Ist es nicht toll, wie Millionen Menschen auf die Straße gehen, sich versammeln, um die Demokratie zu feiern, unser Grundgesetz?! Wer hätte das gedacht im Land der Bedenkenträgerinnen und Bedenkenträger, dass ganze Familien, Junge und Alte, Frauen und Männer, Kinder und Jugendliche, Arbeiter, Angestellte, Intellektuelle, Unternehmerinnen und Unternehmer, Sportler, Schülerinnen und Schüler, ja nahezu die ganze Gesellschaft für etwas demonstrieren, friedlich, ja fröhlich, aber auch entschlossen. Artikel 1 unseres Grundgesetzes kennt inzwischen ein Jeder auswendig: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Jedes Menschen in Deutschland, ohne Unterschied, unabhängig von Geschlecht, der Farbe, der Herkunft, der Bildung.
Es ist großartig, wie sich die Demonstrationen, die Kundgebungen verstetigt, sich verlagert haben in die Dörfer und kleinen Städte. Das Volk ist aufgestanden und zeigt den anderen, den Gegnern, die man Feinde nennen darf, dass wir die Mehrheit und nicht länger bereit sind, den anderen das Feld zu überlassen. Das Volk, wir sind laut geworden, machen uns bemerkbar, damit das klar ist für alle. Diese Republik will bunt bleiben und nicht braun werden. Diese Menschen lassen es sich nicht länger gefallen, dass die Höckes, die Weidels, Gaulands und wie die AfDler alle heißen, meinen, sie wären das neue Deutschland. Nie wieder, hieß es damals nach dem schrecklichsten aller Kriege, nach dem Ende der Nazi-Diktatur, die Deutschland in den Abgrund geführt, fast alles kaputt gemacht hatte, sogar die Moral der Deutschen. Der Zivilisationsbruch, der Holocaust, der Vernichtungskrieg im Osten, das nationalsozialistische Deutschland hatte aus dem einstigen Kulturland ein Land der Barbaren gemacht. Aus dem Land der Dichter und Denker war ein Land der Richter und Henker geworden.
Nie wieder ist jetzt
Nie wieder ist jetzt, rufen die heutigen Deutschen den Rechtsextremisten zu, der in weiten Teilen rechtsextremistischen Partei AfD. Nie wieder soll, darf das passieren, was einst geschah, als die Deutschen sich zu Herrenmenschen erklärten, um die anderen zu ihren Sklaven zu machen, zu Herrenmenschen, für die neues Recht geschaffen worden war: Recht hatte der, der arisches Blut hatte, der Deutscher war, Nazi. Nie wieder darf völkisches Denken unseren Geist vernebeln. Remigration, also Deportation, Ausländer raus, darf nicht passieren.
Wer hätte daran geglaubt, dass dieses doch so satte Volk, das sich sonst nur für die Mehrung des eigenen Wohlstands interessiert, plötzlich für Freiheit und Vielfalt demonstriert, für Toleranz auf die Straße geht und den bisher fast anonymen Nachbarn mit Migrationshintergrund nicht mehr missen möchte? Ja, wir kennen alle irgendeinen Zeitgenossen, der vom Namen her aus Italien, dem ehemaligen Jugoslawien, Griechenland, der Türkei, Spanien oder aus Tunesien stammen müsste. Und jetzt hören wir, dass es da eine Partei gibt und ihr befreundete Kräfte aus dem ultrarechten Milieu, die diese Menschen remigrieren wollen, was nichts anderes bedeutet als sie rauszuwerfen. Und ein Jeder weiß, dass so etwas nur unter Anwendung von Gewalt geschehen kann. Freiwillig werden die nicht gehen, die meisten von ihnen sind längst Deutsche, integriert. Ohne sie würde vieles hier zusammenbrechen, nicht mehr funktionieren. Daran sieht man die Dummheit und Blindheit, mit der solche Gedanken formuliert worden sind. Die Deutschen mit Migrationshintergrund sollen, sie müssen hier bleiben. Wir brauchen sie, aber: Sie brauchen unsere Unterstützung, unsere Solidarität, unsere Hilfe, wenn Rechtsextremisten sie aus unserer Mitte entfernen wollen. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese politischen Kräfte je die Mehrheit in unserer Republik gewinnen werden. Nie wieder! Hatten unsere Eltern geschworen. Das gilt immer noch, gerade jetzt!
Ich finde es gut, wenn Schulen im Lande sich gegen Rechtsextremismus wehren, aufzeigen wollen, worum es geht und was wir verlieren würden, käme es so. Wo bleiben die Hochschulen, das Wort der Studenten und Professoren gegen eine braune Republik, für die Freiheit von Lehre und Forschung, für den Verbleib der Studierenden und Lehrenden aus vielen Teilen der Welt in Deutschland? Wir brauchen die geistige Menschenkette von Flensburg bis Garmisch und von Aachen bis Görlitz. Den Bauern und Landwirten, die seit Wochen protestieren, sei empfohlen, die Pläne der AfD mal zu studieren. Diese Partei kann keine demokratische Alternative für sie sein, wollen sie doch die Europäische Union zerstören. Und dann wäre für sie mehr verloren als der billige Diesel, dann wären die Milliarden aus den EU-Töpfen perdu. Die EU ist so etwas wie eine Art Lebensversicherung für die Bauern nicht nur in Deutschland. Wenn die Rechtsextremen sich unter ihre Demonstranten mischen, haben sie andere Ziele als die deutschen Landwirte sie haben.
Keine Toleranz der Intoleranz
Ich finde es gut, wenn die Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Finanzströme, die in die AfD fließen, aufdecken, dafür sorgen will, dass jeder Stein umgedreht werden soll, unter dem sich möglicherweise Geldquellen verbergen, die diese Partei finanzieren. Denn diese Partei will die Gelder ja dazu nutzen, um unser politisches System zu verändern, zu zerstören. Keine Toleranz gegenüber der Intoleranz, um es mit den Worten eines unserer wirklich großen Verfassungsväter, Carlo Schmid, zu sagen. Ein Sozialdemokrat, der den Feinden der Verfassung schon damals 1948/49 den Kampf angesagt und der gefordert hatte, diese Feinde notfalls zu verbieten. Ein Verbot also anzustrengen ist Pflicht, ein Gebot, wir dürfen den Verfassungsfeinden nicht noch das Geld geben, mit dem sie die Republik zerstören wollen. Es hat nichts mit Stasi-Methoden zu tun, um eine Bemerkung der ZDF-Moderatorin Marietta Slomka in ihrem Interview mit der Bundesinnenministerin Nancy Faeser aufzugreifen. Die Stasi war eine kriminelle Vereinigung des SED-Unrechtsstaates DDR, die nichts anderes im Sinn hatte, als die eigene Bevölkerung auszuhorchen, um sie dann zu drangsalieren oder sogar ins Gefängnis zu werfen. Die Stasi diente den Honeckers und Mielkes. Schon vergessen?
Wir sollten den Rechtsextremen die Worte Hass und Hetze überlassen. Es ist das Niveau der AfD, deren Politiker ich verachte. Hass und Hetze sind menschenfeindlich, sie haben mit der Würde des Menschen, die unantastbar ist, nichts zu tun. Man lese die letzte Rede von Alice Weidel im Bundestag nach. Ich kann mich nicht erinnern, jemals derart menschenverachtende, böse Töne im Bundestag gehört zu haben. Ich hätte mir gewünscht, die Präsidentin des Deutschen Bundestages hätte von ihrem Hausrecht Gebrauch gemacht und sie des Plenarsaales verwiesen. Aber vielleicht war sie wie andere auch nur sprachlos ob der Verrohung der Sprache, die da vom Podium ins Plenum dröhnte.
