Charleston in South Carolina gehört zweifellos zu den sehenswerten Städten des amerikanischen Südens. In der Altstadt findet man zahlreiche gut erhaltene Herrenhäuser reicher Plantagenbesitzer, erbaut in der Zeit vor dem amerikanischen Bürgerkrieg. Von der Strandpromenade aus kann man einen Blick auf das auf einer vorgelagerten Insel gelegene Fort Sumter werfen, wo im April 1861 die ersten Schüsse des Bürgerkriegs fielen. Denn nachdem im Dezember 1860 feststand, dass Abraham Lincoln Präsident der USA würde, hatte sich South Carolina als erster Staat von der Union losgesagt und den Abzug der Bundestruppen von der Insel gefordert. Doch man findet in Altstadt von Charleston nicht nur prächtige Villen, sondern auch zahlreiche Kirchen. Denn die Stadt rühmt sich ihrer Jahrhunderte alten religiösen Toleranz. Nun ist eine dieser Kirchen, die Emanuel African Methodist Episcopal Church, am vergangenen Mittwoch Schauplatz eines grausamen, offensichtlich rassistisch motivierten Verbrechens geworden. Der wenige Stunden nach der Tat bereits verhaftete, mutmaßliche Täter, der einundzwanzigjährige Dylann Storm Roof, wurde inzwischen den Angehörigen der Opfer gegenübergestellt. Drei Männer und sechs Frauen, alle Afroamerikaner, die sich zum Bibelstudium in der Kirche aufhielten, fanden den Tod. Darunter als prominentestes Opfer der Pastor der Kirche, Reverend Clementa C. Pinckney, Mitglied des Senats des Staates South Carolina.
Die Tat hat nicht nur in den USA Entsetzen ausgelöst, wo Präsident Barack Obama in einer ersten öffentlichen Stellungnahme nicht nur Schmerz und Trauer, sondern auch seinen Zorn zum Ausdruck brachte. Doch seinen Worten konnte man auch seine Frustration entnehmen angesichts des Unvermögens der Politik, den Zugang zu Schusswaffen zu erschweren. Denn der mutmaßliche Täter hatte die Waffe nach Auskunft von Zeugen legal erworben, mit Geld das er zum einundzwanzigsten Geburtstag erhalten hatte. Ähnlich viel Aufmerksamkeit wie dem Präsidenten wurde Jon Stewart zuteil, dem ansonsten humorvollen und bissigen Talkmaster der „Daily Show“, der den Sprachgebrauch der Medien kritisierte und danach fragte, warum sich so viele davor scheuten, von einer terroristischen Tat zu sprechen.
Diese Scheu fehlt Mark Potok vom Southern Poverty Law Center (SPLC) in Montgomery Alabama, einem der wichtigsten Schauplätze der Bürgerrechtsbewegung. Für die aus privaten Spenden finanzierte Nichtregierungsorganisation beobachtet er die rechte Szene in den USA, spricht vom „Terror von Rechts“ und davon, dass die Gefahr durchaus real sei. Potok hat als investigativer Journalist gearbeitet, bevor er zum SPLC kam. Das Zentrum hat es sich seit vielen Jahren zur Aufgabe gemacht, die Öffentlichkeit über das Wirken von Hate Groups zu informieren und deren Strukturen durch zivilrechtliche Klagen zu zerstören. Heute sei die Bekämpfung solcher Gruppen mithilfe der Zivilgerichtsbarkeit allerdings weniger wichtig als die Bloßstellung von Akteuren der rechten Szene in der Öffentlichkeit, sagt er uns in einem Gespräch am 9. April 2015 im Besucherzentrum des SPLC. Vor dem Gebäude des SPLC erinnert das Civil Rights Memorial an die Menschen, die während der Bürgerrechtsbewegung in den 1950er und 1960er Jahren Opfer rechter Gewalt wurden. Seitdem sind viele Opfer hinzugekommen, so Potok in dem vom SPLC herausgegebenen „Intelligence Report“ aus dem Frühjahr 2015.
Es überrascht zunächst, dass die Zahl der vom SPLC registrierten Hate Groups in den letzten Jahren abgenommen hat. Nachdem ihre Zahl zwischen 1999 und 2011 kontinuierlich von 457 auf 1018 Gruppen angestiegen war, sind es seitdem weniger geworden: Im Jahr 2014 kamen Potok und seine Mitarbeiter auf 784 Gruppen, darunter 72 Ku Klux Klan-Gruppen, sowie 142, die dem Lager der Neonazis zugerechnet werden, aber auch Weiße Nationalisten, Rassistische Skinheads, Schwarze Separatisten, Neo-Konföderierte, Christian Identity-Gruppen sowie Gruppen, die sich der Bekämpfung der Bundesregierung in Washington, D.C. verschrieben haben.
Hate Groups erreichen Mitte der Gesellschaft
Trotz der rückläufigen Zahl solcher Hass predigenden und praktizierenden Gruppen sieht Mark Potok jedoch keinen Grund zur Entwarnung. Wenn weniger Gruppen registriert wurden, so sei das nicht nur Folge einer besseren Strafverfolgung, sondern vor allem bedingt durch die Abwanderung der Täter ins Internet, wo sie sich als Einzelne besser vernetzen und tarnen können, womöglich auch auf Internetseiten außerhalb des Zugriffs amerikanischer Strafverfolgungsbehörden wie zum Beispiel im russischen sozialen Netzwerk VK. Beunruhigender sei jedoch, so Potok, dass die Propaganda der Hate Groups in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei, meist in der Form von obskuren Verschwörungstheorien, die von Politikern und Meinungsmachern aufgegriffen und über Fernsehsender wie Fox News verbreitet würden. Das gelte ganz besonders für Hasstiraden gegen nicht dokumentierte Einwanderer und ganz generell Einwanderer aus muslimischen Ländern.
