Die Grünen sind in letzter Zeit immer stärker zur Zielscheibe von Hass geworden – und das nicht nur im rechtsextremen Milieu. Zudem hat die Treibjagd gegen die Öko-Partei und ihre Vertreter längst die „sozialen Medien“ verlassen. Er tobt sich teils gewalttätig auf der Straße aus – und es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis erste Opfer zu beklagen sind. Schlimm auch: Selbst im demokratischen Spektrum gibt es ob dieser Übergriffe klammheimliche Freude.
Hier drei von zahllosen Hass- und Gewaltausbrüchen gegen Grünen-Vertreter: Die spektakulärste Aktion war wohl die gegen den Grünen Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck Anfang Januar. Eine Zusammenrottung aus aufgebrachten und aufgehetzten Bauern und einem rechter Mob wollten die Fähre stürmen, mit der Habeck nach einem Kurzaufenthalt auf der Hallig Hooge ins nordfriesische Schüttsiel zurückkehrte. Die herbeigerufene Polizei konnte die Krawallmacher nicht bändigen – der Kapitän ordnete deshalb in letzter Sekunde geistesgegenwärtig das sofortige Ablegen an, bevor es noch gefährlicher wurde.
Seitdem, so scheint es, haben Rechtsextreme und solche, die man verharmlosend „Wutbürger“ nennt, im fast wörtlichen Sinne Blut geleckt. Wo immer Grünen-Politiker auftauchen, können sie sich nicht einmal mehr ihrer körperlichen Unversehrtheit sicher sein – und das mitten in einer Demokratie.
Das musste auch Cem Özdemir erfahren, dessen geplanter Auftritt beim Politischen Aschermittwoch im baden-württembergischen Biberach nach gewalttätigen Ausschreitungen abgesagt werden musste. Bauern hatten den Tross des Grünen Bundeslandwirtschaftsministers angegriffen, ein Stein hatte die Scheibe einer Dienstlimousine durchschlagen, etliche Polizisten wurden verletzt.
Vor einigen Tagen blockierten schließlich offenbar gewaltbereite Landwirte und andere die Grünen- Parteichefin Ricarda Lang, die zu einer parteiinternen Veranstaltung ins sachsen-anhaltinische Magdeburg gereist war. Es kam zu brenzligen Situationen, bevor die eingekesselte Grüne mit großer Verzögerung endlich wieder abreisen konnte.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Grünen im Zentrum einer überbordenden Hass-Kampagne stehen. Unvergessen die riesige Aufregung, die die damalige Grünen-Fraktionschefin Renate Künast auslöste, als sie im Bundestagswahlkampf 2013 einen „Veggie-Day“ in allen öffentlichen Kantinen vorschlug. An einem Tag (!) pro Woche sollten die Kantinen Speisen ohne Fleisch anbieten, so die Idee.
Welch ein Skandal!! Vor allem nach Ansicht derjenigen, die schon immer mit Hass und Hetze ihr Geld verdienen. „Die Grünen wollen uns das Fleisch verbieten“, titelte damals die „Bild“- geifernd und gegen alle Fakten. Die Treibjagd auf Künast war eröffnet. Die Springer-Presse und konservative Politiker kochten das offenbar extrem populistische Thema Fleisch immer weiter und immer wieder. Bis heute wird Künast, die politisch längst in die zweite Reihe gerückt ist, von sexistischen Anfeindungen und Hassbotschaften bis hin zu Morddrohungen verfolgt.
In den Augen der Grünen-Feinde war der Angriff gegen die Grünen damals erfolgreich. Er dient bis heute als Blaupause. Seitdem wird die Partei als „Verbotspartei“ gebrandmarkt – ob es um Corona-Maßnahmen geht, um Umweltschutz oder um die Verkehrspolitik der Kommunen. Nie war populistische Verhetzung so einfach.
Die teils gewalttätigen Proteste gegen die Grünen können in diesen Tagen sicherlich auch als ein Gegenschlag von Rechtsextremisten angesehen werden. In Zeiten, in denen Hunderttausende friedlich gegen das Erstarken der Nazi-Partei AfD auf die Straße gehen, nutzt diese die aufgepeitschte Stimmung zur Revanche. Namentlich in Ostdeutschland fürchten sich Kommunalpolitiker, die sich gegen die AfD stellen, inzwischen um Leib und Leben. Angst – auch um die eigene Kinder geht um – vor allem in Kleinstädten und auf dem Land, wo jeder jeden kennt.
Man muss kein Anhänger der Grünen sein. So manche Kritik an der Öko-Partei ist nicht nur legitim, sie ist auch angebracht. Was aber überhaupt nicht geht, ist die Herabwürdigung, ja Hetze, die nicht nur der Partei sondern einzelnen Mitgliedern entgegenschlägt – vor allem Grünen Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund in der Öko-Partei. Wenn etwa der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an Aschermittwoch posaunt, sein Hund sei gebildeter als die Grünen-Parteichefin Ricarda Lang (und übrigens auch als SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert), weil sein Hund ja eine Ausbildung habe, dann hat Söder mit diesem Tier-Vergleich den Rahmen des unter Demokraten Sagbaren verlassen. Und wenn er die Bundesumweltministerin Steffi Lemke von den Grünen in der selben Rede mit Margot Honecker, der ehemaligen Volksbildungsministerin der DDR, vergleicht, dann ist das nicht nur geschmacklos, es ist auch dumm und geschichtsvergessen. Dass Söder in seinen Reden vor Anhängern zudem immer und immer wieder die Lüge verbreitet, die Grünen wollten das Fleischessen verbieten, ist mehr als dummdreist. Fällt dem bayerischen Ministerpräsidenten wirklich nichts Besseres ein als solch ein Schwadronieren auf Schulhof-Niveau? So stachelt man zu Hass an – und Söder weiß das. Er nimmt damit die jüngsten Übergriffe auf der Straße zumindest billigend in Kauf.
