Wenn es um den weltweiten Klimaschutz geht, heißt es seit Jahren, es sei Fünf vor Zwölf. Doch trotz der Dringlichkeit des Themas sind die Klimagipfel der vergangenen Jahre in trauriger Serie gescheitert. Nun soll Paris ein verbindliches Klimaabkommen hervorbringen. Die Skepsis ist groß.
Die Begrenzung des Klimawandels ist ohne Zweifel eine Überlebensfrage für die Menschheit. Doch ein ums andere Mal versagte die Staatengemeinschaft an der globalen Zukunftsaufgabe, beließ es bei Sonntagsreden und wandte sich vermeintlich wichtigeren Themen wie der Bankenkrise und dem Terrorismus zu. Jetzt zeigt die Flüchtlingskrise die fatalen Folgen solcher Ignoranz. Die globale Erderwärmung ist eine Ursache der zunehmenden Fluchtbewegungen. Für viele Menschen auf der südlichen Erdhalbkugel verschlechtern sich die Lebensbedingungen existenzbedrohend.
Eine entschlossene internationale Klimapolitik ist entscheidend für die Zukunft aller Staaten; sie muss umfassend und gerecht sein. Verantwortlich für den bedrohlich voranschreitenden Klimawandel ist der reiche Norden, Schwellenländer eifern ihm in dem Raubbau an den natürlichen Ressourcen und der Produktion der Klimagifte nach. Hauptleidtragender ist der Süden, der am wenigsten zu dem ungebremsten Treibhauseffekt beiträgt.
Deutschland in besonderer Verantwortung
„Klimagerechtigkeit“ lautet daher eine zentrale Forderung an den Gipfel von Paris. Ein für alle Staaten verbindliches Abkommen, das die Erderwärmung auf maximal zwei Grad Celsius begrenzt, soll zugleich die ärmsten und am stärksten betroffenen Länder unterstützen und Entwicklungschancen fördern. Die Evangelische Kirche von Westfalen sieht Deutschland „als Land, dessen industrielle Vergangenheit viel zum bisherigen Klimawandel beigetragen hat, in einer besonderen Verantwortung“. Zugleich werde es als Land der Energiewende weltweit als Vorbild wahrgenommen: „Es hat die Chance zu zeigen, dass konsequenter Klimaschutz in einem komplexen Wirtschaftssystem machbar und ein nationales Klimaziel von 80 bis 95 Prozent Treibhausgas-Reduktion bis 2050 erreichbar ist.“
Die Synode der westfälischen Landeskirche sprach sich im November für einen „sozialverträglichen Ausstieg aus der Kohleverstromung“, einen „Plan zur sozialverträglichen Energiewende“ und die „klimaverträgliche Gestaltung der Verkehrsinfrastruktur“ aus. Eine schöpfungsverträgliche, nachhaltige Lebensweise sei notwendig, da die „Folgen unserer Konsum- und Produktionsmuster“ die ökologischen Belastungsgrenzen längst übersteigen. Paris müsse zu einem „Wendepunkt werden, hin zu einer Weltgemeinschaft, die allen Menschen den Zugang zu ausreichender Energie ermöglicht, während Energieeffizienz und erneuerbare Energien fossile Energieträger ersetzen.“
Flüchtlingspolitik der Zukunft
Im Vorfeld des Gipfeltreffens übergaben Vertreter der Weltreligionen in Paris fast 1,8 Millionen Unterschriften für ein verbindliches Klimaabkommen an die Leiterin des UN-Klimasekretariats, Christiana Figueres. Die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Annette Kurschus, sagte: „Hier in Paris wird deutlich: Alle stehen zusammen – Nationen, Generationen und erstmals auch die verschiedenen Religionen. Wir wollen in dieser existenziellen Frage dasselbe. Das gibt dem Anliegen eines verbindlichen Klimaabkommens eine neue, kraftvolle Dynamik.“ Außer evangelischen und katholischen Christen waren Muslime, Hindus, Buddhisten, Juden und andere Religionen beteiligt. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Heinrich Bedford-Strohm, mahnte: „Klimapolitik ist die Flüchtlingspolitik der Zukunft.“
Die Erwartungen an den Gipfel sind hoch, sagt der Vizepräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, Manfred Fischedick. „Nie zuvor war die Welt so entschlossen, Treibhausgase ernsthaft zu reduzieren – aber auch noch nie waren die Zeichen für den steigenden Handlungsdruck so deutlich wie heute.“ Fischedick führt die ständige Zunahme von Wetterextremen an. Der Juli 2015 sei der weltweit wärmste Monat seit Menschengedenken und schon jetzt zeichne sich ab, dass das Jahr 2015 das wärmste Jahr seit Beginn der regelmäßigen globalen Temperaturaufzeichnungen werden wird.
