Am Tag nach dem Tod des großen Egon Bahr fordert Genscher einen Neuanfang mit Putin. So steht es in der „Süddeutschen Zeitung“. Das hätte Bahr gefallen, dass einer der Mitstreiter in der damaligen sozialliberalen Koalition dem Westen rät, dem russischen Präsidenten die Hand zu reichen. Wandel durch Annäherung, das war Egon Bahrs Lösung und natürlich die von Willy Brandt, die Politik der Annäherung an den Ostblock, die Sowjetunion, die DDR und all die anderen Mächte des einstigen Warschauer Paktes, was zugleich eine Politik der Aussöhnung war. Die „alte Politik der Konfrontation“, so betont der frühere FDP-Chef und langjährige Bundesaußenminister in den Koalitionen mit der SPD und später mit der Union, Hans-Dietrich Genscher, diese Politik sei unzeitgemäß. Die westlichen Sanktionen gegenüber Russland hätten nicht die Wirkung gezeigt, die man sich erhofft hatte. Wladimir Putin sei ein pragmatischer Politiker, der Westen müsse auf das geschwächte Russland zugehen.
Es klingt nach Egon Bahr
Es klingt nach Egon Bahr, wenn der Altliberale fordert, den Dialog mit Moskau auszubauen. Das bedeute nicht, die völkerrechtswidrige Annexion der Krim zu akzeptieren. „Aber wenn man auf die andere Seite Einfluss nehmen will, muss man mit ihr reden und zwar ohne Voraussetzungen.“ Eben, Wandel durch Annäherung. Mit dem Zusatz von Willy Brandt, der stets gesagt hatte: So lange geredet wird, wird nicht geschossen.
Es war immer der Wunsch von Egon Bahr und Willy Brandt, die Entspannungspolitik in den Mittelpunkt zu stellen. Um den Krieg zu vermeiden, um jedwede Konfrontation schon im Keim zu ersticken. Egon Bahr hatte vor wenigen Wochen sogar Berlin geraten, einseitig die Sanktionen gegenüber Russland aufzuheben. Auch weil wir es uns nicht leisten können, ein so großes und wichtiges Land wie Russland nicht am Konferenztisch in Europa und der Welt sitzen zu haben. Wir brauchen Moskau. Und der Präsident dort heißt nun mal Wladimir Putin. Mit ihm müssen wir reden. Es gibt so viele Schwierigkeiten in Europa, da ist eine Teilung Europas fehl am Platz. Man denke an das Tag für Tag größer werdende Problem der Flüchtlinge, das wir nur gemeinsam lösen können, nicht jeder für sich. Dabei darf sich kein Land wegducken. Wir müssen den Menschen helfen, das ist der Sinn der Politik, womit wir wieder bei Bahr und Brandt wären.
Griechenland und der Riss in der Union
Die Abstimmung über das Griechenland-Paket hat die Bundeskanzlerin gewonnen. Aber das war kein großer Sieg, konnte Angela Merkel doch nur das Votum für sich entscheiden, weil auf die SPD Verlass war und ist in der großen Koalition. Da darf sie sich nichts vormachen. Denn es waren ja nicht nur die 63 Nein-Stimmen aus der Unions-Fraktion, also immerhin ein Fünftel der Fraktion, die die Kanzlerin stellt. Dazu muss man jene Abgeordnete rechnen, die gar nicht zur Sondersitzung des Bundestages erschienen waren. Dann wären es 80 Gegenstimmen. Und wer genau hingehört hat in den Tagen davor und danach, wird den Missmut bei vielen anderen Parlamentariern aus dem C-Lager gespürt haben, die nur deshalb auf ein Nein verzichteten, weil immerhin ihre Parteichefin, die zugleich ihre Kanzlerin ist, sich für das Hilfspaket zugunsten von Athen eingesetzt hatte wie auch der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, wenngleich schweren Herzens. Schäuble, auch ein einflussreicher CDU-Politiker. Und ebenso hatte sich Volker Kauder, der wichtige Fraktionschef für die Athen-Hilfe ins Zeug gelegt. Das Votum wird Folgen haben, das Vertrauen innerhalb der Fraktion hat schwer gelitten, Misstrauen macht sich breit, die viel gelobte Autorität von Merkel und Schäuble, ja wo ist sie geblieben?
Täglich kommen 3000 Flüchtlinge nach Deutschland
Und was werden die Politiker erst machen, wie werden sie sich entscheiden, wenn das Flüchtlings-Problem Tag für Tag größer wird, wenn es den Menschen hier näher rückt und es immer schwieriger wird, angemessene Unterkünfte, die wintertauglich sind, zu finden. Schon heute ist die Diskussion darüber- man höre nur mal Horst Seehofer- entbrannt, wie wir mit den Menschen umgehen wollen. Wir können keinen Zaun um Europa ziehen, die Menschen würden einfach drüber klettern. Das Meer, gefährlich wie es ist, hält sie nicht ab von der Flucht aus ihrer Heimat, weil sie nichts zu essen haben, keinen Job, keine Perspektive und zusätzlich von Kriegen bedroht sind. Sie sitzen, das berichten Auslandskorrespondenten in den afrikanischen Ländern, auf Koffern, um sich bei nächster Gelegenheit auf den weiten und riskanten Weg zu machen.
Auch die Diskussion um die angeblich sicheren Herkunftsländer auf dem Balkan greift doch daneben, weil die Menschen dennoch zu uns kommen werden. Weil es ihnen zu Hause einfach schlecht geht und sie sich in Deutschland, Schweden oder Dänemark mehr versprechen für sich und ihre Kinder. Und machen wir uns nichts vor, es kommen nicht nur Ärzte und Ingenieure, die hier gefragt sind, es kommen auch die vielen anderen. Auch sie haben ein Recht darauf, human behandelt zu werden. Wir brauchen auch für sie Unterkünfte, wir müssen ihre Asylanträge prüfen, schneller als in der Vergangenheit, sie müssen Sprachkurse machen, damit sie sich verständigen können, ihre Kinder müssen deutsche Schulen besuchen, die Eltern brauchen einen Job, Jugendliche eine entsprechende Ausbildung, damit sie eine Chance haben auf eine bessere Zukunft im Land.
Eine große Herausforderung
Die Bundesregierung rechnet in diesem Jahr mit 800 000 Flüchtlingen. Vor einer Woche hatte Berlin noch von 600 000 geredet, ein paar Monate zuvor hatte man noch die Zahl auf 450 000 geschätzt. Und es könnten noch mehr werden. Und. Das Problem wird Ende des Jahres nicht beendet sein, auch im nächsten Jahr werden Hunderttausende von Flüchtlingen kommen. Das ist kein Angst-Szenario, sondern die Realität sagt, dass jeden Tag im Schnitt 3000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Das ist eine Herausforderung, der sich das reiche Deutschland stellen muss. Jedes Bundesland ist hier gefragt, niemand kann sich der Aufgabe verweigern. Der Flüchtlingsgipfel dazu findet am 24. September statt.