Satire pur, es schien ihm alles leicht zu fallen, egal wen er imitierte oder aufs Korn nahm. Man sah ihm den Spaß an der Arbeit an, die Leidenschaft, mit der er arbeitete. Es fiel auf, wie locker und unprätentiös er mit seinen Mitarbeitern umging, jeden Bühnenarbeiter begrüßte er mit Handschlag. Nein, eingebildet war der Mann nicht. Er war ein Großer. Und ein Menschenfreund.
Am Verfassungstag wäre er 90 Jahre geworden
Er hat viele Preise gewonnen, den Grimme-Preis, den Erich-Kästner-Preis für Toleranz und Völkerverständigung, eine Auszeichung, die auch der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker erhalten hatte. Um diesen Preis, den er wirklich schätzte, entgegenzunehmen, wurde damals die dringend nötige Operation verschoben, die leider nur kurzfristig Heilung brachte.
Dieter Hildebrandt starb im November 2013, am 23. Mai diesen Jahres wäre er 90 geworden. Am Verfassungstag.
Quelle: Dieter Hildebrandt, Was aber bleibt. Blessing-Verlag, München 2017, 544 Seiten. 22.99 Euro
Herausgegeben von Dr. Rolf Cyriax, München
Bildquelle: Blessing-Verlag