Seit der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls im Jahr 1997 sei erst wieder 2010 in Cancun/ Mexiko ein Erfolg erzielt worden. Die Staatengemeinschaft verständigte sich dort auf das gemeinsame Ziel, die Erhöhung der Weltmitteltemperatur auf nicht mehr als zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau ansteigen zu lassen. „Bis heute fehlt aber“, so Fischedick, „die Übersetzung dieser Zielsetzung in eine klare und hinreichende Minderungsverpflichtung für die Treibhausgasemissionen, wie sie der Weltklimarat für das Erreichen des Ziels für erforderlich hält.“ Der Weltklimarat geht davon aus, dass die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 40 bis 70 Prozent im Vergleich zum Jahr 2010 gemindert werden müssen.
Abschied von der Kohleverstromung
Im Vergleich zu früheren Verhandlungsrunden schätzt das Wuppertalinstitut die Ausgangsbedingungen für Paris als „ungleich besser“ ein: „Bisher zurückhaltende, aber sehr zentrale Staaten wie die USA und China haben sich schon im Frühherbst 2014 in einer gemeinsamen Erklärung für ihre Verhältnisse zu weitgehenden Minderungszielen verpflichtet. Der G7 Gipfel im deutschen Elmau von Juni 2015 spricht in seiner Abschlusserklärung von der Notwendigkeit der Dekarbonisierung des Wirtschaftssystems im Verlaufe dieses Jahrhunderts, und die Mitgliedsstaaten schreiben sich die Erstellung von Dekarbonisierungskonzepten in das Stammbuch.“ Der Abschied von der Kohleverstromung. Ein überaus heikles Thema in NRW, wie der kurze Disput zwischen den Sozialdemokratinnen Barbara Hendricks und Hannelore Kraft erst dieser Tage zeigte.
Bis Mitte Oktober haben Fischedick zufolge 149 Staaten freiwillige Verpflichtungserklärungen zur Vermeidung von Treibhausgasen auf nationaler Ebene abgegeben. „So weit, so gut“, meint der Fachmann, „und weit besser als zuvor.“ Das Grundproblem bleibe aber bestehen: „Mit dem, was jetzt freiwillig versprochen wird, bewegen wir uns auf einen Pfad, mit dem der Anstieg der Weltmitteltemperatur mit einiger Sicherheit zwar auf unter vier Grad Celsius begrenzt werden kann, ganz sicher aber nicht auf die angestrebte Größenordnung von zwei Grad.“
Von einem „Happy End der erfolgreichen Bekämpfung der Klimagefahren werden wir aber auch nach Paris noch weit entfernt sein“, dämpft Fischedick die Erwartungen. Für die notwendige Fortsetzung des Prozesses plädiert er dafür, die Verhandlungen nicht länger nur auf die Verringerung von Treibhausgasen zu konzentrieren, sondern stärker als bisher auf den Umbau des Energiesystems zu setzen. Bei erneuerbaren Energien und der Erhöhung der Energieeffizienz sei ein Wettbewerb um positive Ausbauziele in Gang zu bringen. Ferner sei ein „klares Bekenntnis zu einem sukzessiven und kontinuierlichen Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger“ erforderlich.
Umsteuern im Energiesystem
„Von einem derartigen Umsteuern im Energiesystem sind wir aber noch weit entfernt und setzen im Moment noch deutliche Fehlanreize“, kritisiert Fischedick. Die jährlichen Subventionen fossiler Energieträger werden von der OECD auf globaler Ebene aktuell auf 160 bis 200 Milliarden Dollar pro Jahr geschätzt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) gehe unter Einbeziehung auch aller durch die fossilen Energieträger verursachten Kosten, etwa der Gesundheitskosten, von weltweiten jährlichen Subventionen (inklusive Steuererleichterungen) von 5300 Milliarden Dollar aus.
Fischedick regt eine „Koalition der Vorreiter“ an, die nicht an die starren Verfahren der Klimarahmenkonvention gebunden sind. In einem parallelen Prozess sollten sich „die ambitionierteren Länder daher zusammenschließen und dem globalen Konvoi vorwegfahren“. Von einer solchen Bewegung werde „ein zusätzliches Momentum ausgehen“ und eine „erhebliche Multiplikatorwirkung“ erzeugt. Eine solche Bewegung hätte das Potenzial, den Klimaschutzprozess „auf die notwendige Überholspur zu bringen“.
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Redaktion