Als die Grünen gegründet wurden vor 40 Jahren in Karlsruhe, waren sie alles andere als eine Partei, sie glichen mehr einer Bewegung, die im Grunde gegen alles war, was das sogenannte Establishment ausmachte. Und sie wollten ja damals auch nicht regieren, sondern mehr blockieren. Sie hatten ein Dienstfahrrad statt Dienstautos, sie durften nur einen Teil der Diäten kassieren, sie waren eben anders als die anderen, die etablierten Parteien. Ihr Kernthema war das Nein zur Atomenergie, war die Umwelt, war alles, was mit ihrem Namen- die Grünen- zusammenhing. Schade, dass wegen der Corona-Pandemie der Grünen-Parteitag nicht wie geplant in der badischen Stadt stattfindet. Und er findet auch nur digital statt, man diskutiert per Video. Andererseits ist der Wechsel nach Berlin auch passend, dort ist die Macht zu Hause, die die Grünen von heute anstreben. Und ihre Chancen sind groß wie nie. Sie können, wenn alles gut geht, sogar wählen: Schwarz-Grün rechnet sich leicht, aber die Träume mancher Grüner gehen weiter- ins Kanzleramt, wenn es denn für Grün-Schwarz reichen sollte. Aber es geht auch vielleicht ein Bündnis mit der SPD und den Linken, wenn die Grünen noch stärker werden und die SPD sich erholen sollte. Aber eines ist für die Grünen klar: Wir wollen regieren.
Der Vergleich mit 1980 mit heute hinkt gewaltig. Die Grünen haben sich gewandelt, sie sind von einer Bewegung am Rande in die Mitte gerückt. Ihre heutigen Wählerinnen und Wähler kommen nicht mehr wie früher aus den Reihen der SPD, das Potential dürfte ausgeschöpft sein. Längst sind sie in die Rolle der früheren FDP geschlüpft, gehören Wählerinnen und Wähler aus der gebildeten und gut verdienenden Schicht zu ihrer Klientel. Man muss sich nur mal die Wahlergebnisse in bestimmten Vierteln der Städte anschauen. Beispielsweise in der feinen Bonner Südstadt. Auch CDU-Wählerinnen und Wähler sind längst fasziniert von diesen zumeist jungen Grünen, das Adenauer-Haus muss sich wappnen gegen diese Umarmungs- und Abwerbungsversuche.
Und während die FDP nur noch am Rande mitspielt und um ihren Einzug in den Bundestag 2021 bangen muss, schielen die Grünen mindestens auf Platz zwei, ja auch die Spitze ist möglich, weil die Union so stark nicht ist, wie die Umfrageergebnisse zur Zeit zeigen. Denn das gute Bild der CDU wird geprägt von der Kanzlerin Angela Merkel, die aber bei der nächsten Wahl nicht mehr antritt. Und ohne Merkel könnte es eng werden für Christdemokraten, deren Spitzenpersonal sich seit Monaten einen heftigen Führungs-Streit liefert, während die Grünen-Spitze sich harmonisch präsentiert. Allerdings muss man hier einschränkend hinzufügen: Noch sind sie sich einig, die Annalena Baerbock und der Robert Habeck, aber irgendwann werden sie entscheiden müssen, wer denn nun antritt als Kanzlerkandidatin oder Kanzlerkandidat. Habeck oder Baerbock?
Wandlungsfähigkeit eines Politikers
Es geht um die Macht in Berlin. Die Grünen von heute treten nicht mehr wie einer ihrer Gründer-Väter(wenn der Begriff erlaubt ist) Joschka Fischer auf, der sich in Jeans und Turnschuhen vereidigen ließ, damit es zur ersten rot-grünen Koalition auf Landesebene in Hessen mit dem SPD-Ministerpräsidenten Holger Börner kommen konnte. Börner war ein strikter Gegner der Grünen, weil er um Arbeitsplätze fürchtete, weil er Industriepolitik ins Zentrum seiner Politik gerückt hatte mit dem größten Arbeitgeber Frankfurter Flughafen. Das ist längst kein Thema mehr. CDU-Regierungschef Volker Bouffier, einst ein Hardliner, hat geschickt den früheren Linken der Grünen, Tarek al-Wasir zum Wirtschaftsminister gemacht. Wer erinnert sich noch an beinahe bürgerkriegsähnliche Zustände im Großraum Frankfurt mit den dazu gehörenden Städten und Gemeinden? Es ging um den Ausbau des Flughafens, die Startbahn West. Der Kampf um diese Startbahn wurde zum Symbol um die richtige Art zu wirtschaften, sagt der Grünen-Minister heute. Tarek-Al-Wasir ist ein Beispiel für die Wandlungsfähigkeit eines Grünen-Politikers, der erkannt hat, dass man, wenn man gestalten, auch verändern will, Macht braucht, dass man in die Regierung muss. Man könnte hier Franz Müntefering zitieren: „Opposition ist Mist“. Damit meinte der SPD-Politiker, der beide Seiten, Regierung und Opposition kennengelernt hatte, genau das Gesagte. Regieren heißt gestalten, Opposition Kritik üben, fordern, gegen etwas sein und nie die Chance zu haben, Erfolge des Gestaltens vorzuweisen.
