Nach der schwierigen Krisenphase durch die Corona-Pandemie hofften alle auf einen kräftigen wirtschaftlichen Aufschwung mit starken Wachstumsraten und höheren Einkommen. Doch Putins mörderischer Angriff auf die Ukraine hat alle Blütenträume schlagartig zerstört. Mit seinem Energiekrieg und vor allem mit dem Stopp der Gaslieferungen versucht der Kremlherrscher viele europäische Staaten, vor allem Deutschland, zu spalten oder in die Krise zu treiben. Aus russischen Quellen fließt durch die Pipeline Nordstream 1 inzwischen kein Gas mehr. Nordstream 2 ist zwar zur Probe mit Gas gefüllt worden, doch sind diese Pipelines in der Ostsee nun Angriffsobjekte von Saboteuren geworden.
Gasspeicher ausreichend gefüllt
Noch vor Monaten lieferten die Russen etwa 55 Prozent unseres Jahresbedarfs. Inzwischen liegen diese Lieferungen bei Null. Dennoch konnten die deutschen Gasspeicher inzwischen zu über 90 Prozent gefüllt werden. Das ist wahrlich eine Meisterleistung der dafür verantwortlichen Unternehmen und der Bundesnetzagentur. Derweil sind jedoch die Preise explodiert: Mit etwa 200 Euro pro Megawattstunde sind sie zwar in den letzten Wochen etwas gesunken, doch liegen sie um fast 400 Prozent über dem Vorjahresniveau. Firmen in nahezu allen Branchen – vom Bäckerhandwerk bis hin zur Chemischen Industrie – sind stark betroffen. Private Haushalte, die beispielsweise rund 20.000 Kilowattstunden Gas verbrauchen, müssten in Zukunft mehr als 4.300 Euro für ihre Rechnung bezahlen; das wären 3.000 Euro mehr als im Jahr zuvor. Die Kosten für Energie machen für viele Private bis zu einem Viertel ihres verfügbaren Einkommens aus. Vor allem Haushalte mit niedrigen Einkommen würden von den Kosten für Gas und Strom mit einer zuvor nie gekannten Wucht getroffen. Für sie sind die bisherigen staatlichen Entlastungen nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein.
Hohe Energierechnungen für Private
Die bitteren Folgen dieser Energiekosten schlagen sich in steigenden Preisen für fast alle Güter des täglichen Konsums nieder. Die Inflationsrate beträgt bereits 10 Prozent und droht auch weiter zu steigen. Wo gespart werden kann, wird gespart – an Nahrungsmitteln, an allen Verbrauchs- und Gebrauchsgütern. Der private Konsum, früher immer der stärkste Konjunkturmotor, läuft inzwischen im Rückwärtsgang. Die konjunkturelle Talfahrt wird dadurch beschleunigt, das Abwärtstempo der Wirtschaft wird in der nächsten Zeit noch höher.
Bittere Folgen für viele Firmen
Dramatisch ist auch die Entwicklung in der Industrie, im Handwerk und auch im Dienstleistungssektor. Viele Firmen wissen kaum noch, wie sie die explodierten Energiepreise auffangen können. Die Produktionskosten für viele Produkte sind so hoch, dass sie auf den Märkten kaum oder gar nicht mehr weitergegeben werden können. Das gilt für notwendige Materialien für den Hausbau ebenso wie für Zutaten wie Backwaren. Nicht wenige Betriebe fahren bereits ihre Produktion herunter, viele Erzeugnisse werden knapp oder gar nicht angeboten. Während das mittelständische Gewerbe und Handwerk und auch das Gastgewerbe sowie der Einzelhandel an lokale oder regionale Standards gebunden sind, nehmen in größeren Firmen die Überlegungen zu, Produktionen in Länder mit niedrigeren Energiekosten zu verlegen. Ein Gang durch die Innenstädte zeigt mehr als deutlich, wie viele Läden, Restaurants und andere Geschäfte bereits zu gemacht haben oder aufgeben wollen. Das Wegbrechen großer Teile des Mittelstandes, der doch das Rückgrat der deutschen Wirtschaft und der größte Arbeitgeber ist, muss als gefährliches Signal für das ganze Land wahrgenommen werden. Das gilt gleichermaßen für die Verlagerung von Produktionen durch Großunternehmen ins Ausland. Die bitteren Folgen werden langfristig zu spüren sein.
