Um es noch einmal deutlich zu sagen: Uns Christinnen und Christen ist nicht egal, in welchem Staat wir leben. Manche denken über uns, dass wir denken (und glauben), Gott wird das am Ende schon alles irgendwie richten. Doch den Verlust von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit, wird Gott genauso weniger korrigieren wie den menschengemachten Klimawandel umkehren, auch wenn wir ihn noch so innigst darum bäten. Das müssen wir schon selbst tun.
Beten allerdings hilft trotzdem. Das möchte ich auch sagen. Das Gebet kann immer wieder neu auf wundersame Weise Kraft geben, wo Angst und Ohnmacht lähmen. „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und Besonnenheit“ (2. Timotheus 1,7) ist mein Leitwort. Oder mit dem Theologen und entschiedenen Widerstandskämpfer gegen die Nazis Dietrich Bonhoeffer gesprochen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Als Christ warte ich mit Bonhoeffer aber eben nicht fromm auf die Erlösung im Himmel, sondern möchte diese Welt bewahren, schützen und gestalten. Das ist unser Auftrag – auch heute.
„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gott ist“, erklärte Jesus vor 2000 Jahren. Was er damit meint: Gott allein gebührt die Anbetung. Er bekommt meinen Dank, dass ich lebe, auch manche Klage, Sorge und die Bitte um Vergebung. Eine lebenswichtige Bitte, denn kein Mensch ist perfekt und hat alle Weisheit.
Und was bekommt der Kaiser? Schon Jesus war bereit, ihm Geld zu geben, konkret ging es um Steuern, damit er damit Gutes tut für das Zusammenleben aller. Wie viel mehr gilt das heute in einer Demokratie, getragen von so vielen, die Verantwortung übernehmen in Regierung wie Opposition. Was gebe ich ihr? Meine Stimme. Und zwar den Parteien, die sich für Gemeinsinn einsetzen und die Menschenwürde stärken. Ja, gerade die Haltung zur Menschenwürde ist für mich der wichtigste Wahlbaustein. Denn die Menschenwürde schöpft aus der christlichen Vorstellung, dem Menschenbild, dass sich ausnahmslos in jedem von uns etwas einmalig, unverfügbar Wertvolles finden lässt, ein „Ebenbild Gottes“. Wenn dieses Leitbild aus dem Rahmen rutscht, verliert eine Gesellschaft auf Dauer jeden Halt.
Wählen ist darum Christenpflicht. Und derzeit wichtiger denn je. Denn es geht um uns alle in Europa, das größte Friedensprojekt, das unser oft so zerrissene Kontinent je erfahren durfte. Am besten bringt jeder von uns noch einen womöglich Nicht-Wähler oder Nicht-Wählerin mit an die nächste Urne. Das kann viel bewegen.
Demokratie lebt von Zuversicht. Wir erleben eine Zeit, die verunsichert und erschöpft. Als Antwort darauf suchen Menschen, und ich kann das nachempfinden, vor allem das eigene Dasein abzusichern und Schutz in vermeintlich Vertrautem und Altbekanntem. Gerade weil Christen nicht egal ist, in welchem Staat wir leben, halten wir die Tür zum Nächsten wie zum Himmel offen. Damit stiften wir ein Doppeltes für unsere Gesellschaft: 1. Gemeinschaft über enge nationale, kulturelle und religiöse Grenzen hinweg und 2. Vertrauen und Hoffnung, dass das Leben und Zusammenleben trotz allem gelingt. Ich bin dabei.
Zum Autor: Joachim Gerhardt aus Bonn ist Journalist und Pressepfarrer der Evangelischen Kirche und hat zuletzt in der Bundesstadt auf Wunsch der Parteien die große Kundgebung für Demokratie und Menschenwürde moderiert, an der in Bonn mehr als 30.000 Menschen teilgenommen haben.
Aktion „Die Würde des Menschen ist unantastbar“
Weil es darauf ankommt, dass die öffentliche Unterstützung für unsere Demokratie anhält und sich weiter ausbreitet, wird auch der Blog der Republik immer wieder auf den Aufruf, „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wir stehen für Demokratie und Rechtsstaat.“, bis zum 23. Mai, dem 75. Geburtstag unseres Grundgesetzes, hinweisen und die Stellungnahmen weiterer Unterstützerinnen und Unterstützer veröffentlichen.
Mehr als 100 Persönlichkeiten aus der demokratischen Zivilgesellschaft haben am Tag der deutschen Einheit öffentlich dazu aufgerufen, für unsere Demokratie einzutreten. Initiiert worden ist der Aufruf vom ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden im Düsseldorfer Landtag, Norbert Römer und dem Chefredakteur der Zeitung „Neue Westfälische“ aus Bielefeld, Thomas Seim. Sie haben mit ihrer Initiative Unterstützung bei Alfons Pieper und Uwe Pöhls, den Herausgebern vom Blog der Republik bekommen, die sofort zugesagt haben, den Aufruf in ihrem Blog zu veröffentlichen. Alfons Pieper: „Wir müssen Gesicht und Haltung zeigen, wenn es gegen Menschenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus geht, für die die AfD steht. Wir dagegen stehen für Demokratie und Menschenwürde.“
Unterschrieben haben inzwischen neben den über 100 Erstunterzeichnerinnern und Erstunterzeichnern viele Bürgerinnen und Bürger, Politiker wie Michael Theurer, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Digitales und Verkehr, Mitglied des FDP-Präsidiums und Landesvorsitzender der FDP in Baden-Württemberg, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger(FDP), frühere Bundesministerin der Justiz und Antisemitismusbeauftragte für NRW, Jürgen Merschmeier, Ex-Sprecher der CDU zu Zeiten des CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler und heutiger Berater, die ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Ulla Burchardt aus Dortmund, Gaby Witt, einst enge Mitarbeiterin des früheren SPD-Bundesvorsitzenden und schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Björn Engholm, und viele, viele Leser des Blog-der-Republik aus allen Teilen Deutschlands, aus Dachau ebenso wie aus Hamburg, aus Essen wie aus Rheda-Wiedenbrück, aus Freiburg wie aus Waldkirch, Unterhaching, Ottobrunn, Gummersbach, Bonn, München, Castrop-Rauxel und und und. Die Liste, die beigefügt ist, wird immer länger und das ist gut so und zeigt, wie richtig wir liegen mit dem Kampf für die Demokratie und gegen den Rechtsextremismus, gerade nach den Wahlen in Hessen und Bayern und den terroristischen Angriffen der Hamas gegen Israel, verbunden mit vielen Toten und Entführungen sowie den Bombenangriffen der israelischen Luftwaffe gegen die Hamas mit Hunderten von Opfern.
„Der Feind steht rechts“. So hatte es Reichskanzler Josef Wirth 1922 nach der Ermordung von Reichsaußenminister Walther Rathenau durch Rechtsradikale vom antisemitischen „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund“ gesagt. Eine Mahnung, wie sie vor Jahren vom damaligen CDU-Ministerpräsidenten von NRW, Armin Laschet zitiert wurde.
Den Aufruf sowie die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner finden Sie hier:
Weitere Unterstützung ist gewünscht. Per E-Mail und mit Namen und Adresse (Adresse wird nicht veröffentlicht, nur Name und Ort) an folgende E-Mailadresse: freiheit-braucht-demokratie@blog-der-republik.de, Aufruf „Die Würde des Menschen ist unantastbar – Wir stehen für Demokratie und Rechtsstaat“.
Bildquelle: Joachim Gerhardt, Foto_Ulrich_Pueschmann