Aber der Hass richtet sich nicht nur gegen Einwanderer oder Schwule, sondern ist oftmals rassistisch motiviert. Denn bei einem Drittel der Opfer von Hass-motivierten Verbrechen handelt es sich um Schwarze, wie Statistiken der Bundespolizei FBI belegen. Dieser Rassismus ist offensichtlich tief in der amerikanischen Gesellschaft verwurzelt, auch wenn in Institutionen dafür inzwischen kein Platz mehr ist. Er richtet sich vor allem gegen männliche Schwarze, so Kenneth Nunn, Professor am University of Florida Levin College of Law in einem Beitrag für die New York Times im März 2012. Auch wenn Afroamerikanerinnen von Gewalt nicht verschont bleiben, muss man hinzufügen. Im Jahr 2012 war der schwarze Jugendliche Trayvon Martin von einem selbst ernannten Nachbarschaftswächter erschossen worden. Trayvon Martin war ebenso unbewaffnet wie die inzwischen zahlreichen afroamerikanischen Männer, die seitdem Opfer brutaler Polizeigewalt wurden, ohne dass die Täter dafür belangt worden wären. Der amerikanischen Öffentlichkeit fällt es offensichtlich schwer, zwischen Kriminellen und Schwarzen zu unterscheiden, so der afroamerikanische Soziologe Rashawn Ray von der University of Maryland. Junge Afroamerikaner und Latinos werden wesentlich häufiger von ihren Lehrern und der Polizei gemaßregelt als gleichaltrige Weiße. Ihre Chance, eine Gefängnisstrafe zu verbüßen, ist deutlich höher als die von Weißen. Und sie werden häufiger Opfer polizeilicher Brutalität, wie wir in den letzten Jahren erfahren konnten.
Taten sind häufig vom Hass auf Schwarze motiviert
Richtig ist: Rassistisch motivierte Verbrechen bleiben heute weniger oft ungesühnt als noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Und es gibt auch unter den Richtern inzwischen Afroamerikaner, selbst im Staat Mississippi. Doch alarmierend ist, dass junge Weiße zu Tätern werden, wie damals, und ihre Taten oftmals vom Hass auf Schwarze motiviert sind. Der zweite bislang im Staat Mississippi ernannte schwarze Bundesrichter Carlton Reeves nahm daher die Verurteilung von drei jungen Weißen, die den 48-jährigen Schwarzen James Craig Anderson im Jahr 2010 auf einem Parkplatz in Jackson Mississippi brutal ermordet hatten, zum Anlass, den Ermordeten in eine Reihe mit den früheren Opfern der Bürgerrechtsbewegung in Mississippi zu stellen. Er nannte Emmett Till, Willie McGee, James Cheney, Andrew Goodman, Michael Schwerner, Vernon Dahmer, George W. Lee, Medgar Evers, Mack Charles Parker und zahlreiche weniger bekannte Opfer. Allen diesen Morden sei eines gemeinsam, so Richter Reeves: der Hass auf Schwarze. Und dieser Hass hat längst vernarbte Wunden im Staat Mississippi wieder aufgerissen.
“Hate comes in all shapes, sizes, colors, and from this case, we know it comes in different sexes and ages. A toxic mix of alcohol, foolishness and unadulterated hatred caused these young people to resurrect the nightmarish specter of lynchings and lynch mobs from the Mississippi we long to forget. Like the marauders of ages past, these young folk conspired, planned, and coordinated a plan of attack on certain neighborhoods in the city of Jackson for the sole purpose of harassing, terrorizing, physically assaulting and causing bodily injury to black folk. They punched and kicked them about their bodies — their heads, their faces. They prowled. They came ready to hurt. They used dangerous weapons; they targeted the weak; they recruited and encouraged others to join in the coordinated chaos; and they boasted about their shameful activity. This was a 2011 version of the nigger hunts.“
Amerika muss sich seiner Geschichte stellen
Hass auf Schwarze, auf Afroamerikaner, hat auch im Staat South Carolina am vergangenen Mittwoch längst vernarbt geglaubte Wunden wieder aufgerissen. Jetzt eilfertig die Todesstrafe für den jungen mutmaßlichen Täter zu fordern, wie es die Gouverneurin des Staates, Nikki Haley, getan hat, ist der falsche Weg. Ganz besonders im Süden der USA geht darum, die Geschichte der Sklaverei, der Unterdrückung und des Bürgerkriegs aufzuarbeiten, weit mehr noch, als dies bisher geschehen ist. Wenn vermeintlich wissenschaftliche Bücher im Andenkenladen einer ehemaligen Plantage verkauft werden, in denen Abraham Lincoln als Marxist, Diktator oder Kriegstreiber dargestellt wird, sind Zweifel angebracht, ob Amerika bereit ist, sich seiner eigenen Geschichte zu stellen.
Durch Hass auf Menschen, die anders aussehen, denken oder leben wollen, verursachte Morde sollten uns in Deutschland keinen Anlass geben, mit dem Finger auf die anderen, sprich: die USA, zu zeigen – drei Finger weisen, wie immer bei dieser Geste, auf uns selbst zurück. Wichtig ist vielmehr die Erkenntnis, dass sich Hass via Internet verbreiten lässt und inzwischen europaweite und transatlantische Netzwerke entstanden sind. Deren Aufklärung widmet sich das Southern Poverty Law Center in Montgomery, Alabama, ebenfalls. Auch hier ist Vernetzung geboten, will man den Hass wirksam bekämpfen.
Bildquelle: Emanuel African Methodist Episcopal (AME) Church