Er lebte auf einen Bauernhof, zurück gezogen, um neue Lebensformen zu erproben, inmitten einer natürlichen Umgebung, mit seinen Tieren. Hier schrieb und komponierte er. Ich hätte ihn gern das Folgende gefragt:
Sie waren Schriftsteller, Komponist, politischer Publizist, Orgelbauer, Musikverleger, aber auch Landwirt und Pferdezüchter. Bekannt wurden Sie als Literat und Musiker. Als was verstehen Sie sich in erster Linie?
Kunst entsteht aus dem ‚Hinschauen’ und dem ‚Hinhören’. Beide Gattungen haben ihre ‚Sphären’, in denen sie wirkungsvoll sind. Vieles lässt sich sprachlich nicht oder nur unzureichend ausdrücken. Da kommt die Musik ins Spiel, die mehr Möglichkeiten aufweist. Ich habe stets versucht, das ‚Nichtverstehbare zu verstehen’.
Der Künstler kann nur einen Zipfel des Seins ergreifen. Auch er erfährt die ‚Mauer aus Unzulänglichkeiten’, von denen er umgeben ist. Ich lauere auf den Schlag der Glocke, damit das alles übertönt wird. Es ist der Augenblick, den ich deuten kann. Der glückhafte Augenblick.
Worin sehen Sie dieses ‚Nichtverstehbare’?
Ganz allgemein gesprochen besteht es in der Art und Weise, wie wir mit der ‚Schöpfung’ umgehen. Der Mensch dünkt sich, die Krone der Schöpfung zu sein. Diese Sicht schmeichelt ihm. Aus der sich selbst zugeschriebenen Stellung in der Schöpfung leitet er das Recht ab, sich die Erde ‚untertan’ zu machen, wie es so seltsam zweideutig heißt. Die Realisierung dieses Anspruchs bedeutet freilich, dass er aus der natürlichen Ordnung heraustritt, deren Teil er doch ist. Er betrachtet fortan die Natur als sein Gegenüber; als Objekt und Ressource. Dabei erweist er sich als unfähig, die weit gespannten Absichten der Schöpfung zu erkennen. Je mehr Menschenwerke er anhäuft, und so sehr er sich auch bemüht, seine Naturerkenntnisse zu erweitern – desto größer wird die Distanz zu seinen Ursprüngen. Dabei weiß er so gut wie nichts über die Entstehung des Lebens und der Welt.
Sie haben den Menschen einmal als ‚Fehlkonstruktion der Schöpfung’, als ‚Schöpfungsfehler’ bezeichnet. In Ihren Romanen beschreiben Sie das Ausmaß an Grausamkeit und Destruktivität, dessen der Mensch fähig sei. ‚Versöhnung’ könne allein die Kunst bewirken, insbesondere die Musik. Ist diese Auffassung auch der Antrieb Ihres Schreibens?
Ich habe in all meinen Werken versucht, diese ‚Dunkelheit’, die unser Dasein umgibt, zu durchdringen. Das ist vor allem eine Frage der Erkenntnis. Würden wir die Natur als ‚System’ besser verstehen, d.h.: ihre Wirkungszusammenhänge – es wäre ein erster, wichtiger Schritt. Wir verstehen zu wenig von den natürlichen Kreisläufen. Allein durch die Unterbrechung von Nahrungsketten und die Zerstörung von Lebensräumen sterben Hunderte von Pflanzen- und Tierarten aus. Und zwar ständig und überall auf der Welt.
Aber auch im menschlichen Zusammenleben tut sich eine tiefe, unüberwindbar scheinende Kluft auf. Der Mensch ist dasjenige Exemplar der Schöpfung, das über einen schier unausrottbaren Trieb verfügt, sein Ego und seinen Eigennutz auszuleben. Es ist unser vollständiger Mangel an Empathie, der universell geworden ist.
Haben Sie denn überhaupt Hoffnung, dass sich daran je etwas ändert? Und vor allem: Was kann die Kunst dazu beitragen?
Allzu viel Hoffnung habe ich nicht; aber der Mensch hofft, solange er lebt. Sonst müsste er vollends verzweifeln. Ein radikales Umdenken wäre für den Menschen von existentieller Bedeutung, weil es den Jammer über den Zustand der Schöpfung mildert und zugleich die schauderhafte Gleichgültigkeit gegenüber der Welt ein Stück überwinden hilft. Als ein verständiger Teil der Natur könnte er eine Mittlerfunktion einnehmen in einer sich weitgehend selbstregulierenden natürlichen Ordnung.