Verwirrender Tanz der Regierung
Es ist inzwischen „high noon“. Die Schockwelle der Energiepreisexplosion ist wesentlich zerstörender und gefährlicher als die Corona-Pandemie. Was damals mit der Bazooka, die der ehemalige Bundesfinanzminister Olaf Scholz mit seinem Kollegen aus dem Wirtschaftsministerium in Stellung brachte, hilfreich war, wird jetzt endlich mit einer Doppel-Bazooka in Stellung gebracht werden. Bislang war das, was die Bundesregierung bot, sowohl in der Energiepolitik als auch in der gesamten Wirtschaftspolitik mehr oder weniger kläglich, nicht konsistent und kaum vertrauenserweckend. Das Gerangel um die Gasumlage bot ein Spektakel ohne Wert. Das Hin und Her um die verlängerte Nutzung von 2 Kernkraftwerken für die größere Versorgungssicherheit mit Strom glich eher einem Affentanz im grünen Zirkus Habeck als Direktor. An den Gaspreisdeckel wollte der Wirtschaftsminister zunächst nicht ran. Ebenso tut er sich schwer, die riesigen Zusatzgewinne der vielen Stromerzeuger, die Kohle sowie insbesondere Wind und Sonne einsetzten, wenigstens zu einem großen Teil abzuschöpfen. Der laute Hilfeschrei aus der mittelständischen Wirtschaft wurde lange Zeit überhört. Hier und da wurde erst nachgebessert, dann jedoch vielfach halbherzig und unzulänglich. Das Gerangel zwischen Habeck und Lindner war gewiss keine Glanznummer, um das Vertrauen der Menschen in die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu stärken.
Bazooka mit 200 Milliarden Euro-Munition
Nach einiger Zeit mit Ladehemmungen hat nun endlich der Bundeskanzler Olaf Scholz seinen grünen Wirtschaftsminister und seinen liberalen Finanzminister an die große Bazooka getrieben. Deutschland will seine Schlagkraft in diesem Energiekrieg zeigen. Mit einem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSE) in Höhe von bis zu 200 Milliarden Euro wird der Staat an der Krisenfront aktiv, um die Folgen der Energiepreisexplosion für Wirtschaft und Private zu begrenzen und gar bis 2024 zu bewältigen. Die Gasumlage, die zum 1. Oktober erhoben werden sollte, wird sofort per Verordnung der Bundesregierung beerdigt. Kohlekraftwerke werden aus der Reserve geholt. Christian Lindner hat sich gegen massive Widerstände – vor allem bei den Grünen durchgesetzt: Zwei Kernkraftwerke werden erst einmal bis zum Frühjahr 2023 weiter am Netz bleiben und Strom liefern; Lindner plädiert jedoch für eine längere Laufzeit bis 2024. Das Auffüllen der Gasspeicher wird weiterhin mit großen Anstrengungen fortgesetzt. Das Sparen von Gas und Strom bleibt als höchstes Gebot für Unternehmen und Private.
Mit dem 200 Milliarden Euro-Fonds soll für Versorgungssicherheit gesorgt und Energie bezahlbar gemacht werden. Denn es gilt, zunächst einmal Zeit in diesem Energiekrieg zu gewinnen, sich von russischen Gas-, Öl- und Kohlelieferungen gänzlich abzukoppeln und andere Lieferanten zu finden sowie mit dem größten Tempo auf die regenerativen Energiequellen – Sonne, Wind, Biomasse und Geothermie – hierzulande zu setzen. Die Einzelheiten für die Konstruktion der Gasbremse wird eine Expertenkommission in den nächsten Tagen noch liefern und von der Bundesregierung beschlossen. Private Haushalte und Unternehmen sowie andere – wie Schulen, Krankenhäuser usw. – werden erst dann exakt kalkulieren können, was auf sie an Energiekosten zukommen wird.
Mit ihren Entlastungspaketen in Höhe von etwa 95 Milliarden Euro und dem Stabilisierungsfonds mit bis zu 200 Milliarden Euro kann der drohende Absturz der Wirtschaft zwar nicht vollends vermieden, doch das Tempo der Talfahrt abgebremst werden. Positiv ist, dass die Bundesregierung sich auch auf ein Belastungsmoratorium für die Wirtschaft verständigt hat und den Unternehmen keine zusätzliche Bürokratie zumuten will. In dieser großen Notlage wird vieles, was bis vor wenigen Tagen noch undenkbar war, möglich. Wenn auch der Bundesfinanzminister im nächsten Jahr die Schuldenbremse im Bundeshaushalt einhalten will, die großen Hilfspakete müssen finanziert, die Schulden mit Zinsen abgezahlt werden. Doch unser Staat beweist mit seinem Engagement jetzt in einer Kriegszeit seine Handlungsfähigkeit. Jedes weitere Zögern hätte mit einem ökonomischen und sozialen Desaster sowie politischer Instabilität enden können. Das sollten auch die Chefs der Bundesländer, die sich an der Finanzierung beteiligen müssen, bedenken, zumal auch sie von dem Notprogramm des Bundes profitieren.
Bildquelle: Parka Lewis at English Wikipedia, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons