Bei den demoskopischen Befunden liegen zu Beginn des Jahres 2020 die CDU/ CSU bei 26 bis 29 %, die Grünen bei rund 20 %, die FDP bei 8 bis 9 %, die SPD bei etwa 15 %, die AfD ebenfalls bei rund 15 % und die Linke bei 8 bis 9 %.
Schwarz-Grün oder Jamaika?
Aus der aktuellen Sicht wären eine Jamaika-Koalition mit CDU/ CSU, Grünen und FDP sicher möglich, ein Regierungsbündnis Schwarz-Grün nicht ausgeschlossen. Bei anhaltender Schwäche der SPD bekäme eine Linkskoalition mit der Linken und den Grünen keine Mehrheit mit insgesamt rund 43 bis 44 %. Niemand ist indessen sicher, ob die GroKo bis 2021 halten oder ob es doch zu einer vorgezogenen Bundestagswahl kommt wird. Der Streit um die Grundrente könnte zu einem Knackpunkt werden. Die Mehrzahl der Mitglieder der SPD-Fraktion will wohl noch bis zum Herbst des nächsten Jahres die Regierungspolitik mitprägen, aber auch Mandate und Diäten sichern. Weniger konziliant operieren Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Die neuen Parteivorsitzenden stehen unter manchem Druck der SPD-Basis und agieren durchaus mit der Möglichkeit des Koalitionsbruchs. Damit würden sie den nahezu sicheren Abgang auf die Oppositionsbänke wagen. Wer der nächste Kanzlerkandidat der SPD werden würde, ist ohnehin noch völlig ungeklärt. Ob Olaf Scholz dafür von seiner Partei nominiert wird, ist jedenfalls nicht sicher. Sollten die Umfragewerte für die SPD so niedrig wie zur Zeit bleiben, könnte es auch darauf hinauslaufen, dass die Partei ohne Spitzenfrau oder Spitzenmann in den nächsten Wahlkampf ziehen wird.
Während Merkel und insbesondere
Annegret Kramp-Karrenbauer für eine Koalition mit den Grünen recht
aufgeschlossen sind, erklärt der CSU-Vorsitzende Söder die Grünen zu den
Hauptgegnern der Union. Er versucht alles Mögliche, um selbst auf die grüne
Spur zu kommen und mit grünen Themen zu punkten.
Söder ist sich auch sicher, dass die Grünen sich bei der nächsten
Bundestagswahl um das Kanzleramt bewerben werden. In der eigenen Partei wird
Habeck favorisiert. Ob er sich letztlich gegen Baerbock behaupten wird, ist
zwar wahrscheinlich, doch keineswegs gewiss. So oder so – die Grünen sind
jedenfalls fest entschlossen, auch im Bund Regierungspartei zu werden und die
Politik mitzugestalten.
Große politische Differenzen
Eine schwarz-grüne Koalition zu
bilden, das dürfte nicht leicht sein, denn die Parteien liegen auf zahlreichen
Politikfeldern mit ihren programmatischen Vorstellungen zum Teil weit
auseinander. Das gilt für die Steuer- und Sozialpolitik ebenso wie für die
Verteidigungs-, Europa-, Migrations- und für die Energie-/ Klimapolitik.
Den Grünen geht es in der Steuerpolitik vorrangig um die Durchsetzung ihrer
gesellschaftspolitischen Ideen, nämlich „den Wohlstand gerechter zu verteilen“.
Anreize für Investitionen auch jenseits unmittelbar ökologischer Projekte
fehlen dagegen weitgehend auf der grünen Agenda.
Die CDU/ CSU-Position setzt auf die Senkung der Unternehmenssteuern – vorrangig
auf die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags bei der Einkommen-
und Körperschaftsteuer. Zudem fordert die Union eine Absenkung der Steuersätze
für Kapitalgesellschaften (von etwa 29 bis 25 %), um so im internationalen
Steuerwettbewerb eine mittlere Position zu erreichen. Die Grünen sehen dies
grundsätzlich anders und fordern die Einführung einer Digitalkonzernsteuer, die
sich am Umsatz orientiert, und eine wirkungsvollere Bekämpfung von
Steuervermeidung und -umgehung.