Der menschliche Geist hat die Wirklichkeit nie als etwas ‚Ganzes’ betrachtet. Sie entzieht sich seinen Sinnen und seiner Erkenntnis. Mit der Trennung von Mensch und Natur, die ursprünglich untrennbar miteinander verwoben waren, hat sich eine Denkweise etabliert, die beide zusammen gehörigen Elemente gegeneinander verselbständigt. Die Wirklichkeit ist von unfassbarer ‚Gleichzeitigkeit’; hier liegt die strukturelle Begrenztheit der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit. Dem Menschen fehlt es an der bedingungslosen Demut, angesichts der Tatsache, dass er von der Welt zu wenig weiß. Aber auch das weiß er eben nicht.
Und was ist mit der Kultur?
Sie lässt sich nicht trennen von der geschichtlichen Entwicklung, die auf Unterdrückung, Verrohung, Entfremdung und Entsinnlichung beruht. Der Mensch glaubte, einer Technik der Naturbeherrschung das Wort reden zu müssen und von ihr zu profitieren. Aber allmählich dämmert ihm, dass uns die Resultate unseres Schaffens immer mehr entgleiten. Der Einzelne erscheint gegenüber den Menschenwerken als hoffnungslos überfordert. Wir wollten uns die Erde untertan machen und werden längst selbst in dem von uns entfachten Strudel mitgerissen. Darin besteht die ‚Dialektik der Naturbeherrschung’. Wir haben die Grenzen unserer Erfahrungsmöglichkeiten überschritten. Wir können die Konsequenzen unserer Taten nicht mehr kontrollieren und bekommen die Komplexität der von uns hervorgebrachten Werke nicht mehr in den Griff. Das ist die tiefer liegende, prinzipiellere Ursache für die Grenzen unserer Erfahrung.
Ist dies der tiefere Grund bzw. die Atmosphäre, in der Kunst entsteht?
Der Künstler folgt keinem höheren Trieb, eher ist er ein Getriebener, der dem bitteren Verlangen entspricht, der tödlichen Leere des Daseins wenigstens zeitweilig etwas entgegen zu setzen. Insofern ist der Künstler ‚Medium und Schöpfer’ zugleich, und das Gelingen seiner Arbeit hängt entscheidend von seiner ‚Empathiefähigkeit’ ab. Aber auch der Künstler kann immer nur einen Zipfel des Seins ergreifen. Und schon dazu bedarf es eines Genies, eines Glücksfalls, damit die Mauer aus Gleichgültigkeit, die uns umgibt, ein wenig durchlässiger wird.
Kann man sagen, dass Sie in Ihrem Hauptwerk ‚Fluss ohne Ufer’ eine Art ‚Erlösungsphantasie’ entwickeln, indem Sie versuchen, das Unausweichliche als Schöpfungstragik darzustellen? Für mich hat der Rhythmus des Romans, wenn man das so sagen kann, etwas geradezu ‚Musikalisches’, den Sound einer ‚Sprachmelodie’, vor allem in der Art, wie Sie ‚Naturerfahrungen’ oder ‚Gefühlslagen’ schildern. Das hat oft auch etwas ‚Übergriffiges’. Ihre Wort-Kaskaden können mitrei-ßen, sie können einem aber auch den Atem nehmen. Vielleicht wäre ‚transgressiv’ der richtige Ausdruck dafür. Sie überschreiten ständig Grenzen der künstlerischen Ausdrucksformen; aber auch der Moral oder dessen, was gemeinhin als Norm der Zivilisation gilt. Diese gewisse ‚Tabulosigkeit’ haben viele Ihrer Kritiker Ihnen vorgeworfen.
Dabei habe ich gar nicht in erster Linie schockieren wollen; vielmehr ging es mir mit meiner Kunst darum, die gesellschaftlichen Übereinkünfte, die gängigen Muster, einfach einmal außen vor zu lassen. So gesehen wäre meine sogenannte ‚Tabulosigkeit’ in erster Linie eine Art ‚Vorurteilslosigkeit’. Ich versuche, bei aller Kritik an den Verhältnissen, einen ‚Möglichkeitsraum’ zu eröffnen, indem ich die ‚Utopie’ eines geglückten Lebens, einer Harmonie von Mensch, Tier und Natur aufzeige.
