Der dramatische politische Wandel in Griechenland ist bei allen Risiken eine große Chance für Europa. Wer den bisherigen politischen Rückstoß auf den Wahlsieg des charismatischen Linkspopulisten Alexis Tsipras nüchtern betrachtet, kann bei aller Kritik aus vielen europäischen Hauptstädten und der dort kanonartig betonten Forderung nach einer strikten Einhaltung der europäischen Spielregeln nicht mehr ausschließen, dass führende Kräfte in der EU bereit sind, diesen ungeliebten Anstoß aus Athen für einen europäischen Kurswechsel zu nutzen. Damit könnte nach dem ersten großen Wahlschock der bisher jahrelang trostlose Krisenfall Griechenland paradoxerweise zum Modell einer neu ausbalancierten Stabilisierungsstrategie werden, die in den Krisenländern der Eurozone die Konsolidierung der Staatsfinanzen mit einer konjunkturell belebenden Investitions- und Nachfrageförderung kombiniert.
Vor allem Deutschland hat aufgrund der Abschaffung flexibler Wechselkurse am meisten von der Europäischen Währungsunion profitiert, was allerdings auch zu einer umstrittenen ökonomischen und politischen Dominanz in der EU geführt hat. Berlin steht jetzt angesichts des wiederholten Ausbruchs der Griechenlandkrise vor der Alternative: Kurskorrektur des europäischen Krisenmanagements oder Erosion der Eurozone – wobei Griechenland mittelfristig gesehen eben doch nur der Anfang eines weitergehenden Zerfalls sein könnte. Die damit verbundenen Risiken kann trotz der inzwischen in das Euro-System eingebauten Stabilitätspuffer in Wahrheit niemand seriös und verlässlich abschätzen. Ein Crashkurs gegen die neue griechische Regierung wäre daher europapolitisch Wahnsinn.
Deutschland in Verantwortung
Gerade die Bundesregierung in Berlin muss besonders darauf achten, dass sie in ihrer europäischen Führungsrolle nicht für die erste Bruchstelle im fragilen Eurokonstrukt verantwortlich gemacht wird. So wird aus der in Wahlkämpfen oft vorteilhaften europäischen Führungsrolle der Euroqueen Angela Merkel eben auch eine geradezu historische Verantwortung. Das hat trotz lautem Wortgetöse in einem Spiegel-Interview auch der CDU/CSU- Fraktionsvorsitzende Volker Kauder instinktsicher erkannt: Nach kräftiger Kritik und Empörung über den Ton der neuen griechischen Regierung lässt er genau die Option offen, die für einen Kompromiss im Falle einer Umschuldung entscheidend wäre. Ja er nimmt sogar den Linkspopulisten Tsipras in der längst überfälligen Frage der Besteuerung der Reichen explizit in die Pflicht.
Austerity- Kurs ist gescheitert
Für Berlin ist die politische Ausgangslage im anstehenden Kompromissprozess mit Griechenland besonders prekär, weil sich inzwischen auch international der Eindruck verfestigt hat, dass der von Bundeskanzlerin Angela Merkel durchgesetzte Austerity- Kurs in europäischen Krisenländern nach fünf Jahren politischer Flickschusterei endgültig gescheitert ist und Europa zum Bremsklotz der Weltkonjunktur gemacht hat.
Dieser Misserfolg führte im Extremfall Griechenland jetzt auch folgerichtig zu einer dramatischen Veränderung der politischen Landschaft. Spanien könnte noch dieses Jahr nachziehen. Die einseitig belastenden Sparauflagen der Hilfsprogramme hatten die volkswirtschaftliche Substanz Griechenlands weitgehend zerstört, zu Rekordarbeitslosigkeit und Massenarmut sowie im Gesundheitssektor zu unerträglichem menschlichem Leid geführt. Dabei floss das Geld der Hilfspakete an der Realwirtschaft und den Menschen in Griechenland vorbei und stattdessen sofort zur Rückzahlung der Kredite ins Ausland zurück. Gerettet wurden die europäischen Banken, die mit sträflichem Leichtsinn und Vertrauen auf europäische Rettungspakete großzügig Kredite vergeben hatten.
