Die Juristin Jannina Schäffer hat gewiss kein gewöhnliches Promotionsthema gewählt. Ihre Doktorarbeit ist gerade unter dem Titel „Harry Potter und die Gesetze der Macht“ erschienen. Darin stellt Schäffer – unter dem Blickwinkel des Rechts – vergleichende Bezüge her insbesondere zwischen der magischen Welt von Harry Potter und der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft. Das tut sie auf beeindruckende Weise, aber mit zum Teil verstörenden Ergebnissen. Denn es gibt mehr Parallelen, als man auf den ersten Blick denken könnte, und sicherlich mehr, als den meisten Fans der Romanserie lieb sein dürfte; passend dazu gab es auf der Plattform „X“ durchaus kritische Reaktionen.
Ein zentraler Punkt ist die Rechtsstaatlichkeit, die sowohl im Dritten Reich als auch in der Zauberwelt Harry Potters fehlt. Unter der totalitären Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten gab es keine echte Gewaltenteilung. Auch in der magischen Romanwelt sucht man danach vergeblich. Ebensowenig gibt es hier wie dort eine unabhängige Gerichtsbarkeit oder gar menschenwürdigen Haftbedingungen. Bei Joanne K. Rowling – der Autorin der Potter-Reihe – werden in den Romanen Gefangene auf der düsteren Insel Askaban von sogenannten Dementoren bewacht und gefoltert, indem sie ihnen jegliches Glücksgefühl nehmen. Der Zaubereiminister ist vor dem höchsten Gericht, dem Zaubergamot, Richter und Ankläger zugleich. Und dieses Gericht kann sogar die Todesstrafe verhängen. Ähnlich wie bei den Nazis gibt es Rassenwahn („dreckiges kleines Schlammblut“) und Zwangsarbeit („Dobby ist an Todesdrohungen gewöhnt, Sir“) sowie ein korruptes Law-and-Order-System („Magie ist Macht“), das all dem einen Nährboden bietet.
Diese Betrachtungen werfen ein neues Licht auf die Harry-Potter-Romane. Es mag nicht recht passen zu der lustigen Fantasiewelt mit Hogwarts-Express und Quidditch-Turnieren. Harry Potter lebt in einem magischen Polizeistaat.
Schäffer arbeitet solche Parallelen – ohne Verharmlosung der NS-Verbrechen – in ihrer Dissertation sehr gut heraus. Allein deshalb ist der Text lesenswert. Harry-Potter-Fans sei die Lektüre ebenfalls empfohlen. Sie finden hier eine sicher nicht ganz alltägliche Lektüre.
Der Vergleich mit dem Naziregime kommt mir willkürlich gewählt vor. Zunächst sind die Harry-Potter-Geschichten Märchen. Ein Märchen, in dem ein Rechtsstaat und eine Demokratie vorkommt, ist mir nicht bekannt. Märchenwelten sind praktisch immer Monarchien oder Diktaturen. Das hängt erzähltechnisch auch damit zusammen, dass Monarchien und Diktaturen viel leichter zu beschreiben sind als Demokratien, weil sie einfacher strukturiert sind. Nicht jeder Diktator ist ein Hitler. Im Spezielleren ist mir bei der Harry-Potter-Lektüre aufgefallen, dass die Figur des „Staatsanwaltes“ Crouch ziemlich deutliche Anspielungen auf stalinistische Schauprozesse aufweist. Hier also sollten wir mit dem Stalin-Terror vergleichen, nicht mit dem Hitler-Terror. So ergibt es viel mehr Sinn, zumal Joanne Rowling auch auf den Trotzkismus anspielt: Hermines Versuch, die Hauselfen zur Revolution aufzuwiegeln, erinnert an trotzkistische Revolutionsmacherei. Die Konstruktion der „Todesser“, auch ihr seltsamer Name, spielen wohl auf die SS an, die den Totenkopf als Symbol trugen; aber auch auf den Ku-Klux-Klan mit seinen brennenden Kreuzen. „Den Tod gegessen haben“ ist eine Metapher, die im Alten Testament vorkommt. Der Rassismus der „Todesser“ spiegelt nicht nur den Rassismus der Nazis wider, sondern auch den des Apartheid-Regimes in Südafrika oder des Ku-Klux-Klan in Usa.