Die sogenannte heiße Phase des Wahlkampfs vor der Bundestagswahl am 24. September lässt sich allenfalls lauwarm an, ganz wie der Sommer in hiesigen Breiten. Die unvermeidlichen Sommerinterviews mit den Kanzlerkandidaten plätschern so dahin, routiniert, unaufgeregt, nichtssagend. Heerscharen von Journalisten sezieren die Antworten auf Fragen ihrer Berufskollegen, interpretieren Mimik und Gesten, deuten jedes Luftholen als Zögern, jede Atempause als Unsicherheit. Nachdenken im Fernsehen ist unerwünscht. Die Kamera fordert ein Staccato der Worte, die prompt vorgestanzt herauskullern, gefällig ins Ohr gehen, flüchtig und beliebig wirken. Beim Publikum macht sich Langeweile breit, die Meute professioneller Beobachter wartet kollektiv auf einen Fehltritt, ein Stolpern, einen Lapsus, irgendetwas, das Quote bringt. Doch weder liefert Martin Schulz, der rackert und rackert, noch Angela Merkel, die ruht und ruht.
Die großen Zukunfts-Themen kommen nicht vor
Vielfach ertönt das Klagelied von der mangelnden Unterscheidbarkeit der beiden großen Parteien; ein Kommentator weiß dem Positives abzugewinnen, erkennt er doch in der Verwechselbarkeit einen breiten gesellschaftlichen Grundkonsens, der dem Land guttue. Er bürstet wohltuend gegen den Strich, und doch irrt auch er. Denn die wirklich großen Zukunftsthemen, an denen die unterschiedlichen Grundhaltungen von SPD und CDU deutlich würden, kommen in der Medienlandschaft überhaupt nicht vor. Wie wollen wir wirtschaften in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung, wie behauptet sich die Demokratie gegen das ungezügelte Wirtschaften auf Kosten der Umwelt und der Menschen, wie schaffen wir mehr Teilhabe, mehr Chancengerechtigkeit, mehr soziale, mehr innere Sicherheit, wie machen wir die Welt friedlicher und gerechter, wie verhelfen Regierungen dem Wählerwillen zu seinem Recht? Um solche grundsätzlichen Fragen machen die Medien im Plätschermodus einen Bogen. Hilfreicher als ein Wahl-o-Mat oder der Sozial-o-Mat der Diakonie wäre ein Blick in die Parteiprogramme, die Präambel genügt.
Ökologischen Wahnsinn der Billigfliegerei hinterfragen
Wie kurzatmig, oberflächlich und aktionistisch die Auseinandersetzung mit den großen Fragen ist, zeigt sich konkret beim Dieselskandal ebenso wie bei der Insolvenz von Air Berlin. Ein Gipfel, über dessen Ergebnis nur die Automobilkonzerne frohlocken, ein paar nachgeschobene Statements aus der Bundesregierung, die der breiten Empörung entgegenwirken sollen, doch keine klaren Ansagen zur Heilung des Schadens, geschweige denn zu einer langfristigen Perspektive für eine umweltschonende und klimaverträgliche Mobilität. Eine 150-Millionen-Euro-Spritze vom Bund für die insolvente Fluggesellschaft war mitten in der Ferienzeit unumstritten, natürlich dürfen die Touristen nicht an ihren Urlaubsorten hängengelassen werden. Doch wird es auch Zeit, den ökologischen Wahnsinn der Billigfliegerei zu hinterfragen, ebenso wie den Massentourismus, gegen den sich in Spanien massive Widerstände der Einheimischen formieren.
Trump hat den Finger schnell am Abzug
Wahnsinn ist das Stichwort, das unvermeidlich zu Donald Trump führt. Der US-Präsident hat den Finger schnell am Abzug und versetzt mit seinen militärischen Drohungen die Welt in Unruhe, nach Nordkorea lässt er auch Venezuela wissen, dass ein US-Militärschlag eine Option sei. Tatsächlich ist die Lage in dem südamerikanischen Land überaus besorgniserregend. Präsident Nicolas Maduro hat das gewählte Parlament entmachtet, eine verfassungsgebende Versammlung mit treuen Anhängern installiert, tausende Oppositionelle inhaftiert und schwerste Unruhen ausgelöst, in denen schon hunderte Tote zu beklagen sind. Doch es ist wohl nicht die demokratische Ordnung, sondern das große Rohstoffvorkommen in Venezuela, das Trump mit seiner unkontrollierten Drohung im Blick hat. Der Opposition jedenfalls hat er einen Bärendienst erwiesen. Maduro benutzt die Drohung, um seine Gegner als von Washington gesteuert zu verunglimpfen. Letztlich hat Trump Maduro in die Hände gespielt, und unweigerlich stellt sich die Frage, ist das Dummheit oder Berechnung?
Er will sich liebkind machen mit Rassisten
Kaltes Kalkül ahnt man hinter Trumps Reaktionen auf die Ausschreitungen in Charlottesville, doch die breite Empörung in den USA zeigt auch, dass der Präsident sich damit gründlich verrechnet haben könnte. Prominente, Berater und sogar Amtsvorgänger kritisieren die unerhörte Gleichsetzung von Rechtsextremen und Gegendemonstranten, mit der sich Trump nach den Gewaltausbrüchen hervortat. Offenbar wollte er sich, auf einem Tiefpunkt der Sympathieskala angelangt, liebkind machen mit den Rassisten und Nazis, die seinen Wahlkampfslogan „Make America great again“ als Verheißung für ein weißes Amerika nehmen. Die Verharmlosung und mangelnde Distanzierung wird in der Mehrheitsbevölkerung als gezielter Tabubruch aufgefasst und entschieden zurückgewiesen. Trumps Vorgänger Barack Obama zitierte den verstorbenen Friedensnobelpreisträger, Anti-Apartheidskämpfer und ehemaligen südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela, die konservativen Bushs forderten in einer ungewöhnlichen gemeinsamen Erklärung, Amerika müsse Rassismus, Antisemitismus und Hass „immer und in jeder Form zurückweisen“.
Schulz wirft Merkel Leisetreterei gegenüber Trump vor
Das Thema hat inzwischen die Debatte in Deutschland erreicht. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz erneuert seinen Vorwurf der Leisetreterei gegen Angela Merkel und fordert die Bundeskanzlerin zu deutlichen Ansagen gegenüber Trump auf. Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) kritiserte Trump scharf und zog eine Parallele zu den Diskussionen nach dem G-20-Gipfel in Hamburg. „Wir haben auch bei uns erlebt, dass es zu einer Gleichsetzung gekommen ist“, zitiert die Zeit den Sozialdemokraten. Es sei versucht worden, das „politisch gegen die SPD zu instrumentalisieren“. Und das „obwohl wir hier einen echten Rechtsterrorismus und keinen vergleichbaren Linksterrorismus haben.“
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