Auch CDU-Chef Merz, der die Grünen zum „Hauptgegner“ gekürt hat, tut sich nach den Übergriffen auf diesen Gegner schwer mit demokratischer Solidarität. Zwar kritisierte er pflichtschuldig die Pogrom-Stimmung in Biberach, der die Grünen weichen mussten: Solche Parteiveranstaltungen „müssen stattfinden können“, so der Christdemokrat. Um gleich darauf zumindest eine Teilschuld den Grünen selbst zuzuweisen: „Wenn ihr mit den Landwirten umgeht, wie ihr das in den vergangenen Monaten gemacht habt, dürft ihr euch über die anhaltenden Proteste nicht wundern,“ so Merz. Welch eine verquere Rechtfertigung von Gewalt.
Es ist zu befürchten, dass auch die körperlichen Angriffe auf die Grünen in den kommenden Monaten noch deutlich zunehmen werden. Der Wahlkampf in drei ostdeutschen Bundesländern steht an – und überall wird die rechtsextreme AfD ihn brutal führen. Die bundesweiten Proteste mit hunderttausenden Teilnehmern gegen die Extremisten werden diese eher noch aufstacheln. Schlimmes ist zu erwarten – von Einschüchterungen bis zur offenen Gewalt.
Die einzige Chance, sich dieser faschistischen Gefahr entgegenzustellen ist es, dass sich alle demokratischen Parteien und deren Anhänger unterhaken und ein Bollwerk der Anständigen bilden – ungeachtet aller Meinungsverschiedenheiten. Für antigrüne Hetze und persönliche Diffamierungen sollte unter Demokraten kein Platz sein – so sehr es Populisten wie Söder auch jucken mag. Glaubt der Bayer denn, er sei auf der sicheren Seite, wenn er sich dem Tonfall der Extremisten angleicht? Glaubt er denn, die Grünen seien ein wirksamer Blitzableiter, der die konservativ-demokratische Rechte im Ernstfall vor dem Zugriff der Extremisten schützen kann?
Söder und andere seines Kalibers seien an die Worte des evangelischen Theologen Martin Niemöller (1892 – 1984) erinnert, der von 1937 bis 1945 von den Nazis in Gefängnisse und Konzentrationslager gesteckt wurde. Niemöller, der in den 20er und 30er Jahren selbst mit dem Nationalsozialismus sympathisiert hatte, schrieb nach dem Krieg:
„Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Eindringliche Worte, die erschaudern lassen und zu denken geben sollten. Auch einem Söder und auch einem Merz.
Grundsätzlich unterschreibe ich diesen Artikel und den Aufruf zur Anständigkeit.
Man sollte allerdings auch beachten, dass harter, inhaltlicher Diskurs auch gegen Positionen von Linken und Grünen grundsätzlich legitim sind und in einem demokratischen Rechtsstaat alle Bürger das Recht haben, sich zu äußern, gehört und auch politisch vertreten zu werden.
Dazu gehört auch, sachlich den Grünen nicht genehme Positionen vertreten zu können und als Reaktion statt inhaltlicher Auseinandersetzung lediglich Etikettierungen wie „Rechter“, „Schwurbler“, „Rassist“ oder „Klimaleugner“ zu erhalten. Genau diese Haltung der Grünen, ihre inhaltlichen Gegner zu bewerten, zu stigmatisieren und letztlich zu entwerten, führt zum berechtigten Eindruck der Arroganz und sicher nicht zu Sympathien der Mehrheit.
Auch sind die Menschen, die die Grünen als „veränderungsmüde“ bezeichnen, nicht „müde“, sondern von ihrer „Hauruck-Politik“ von oben herab schlicht überfordert. Wir haben zum Beispiel gerade unser Häuschen zum Grundstückswert verkaufen müssen, weil die neuen Forderungen für uns unerfüllbar sind. Mit „Müdigkeit“ oder „Unwilligkeit“ hat das nichts zu tun.
Die Grünen interessiert das nicht. Sie haben nur eine Perspektive: die ihre. Wenn man von den Menschen als eine Partei der Mitte respektiert werden will, muss man sich ihnen zuwenden. Auch, wenn sie nicht großstädtisch, akademisch und links sind.
Wie wahr, was Lutz Heuken da über die geballte rechte Aggressionswelle gegen die Repräsentanten der ‚Grünen‘ schreibt. Neben vielen anderen Motiven spielt dabei auch ein heftiger Anti-Feminismus eine wichtige Rolle. Bei den ‚Grünen‘ waren und sind immer viele starke Frauen in der ersten Reihe der Tagespolitik. Und das provoziert die immer noch männerdominierte politische Rechte „bis aufs Blut“ – was vielleicht auch einmal im wörtlichen Sinne gemeint sein kann. Ich schreibe das übrigens als ein Nicht-Mitglied der ‚Grünen‘ und habe auch in vielen politischen Streitthemen der Gegenwart oft große Vorbehalte gegen allzu fundamentalistische, vorallem sozialpolitisch fragwürdige Positionen der ‚Grünen‘.Aber das spielt in dem von Heuken vorgezeichneten Rahmen keine Rolle. Es geht heute, hier und jetzt um die Verteidigung demokratischer und ziviler Grundwerte gegen von aggressiven rechten Verschwörungsideologen aufgewiegelten Wutbürgern. Das Gendersternchen verkneife ich mir an dieser Stelle, sonst könnte ich mir vielleicht nicht erlauben, meinen Namen unter diesen Kommentar zu setzen. Den dann zu erwartenden Shitstorm möchte ich doch lieber vermeiden.
Carl Wilhelm Macke ( München )