Jemand mit Ihren Lebenserfahrungen, der den Glauben an den ‚Geist der Aufklärung’ und die ‚Hoffnung auf Fortschritt’ aufgegeben hat, der mithin keinerlei ‚Erlösung’ erwartet, versucht dennoch, die erkannte Ausweglosigkeit in eine ‚Kunstanstrengung’ zu überführen. Hat das nicht etwas ‚Heroisches’?
Ich denke nicht. Aber klar war mir immer, dass ich meine Anliegen nicht mit den Mitteln ‚konventioneller Kunstformen’ realisieren konnte. Also experimentierte ich, obwohl ich das Scheitern ständig vor Augen hatte. Aber während der rauschenden Flügelschläge der Arbeit gelingt es mir manchmal, ein Motiv aus mir heraufzuholen und die merkwürdige Beschwingtheit des ‚Nichtanderskönnens’ zu erfahren. Ich warte förmlich darauf, dass ein ‚Sphärenklang’ mich anweht, den ich in einen Sprachrhythmus oder in Musik verwandeln kann.
Sie haben vieles von dem, was Sie künstlerisch bearbeitet haben, praktisch erprobt. Und Sie haben verschiedene Lebensformen ausprobiert, haben in einer Landkommune gelebt, in diversen Beziehungen und oft auch allein auf sich gestellt.
Das alles ist in irgendeiner Weise in meine Kunst eingeflossen, wenn ich so sagen darf. Ich habe versucht, daraus ein ‚Fest der Sprache’ zu machen, auch wenn meine Botschaften zum Jubeln oft keinen Anlass boten. Das Ganze war für mich ein großes Abenteuer oder wenn Sie so wollen: eine ‚Schule der Naturwahrnehmung’.
Man merkt Ihnen die Nähe zu den Dingen an, die Sie umgeben. Sie machen zwischen Tieren, Pflanzen, Gesteinen und Menschen prinzipiell keinen Unterschied. Es geht Ihnen immer um die ganze Schöpfung. Und der Mensch wird von Ihnen als Teil dieser Schöpfung beschrieben, sein Seelenleben wird an einer Stelle als ‚das wunderbar symmetrische Innere einer Blüte’ beschrieben. Alles in allem ist es ein großes ‚Experiment’, und sobald man Sie liest, begibt man sich auf eine ‚Lesereise’ in unbekanntes Terrain.
Dabei weiß ich, dass ich keinen großen Leserkreis erreicht habe. Wenn jemand konventionelle Maßstäbe und Tabus hinter sich lässt, macht er es seinem Publikum nicht leicht. Die meisten Leute wollen Abenteuer, aber sie wollen sie möglichst nicht selbst erleben, sondern lieber als Film, den sie sich anschauen und zu dem sie Distanz halten können.
Aber ich klage nicht über die eigene Verkanntheit. Es ist sinnlos, wir sollten damit aufhören. Denn das hat ja oft mit der Originalität und, ja, auch mit der Qualität der künstlerischen Arbeit zu tun, um die es geht. Viel erstaunlicher ist für mich, dass maßgebliche Schriftsteller, Komponisten und andere Künstler mich wahrgenommen und geschätzt haben. Das ist mir Genugtuung genug. Da weiß ich, dass mein Schaffen nicht umsonst gewesen ist und es möglicherweise in den Werken anderer weiterlebt.
Eine sehr originelle Idee, den grossen Jahnn anläßlich seines 130. Geburtstages mit einem Interview zu ehren. Und ganz im Sinne des Alten, der ja granitfest an ein Weiterleben glaubte, wenn nur die rechten materiellen Bestattunjgsriten eingehalten werden. Fester, schwerer Eichensarg, darin die körperliche Hülle nochmal sauber in Zink verlötet und das Ganze in Beton gebettet. Die Ugrino-Eingeweihten wissen Bescheid. Jährlich lauscht man am Grab in Ottensen, aber es wird wohl noch 5 Jahre dauern, bis nach Ablauf der 70 jährigen Rechtefrist eine Stimme zu hören sein wird, die den grossen Roman oder wenigstens die Overtüre „Holzschiff“ vorliest. Ruhe sanft bis dann. Unvergessen.