Gerechtere Lastenverteilung in Griechenland
Griechenland hat mit der Abwahl des bisherigen politischen Establishments eine neue Ausgangslage für das Krisenmanagement in der Eurozone geschaffen. Diese Veränderung öffnet trotz aller erwartbaren Holprigkeit und Anlaufschwierigkeiten einer sicher auch problematischen Koalition zum ersten Mal eine realistische Option, die seit Jahrzehnten verkrusteten und lähmenden politischen Strukturen aufzubrechen. Unter dem im Wechsel dominierenden Politikadel wucherte ungehemmte Selbstbedienungsmentalität und in zu vielen Fällen handfeste Korruption. Diese Strukturen blockierten von vornherein auch jeden Ansatz einer glaubwürdigen Reformpolitik, die finanzielle Lasten gerechter hätte verteilen müssen. Dies verbitterte die Opfer der europäischen Streichorgien besonders. Die griechische Wahl öffnet die Chance für ein funktionsfähiges Steuersystem, das auch den ungeheuren Reichtum der griechischen Großbourgeoisie zur Finanzierung des Gemeinwesens heranzieht. Es ist erstaunlich, dass bei der Kontrolle und Genehmigung der Umsetzung von Sparauflagen durch die sogenannte Troika diese Frage in der öffentlichen Wahrnehmung keine relevante Rolle spielte.
Modell für neues Krisenmanagement
Die neuen Mehrheitsverhältnisse in Athen öffnen aber auch die Chance für ein neues Krisenmanagement in der gesamten Eurozone. Ausgerechnet der scheinbar aussichtslose Krisenfall Griechenland kann zum europäischen Modell für eine neu ausbalancierte spar-und wachstumsorientierte Konsolidierungsstrategie werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird dieses Modell nicht dadurch verhindern, dass sie die Sonderregelung, mit der sie bisher griechische Staatsanleihen als Sicherheit für Bankkredite akzeptiert hat, mit Wirkung vom 11. Februar an ausgesetzt hat. Durch die Aussetzung dieser Sonderregelung macht der Großstratege Mario Draghi eher zeitlich Druck auf einen zügigen Kompromiss zwischen EU und Athen. Bei einer langen Hängepartie könnten die Verhältnisse in der Eurozone außer Kontrolle geraten.
Erfolgsprämisse: Politische Ehrlichkeit
Unabdingbare Prämisse für einen Erfolg ist eine neue politische Ehrlichkeit zwischen EU und Griechenland, das schon bei seinem Eintritt in die Währungsunion mit „kreativer“ Buchhaltung unter stillschweigender Duldung Brüssels geschummelt hat. Für viele Berufseuropäer, die sich an derartige Tricks und Selbstbetrug längst gewöhnt haben, ist das Auftreten des neuen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis vielleicht äußerst provokativ. Sein Vorschlag einer Umschuldung in Form eines wachstumsabhängigen Schuldendienstes ist schlicht realistisch und damit auch ehrlich: Bei 175% Staatsverschuldung wäre diese Lösung die einzige Möglichkeit für Griechenland, auf wirtschaftlich verkraftbare Weise seine Gläubiger zu bedienen. Jede darüber hinausgehende Belastung ist für das Land selbst ruinös und für seine Gläubiger damit nachteilig. Wer dies verlangt, praktiziert kollektiven Selbstbetrug.
Dieser Erkenntnis sollten sich gestandene EU-Akteure nicht deshalb verschließen, weil ein politisch unerfahrener neuer Finanzminister wie Yanis Varoufakis derartige Wahrheiten provokativ ohne Umschweife und im Gewand einer Lederjacke ausspricht.
FuW.ch: „Seit seiner Unabhängigkeit in den frühen 1820er-Jahren war es (Griechenland) in fast 50% aller Jahre mit seinen Staatsschulden in Zahlungsverzug. Insgesamt während 90 von 192 Jahren bediente der Staat seine Schulden nicht zeitgerecht. Während dieser Zeit durchlief Griechenland fünf Defaults respektive Schuldenrestrukturierungen.“
Nüchtern betrachtet war es blanker Wahnsinn Griechenland nur eine Minute zu „retten“. Es war kriminell.
Ja.. Mit griechenland is das so eine sache… aber sie brauchen auf jedenfall eine vernünftige hilfe und nicht einfach wie von vielen gewünscht sie ihren saft selber auszulöffeln..