Für den von den Grünen geforderten Klimafonds mit einem Volumen von ca. 3 % des Bruttoinlandsproduktes sollen zur Finanzierung Subventionen für die Landwirtschaft, Diesel, Kerosin u.a. gekürzt oder ganz gestrichen werden. Insbesondere wollen die Grünen den CO2-Preis wesentlich heraufsetzen und auch die Steuern auf Energie erhöhen, aber Steuervorteile für Paare ohne Kinder streichen.
Weit auseinander in der Steuer- und Sozialpolitik
Mehr Steuern fordern die Grünen
schließlich aus „großen Vermögen“, ohne dabei jedoch nicht unbedingt auf die
Wiedereinführung der Vermögensteuer zu setzen, sondern wohl eher auf
Modifikationen bei der Erbschaftsteuer.
CDU und CSU würden diese steuerpolitischen Vorstellungen der Grünen weitgehend
ablehnen.
Das gilt auch für die Sozialpolitik, wo die Grünen eine einheitliche Bürger-Krankenversicherung anstreben, ebenfalls für die Grundrente ohne Bedürfnisprüfung sind und sich auch für eine Kinder-Grundsicherung stark machen. In der Rentenpolitik sind die Schnittmengen der Union und der Grünen wesentlich größer. Das würde zum einen mehr Flexibilität beim Renteneintrittsalter und zum anderen als Ergänzung zur Rente eine kapitalbasierte Vorsorge bedeuten.
In der Sicherheits- und Verteidigungspolitik
liegen die Union und Grüne zwar weit auseinander, doch würde eine Koalition
deswegen nicht scheitern. Die Grünen lehnen die Erhöhung der
Verteidigungsausgaben auf mittelfristig 2 % des Bruttoinlandproduktes (2019:
1,36 %) ab. Dasselbe gilt auch für die angestrebte Umschichtung von EU-Mitteln
von zivilen Feldern hin zu Verteidigungsausgaben. In der Rüstungsexportpolitik
sind die Grünen sehr restriktiv.
In der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik sind die Grünen weniger restriktiv als die Union. Das gilt
für die Abschiebungen in Herkunftsländer, für den Nachzug von
Familienangehörigen und die Einbürgerung. Die Union wird weiterhin bemüht
bleiben, in der Migrationsfrage keine neue Flanke für die AfD zu öffnen.
CDU/CSU und Grüne bekennen sich prinzipiell zu den deutschen klimapolitischen Zielen und zum Pariser Klimaschutzabkommen sowie zum „Green Deal“ der EU: Bis 2050 sollen die Treibhausgasemissionen in Deutschland um 80 bis 95 % gegenüber dem Jahr 1990 verringert werden.
Gefragte Grüne Lobbyisten
In der Wirtschaft setzen Unternehmen und Verbände mehr und mehr auf Grüne an der Schnittstelle zur Politik. So wird Anfang Mai 2020 Volker Ratzmann Chef-Lobbyist der Post AG; seine offizielle Funktion wird die des Executive Vice President Corporate Public Policy & Regulation Management sein. Ratzmann war seit 2016 Staatssekretär und Bevollmächtigter des Landes Baden-Württemberg in Berlin aktiv. Zuvor saß er als Abgeordneter in der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.
Seit kurzem (1.11.2019) ist bereits Kerstin Andreae Hauptgeschäftsführerin des Spitzenverbandes BDEW (Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft). Sie war von 2002 an Mitglied des Deutschen Bundestages, seit 2012 eine der stellvertretenden Vorsitzenden der Grünen-Fraktion. Der Bayer-Konzern hat Matthias Berninger zum Chef-Lobbyisten berufen. Er war früher (2001 bis 2005) Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, von 2003 bis 2007 Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen in Hessen. 2007 wurde er Lobbyist des amerikanischen Nahrungs- und Süßwarenkonzerns Mars. Nun fungiert er als Leiter des Bereichs „Öffentlichkeit und Nachhaltigkeit“ der Bayer AG.
