Die Überzahl der Männer war erdrückend, als der Parlamentarische Rat 1948 zusammentrat, um eine Verfassung für Westdeutschland auszuarbeiten. Ganze vier Frauen gehörten der 65-köpfigen Versammlung an, und selbst die hat die Geschichtsschreibung über Jahrzehnte hinweg unterschlagen. Beharrlich war von den Vätern des Grundgesetzes die Rede, wenn es galt, die Errungenschaften zu rühmen. Erst spät rückten auch die „Mütter“ in den Blick.
Frieda Nadig, Elisabeth Selbert, Helene Weber und Helene Wessel waren die vier weiblichen Mitglieder des Parlamentarischen Rates, denen Artikel 3, Absatz 2 zu verdanken ist: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Sie kämpften um ein Ideal, das vor 75 Jahren für die Mehrheit der Männer eine Ungeheuerlichkeit darstellte und bis heute weit von seiner Verwirklichung entfernt ist.
Häme und Empörung schlug den Vieren entgegen – allesamt Juristinnen, die sich über die Parteigrenzen hinweg für ihr gemeinsames Ziel der vollen Gleichberechtigung einsetzten. Insbesondere die Sozialdemokratin Elisabeth Selbert machte die Öffentlichkeit mobil, hielt unermüdlich Vorträge, rüttelte die Frauen auf, die im Zweiten Weltkrieg in den Büros und Fabriken und danach als Trümmerfrauen ihren Mann gestanden hatten. Waschkörbeweise trafen daraufhin Eingaben aus der Bevölkerung an den Parlamentarischen Rat ein. Die Männer lenkten ein. Die ebenso schlichte wie unmissverständliche Botschaft „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ wurde mit dem am 23. Mai 1949 verabschiedeten Grundgesetz zum Auftrag an das Land.
Der Kampf der vier Frauen war damit nicht beendet, er begann erst. Eine Fülle von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, die den Männern Vorrechte über die Frauen einräumten, war zu reformieren. Bei der ersten Bundestagswahl 1949 zogen 6,8 Prozent Frauen als Abgeordnete ins Parlament ein. Aktuell liegt ihr Anteil bei 34,8 Prozent. In der Politik sind Frauen weiter in der Minderzahl, und in der Lebenswirklichkeit sind Benachteiligungen an der Tagesordnung.
Frauen verdienen rund ein Fünftel weniger pro Arbeitsstunde als Männer, leisten den Löwenanteil bei der Carearbeit, stoßen beim beruflichen Aufstieg an gläserne Decken und so fort.
Das Grundgesetz verkündet eben keine gesellschaftliche Wirklichkeit, sondern setzt den Maßstab für staatliches, politisches und wirtschaftliches Handeln. Die Einsicht, dass die Verfassung allein es nicht richtet, ließ den Gesetzgeber 45 Jahre nach der Sternstunde im Parlamentarischen Rat Artikel 3, Absatz 2 durch folgenden Zusatz ergänzen: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Seit 1994 ist eine aktive Gleichstellungspolitik also Verfassungsauftrag. Für die Einlösung geht der Kampf weiter.