85 Jahre ist das jetzt her.
Seine Bassgeige hatte er verkauft. Für vierhundert Reichsmark, eine Menge Geld damals.
Er mietet sich ein billiges Zimmer davon.
In der Türkenstraße in München.
Monatelang geht er ein und aus in den Bürgerbräukeller, damals, 1939.
Er isst so billig wie es geht, für 60 Pfennige, und was an Fleisch übrigbleibt, bekommt der Hund im Zwinger.
Er muß ihn an sich gewöhnen.
In 35 Nächten wird er eine tragende Säule so aushöhlen, bis eine Bombe und ein Zeitzünder hineinpassen.
Und zwar die Säule, an der alljährlich am 8. November das Rednerpult steht, an dem Hitler spricht und mit seinen Spießgesellen den Putschversuch von 1923 feiert.
35 Nächte schnüffelt der Hund an dem auf den Knien, nur mit den Händen und einem Messer, mit Hilfe des Lichts einer Taschenlampe den Schutt aus den Säulen kratzenden Mann.
Der Schutt wird von ihm täglich in einem Karton an die Isar gebracht.
Der nette Eigenbrötler zählt quasi zum Inventar des Hauses.
Und der Wachhund freut sich täglich auf sein Stück Fleisch.
Am 8. November vor 80 Jahren ist Elser fertig.
Er hat eine Bombe untergebracht, den Zünder auf 21:20 gestellt.
Abends kommen Hitler, Goebbels, Heydrich, Heß, Rosenberg, Streicher, Frank.
Hitler, der für gewöhnlich am darauffolgenden Morgen nach Berlin zurückfliegt, wird von seinem Privatpiloten informiert, daß für den 9. November Nebel prognostiziert ist.
Also entschließt er sich, entgegen aller Gewohnheit, mit dem Zug um 21:31 München in Richtung Berlin zu verlassen, seine Entourage anbei.
Und zwar elf Minuten, bevor die Bombe explodiert.
Sieben Nazi- Kämpfer und eine Bedienung sterben.
Elser wird am Bahnhof festgenommen, eine Stunde vor der Explosion, weil seine Grenzkarte abgelaufen war, er wollte in die Schweiz. Eine Bagatelle.
Erst als die Nachricht von der Explosion die Runde macht, wird er genauer untersucht, man findet bei ihm eine Ansichtskarte des Bürgerbräukellers.
Und ein Knie war aufgescheuert, blutig und entzündet.
Hitler hat bis zu seinem Ende geglaubt, daß Elser als Agent des Britischen Geheimdienstes gehandelt habe, deswegen ließ man ihn auch leben und verhörte ihn Tag um Tag.
Keiner wollte die Wahrheit glauben, daß ein Mensch tatsächlich aus Eigeninitiative diesen Krieg verhindern wollte.
Am 9. April 1945 wurde Elser in Dachau ermordet, kurz bevor das KZ befreit wurde.
Hitler überlebte ihn um genau drei Wochen.
Vieles an Details, die ich hier beschrieb, verdanke ich Rolf Hochhuth.
Ihm ist es zu verdanken, daß er hartnäckig auf einem Gedenken an Elser bestand und daß es seit genau acht Jahren eine Statue zu seinen Ehren in der Wilhelmstraße gibt.
Kann sich ein Mensch ausrechnen, wie viele der 60 Millionen Kriegstoten es nicht gegeben hätte, wäre Hitler heute vor 80 Jahren zur Hölle gefahren?
Und kann ein Mensch verstehen, warum der 20. Juli alljährlich (sicher nicht zu Unrecht) groß als Gedenktag begangen wird, aber diese Geschichte immer noch vielen nicht bekannt ist?
(Foto. Landesarchiv BW)