Anfang 2020 wurde Daniel Mack Mitarbeiter der Daimler AG im Berliner Büro. Von 2012 bis 2014 war er Mitglied des Hessischen Landtags, danach arbeitete er als Kommunikationsberater und Blogger. Simone Maria Peter war von 2013 bis Anfang 2018 eine der zwei Vorsitzenden der Partei Bündnis 90/Die Grünen, von 2009 bis 2012 Ministerin für Umwelt, Energie und Verkehr des Saarlandes. Danach im März 2018 wurde sie Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie – und dort Nachfolgerin des CDU-Politikers Fritz Brickwedde.
Gunda Röstel wechselte bereits Ende 2000 aus dem Bundesvorstand der Grünen zur Gelsenwasser AG, damals ein Tochterunternehmen von E.ON, ab 2003 Tochterfirma der Dortmunder und Bochumer Stadtwerke. Seit 2004 ist Röstel die Kaufmännische Geschäftsführerin der Stadtentwässerung Dresden; 2011 wurde sie Mitglied im Aufsichtsrat der EnBW.
Bereits 2011 wechselte die Grüne Christine Scheel von der Politik in die Wirtschaft, nämlich in den Vorstand der HEAG Südhessische Energie AG; ihr Vertrag wurde jedoch vorzeitig im Mai 2012 gekündigt. Inzwischen ist Scheel Mitglied im Aufsichtsrat der Naturstrom AG und der Capital Stage AG.
Diese personellen Veränderungen spiegeln das Bemühen von Unternehmen wider, die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit mit Grünen zu besetzen. Immerhin sind die Grünen inzwischen schon in 11 der 16 Länderregierungen vertreten. Und viele Unternehmen rechnen fest damit, dass sie es demnächst – 2021 oder vielleicht früher – auch im Bund mit einem schwarz-grünen Bündnis zu tun haben werden. Die Grünen selbst sind deshalb bemüht, ihr Verhältnis zur Wirtschaft zu verbessern und frühere Vorurteile abzubauen. Ihr erst kürzlich gegründeter Wirtschaftsbeirat erfreut sich bei Unternehmen eines guten Zulaufs: 50 Manager, Start up-Firmen und Unternehmer sind bereits Mitglieder – sogar der CEO von BASF, Martin Brudermüller. Ob die Grünen bei der nächsten Bundestagswahl mit einem starken ökologischen oder ökosozialen Profil in die nächste Wahl ziehen werden, das ist noch offen.
Widerstand gegen Grüne in Teilen der Union
In der CDU/CSU regt sich mehr und mehr Widerstand gegen die „grüne Welle“, auf die jedoch die meisten in der Union perspektivisch setzen. Vor allem der Ministerpräsident von Hessen, Volker Bouffier, weist auf seine positiven Erfahrungen mit seinem grünen Koalitionspartner hin. Dasselbe gilt für Daniel Günther aus Schleswig-Holstein, der mit den Grünen sehr gut regiert.
In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat sich derweil ein neuer „Liberal-Konservativer Gesprächskreis“ etabliert. Mitglieder sind u.a. Peter Ramsauer, Axel Fischer, Silke Launert, Arnold Vaatz, Klaus-Peter Willsch, Christoph Ploß und Olav Gutting. Weitere MdB’s aus der Union und FDP haben ihr Interesse an ihrer Mitarbeit in diesem Kreis signalisiert. Peter Ramsauer (CSU) hält eine schwarz-grüne Regierung für den „maximalen GAU“. Eine Koalition von Union und FDP wird prioritär angestrebt. Wenn das Wahlergebnis dafür nicht ausreichen sollte, käme als „Notlösung“ ein Jamaika-Bündnis infrage. In einem ersten „10 Punkte-Programm“ des Liberal-Konservativen Arbeitskreises stehen die Themen Wirtschafts-, Steuer- und Energiepolitik obenan.
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Trotzdem heißt Frau Röstel Gunda. Ich weiß nicht, woher das „Gundula“ herkommt.
…wir auch nicht! Danke für den Hinweis. Wir haben den Vornamen wieder „hergestellt“. So wird die ursprünglich Namensherkunft vom altnordischen Wort gunnr (für Kampf, Streit oder Krieg) wieder deutlich. Es lag nicht in unserer Ansicht, das zu „verniedlichen“.