Die Grünen haben gelernt, als sie mit Gerhard Schröder die erste rot-grüne Koalition auf Bundesebene eingingen. Als ausgerechnet in dieser Regierung, unter einem SPD-Kanzler und einem Grünen Außenminister, deren Partei sich Frieden und Nie-wieder-Krieg auf die Fahnen geschrieben hatte, Deutschland erstmals nach dem 2.Weltkrieg wieder an einem militärischen Auslandseinsatz sich beteiligte, flog Joschka Fischer auf dem später folgenden Grünen-Parteitag in Bielefeld ein Farbbeutel ans Ohr. Fischer wurde nicht nur beschmiert, er musste ärztlich behandelt werden. Grünen-Delegierte beschimpften ihn lauthals als „Mörder“. Die rot-grüne Koalition stand auf der Kippe, aber irgendwie haben sie die Kurve gekriegt. Das war 1999, 21 Jahre ist das her. Die Altvorderen um Fischer sind längst abgetreten, Jürgen Trittin mischt noch mit, aber das Sagen haben die Jüngeren um Baerbock und Habeck, die nichts Revolutionäres an sich haben, die an der Spitze einer bürgerlichen Partei stehen, die dabei ist, sich ein neues Grundsatzprogramm zu geben. Der Eindruck ist da, dass sie nichts anbrennen lassen werden bei ihrem Video-Parteitag, dass sie auf Sicht fahren, nicht überziehen, den Kurs halten, damit sie den Regierungshafen erreichen.
Konflikte sind da, nicht nur, aber auch bei den Grünen. Noch einmal sei auf Hessen verwiesen, auf die A 49, die durch den Dannenröder Forst bei Marburg führt. Die Autobahn ist im Bau, es fehlen noch 30 Kilometer. Das Problem: Es ist eine Bundesautobahn, die von den Amtsvorgängern des Grünen Ministers Stück für Stück weitergebaut wurde. Die Planfeststellung ist seit Jahren fertig, ein Gerichtsverfahren wurde von den Ausbaugegnern verloren. Tarek-Al-Wasir argumentiert, diie Bahn sei ein Projekt des Bundes, die Länder machten das in Auftragsverwaltung. Die Grünen haben 40 Jahre gegen diese Autobahn gekämpft, vergeblich, der Minister wehrt sich gegen Kritik, er könne nichts machen, der Kampf sei nicht zu gewinnen. Robert Habeck hat kürzlich in einem Interview betont, die Grünen handelten nach Recht und Gesetz und nicht rechtswidrig, die Gegner werfen ihm vor, „Grüner Verkehrsminister lässt Wald roden für eine Autobahn, gegen die er immer war“. Er wird verglichen mit dem Präsidenten von Brasilien Bolsonaro, den seine Kritiker eher einen Faschist nennen, der den Regenwald abholzen läßt. Ein übler Vergleich gewiss, der aber zeigt, dass da ein Konflikt sichtbar ist, der noch Auswirkungen haben kann. Und die Gegner dieser Autobahn könnten den Grünen als Unterstützer verloren gehen, schon sind neue Parteien gegründet worden. Diese zumeist jungen Leute, Anhänger der „Friday- for -Future-Bewegung“, pochen auf den Klimaschutz und lehnen die Autobahn-Pläne und die damit zusammenhängenden Rodungen des Waldes ab.
Raus dem engen Milieu
Raus aus einem engen Milieu und ein Angebot an die Breite der Gesellschaft machen, so hörte sich Robert Habeck kurz vor Beginn des Parteitags an. Das wird-siehe Hessen und der Wald und die Autobahn- Konflikte geben, weil die Klimaschutz-Forderer den Klimaschutz über andere Ziele stellen. Das hat nichts mit Öko-Diktatur zu tun, aber mit der Machbarkeit von Politik und mit Recht und Gesetz, das auch für die Grünen gilt. Nicht umsonst hat Habeck darauf klar und deutlich hingewiesen. Womit den Klima-Aktivisten signalisiert wurde, dass die Grünen zwar eine Partei sind, die mit den Klima-Problemen angefangen haben, sie aber nicht der politische Arm dieser Bewegung sind.
So sieht die Veränderung einer Partei aus, die am Anfang keine sein wollte, die aber jetzt Macht will. Und dafür Kompromisse eingehen muss. Wie jede andere Partei auch. Und wie jede andere Partei wahrt sie den Koalitionsfrieden in Landesregierungen, auch wenn einige ihrer Anhänger ihnen das verübeln. So geht Politik, unbequeme Fakten gehören dazu. Die Grünen werden das noch auf Bundesebene merken. Solange man in der Opposition ist, kann man tolle Forderungen stellen, kann man von Visionen reden oder träumen, aber irgendwann kommt es zum Schwur, weil man Mehrheiten für seine Ideen braucht, um sie durchzusetzen in reale Politik. Die Grünen scheinen jeden umarmen zu wollen, Umweltschützer wie die Chefs von Großkonzernen, wie das der Grünen-Ministerpräsident Kretschmann in Baden-Württemberg vormacht, wo er sich nicht mit Daimler-Benz anlegt und natürlich ein Dienstfahrzeug mit dem Stern fährt. Sie umarmen Pazifisten und Realisten, Studentinnen und Wissenschaftler. Sie wollen niemanden vergraulen, auch nicht die Krankenschwester und den Hartz-IV-Empfänger. Noch können sie Konflikte unter den Teppich kehren.
Es wird erst ernst, wenn man selber regiert, erst dann kommt die Frage nach dem Kriegseinsatz irgendwo in der Welt, irgendw ann muss man Farbe bekennen, wie man es mit der Gentechnik hält und wie man das Grundeinkommen finanzieren will. Und die große Frage: Wie soll der ökologische Umbau bezahlt werden? Die Corona-Pandemie hat schon viele Mittel gekostet, weitere Milliarden werden folgen.
Und irgendwann geht es um die Glaubwürdigkeit der Grünen, weil es um ihre Grundsätze gehen wird, die nicht jedem Kompromiss in der Politik standhalten werden.
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