Die Würde des Menschen
Der Blog-der-Republik hat zum 3. Oktober letzten Jahres, dem Tag der deutschen Einheit, einen Aufruf für die Würde des Menschen, gegen Rassismus und Antisemitismus, für Toleranz und Vielfalt und gegen die AfD gestartet, der von Hunderten von Menschen aus Nord bis Süd und West bis Ost unterschrieben wurde. Diese Aktion von Demokraten soll bis mindestens zum 23. Mai, dem 75. Jahrestag des Grundgesetzes laufen. Gerade las ich, dass große Zeitungen wie die „Süddeutsche Zeitung“, das „Handelsblatt“, der Berliner „Tagesspiegel“, die „Wirtschaftswoche“, die „Zeit“ sowie 500 Unternehmen, Stiftungen und Verbände eine Toleranz-Kampagne ins Leben gerufen haben für Freiheit, Vielfalt und eine Willkommenskultur gegen den Rechtsextremismus unter dem Titel „Zusammenland- Vielfalt macht uns stark“. Der Text im Wortlaut: „Weltoffenheit, Respekt und Gemeinschaft sind Werte, die Deutschland nicht nur zu einem lebenswerten, sondern auch zu einem wirtschaftlich starken Land machen. Deshalb stehen wir zusammen für ein offenes Land, das sich Schwierigkeiten mutig stellt.“
Es geht um die Verteidigung unserer Werte, der Demokratie, der Menschenwürde und Toleranz, wie es im Grundgesetz steht. Die Demonstrationen und Kundgebungen zeigen, dass dieses Land nicht gespalten ist, dass es eben nicht unüberbrückbare Gräben gibt wie in Amerika. Millionen Menschen aller Klassen beweisen das seit einigen Wochen, sie stehen nebeneinander. Es spielt hierbei keine Rolle, ob jemand Christ-, Sozial- oder Freidemokrat ist oder ein Grüner. Oder parteilos. Wichtig ist nur, dass er und sie Demokraten sind. Als solche zeigen sie ihre Plakate, ergreifen sie das Wort und verteidigen die Werte, die diese Republik tragen. Es ist die Zivilgesellschaft, die sich unterhakt, weil sie spürt, dass es Zukunftsängste gibt, Bedrohungen, Polarisierungen, Identitätskrisen. Es geht um die Bewahrung der Demokratie, die die AfD bekämpfen will, die Bewahrung der Freiheit, die Bewahrung unserer Gesellschaft. Es geht nicht um irgendwelche linken Anliegen, sondern ums Ganze. Unser Land. Eines kann man sagen: „Der Feind steht rechts“. Das ist ein historisches Wort, ausgesprochen 1922 vom Reichskanzler Joseph Wirth(Zentrum) nach der Ermordung des jüdisches Außenministers Walther Rathenau durch Ultrarechte und vor Jahr und Tag mal von Armin Laschet(CDU) wiederholt: „Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. Da steht der Feind und darüber ist kein Zweifel; dieser Feind steht rechts.“
Wir sind das Volk
Die Demonstranten von heute demonstrieren den Rechtsextremen: Ihr seid nicht das Volk, wie ihr behauptet, wir sind das Volk. Und ihr werdet nicht gewinnen, werdet uns diese Republik nicht kaputt machen. Und diese Demonstranten zeigen den Menschen mit Migrationshintergrund, die Angst haben nach den bekannt gewordenen Remigrations-Plänen der Rechtsextremen: Ihr gehört zu uns. Wir lassen es nicht zu, dass die Ultrarechten Euch rauswerfen wollen. Die Demonstranten zeigen, dass ihr Aufbegehren, ihre Kundgebungen nicht allein Sache der in der Krise steckenden demokratischen Parteien sind. Sondern, dass dieses Thema alle Bürgerinnen und Bürger betrifft. Die Parteien können davon profitieren, wenn sie auch demonstrieren Seite an Seite mit Müller und Schulze, dem Doktor und Manager, der Hausfrau, dem Lehrer und Arbeiter, wenn sie künftig dorthin gehen, wo das Volk ist. Wo es brennt. Es gibt erste Anzeichen, dass wieder mehr Leute in die Parteien eintreten, wie gesagt, es sind erste Anzeichen, ob daraus mehr wird, vielleicht ein Trend, muss sich zeigen, hängt auch vom Verhalten der Partei-Oberen ab, auch vom Kanzler, von Merz, Söder, Lindner, Habeck.
Es wirkt wirklich ein wenig so, wie es die SZ von verschiedenen Demonstrationen und dem dort dortigen Flair eingefangen hat: Es herrsche ein demokratischer Zauber des Augenblicks in einem Land, in dem sonst zu oft die Unzufriedenen den Ton setzen. Gegen die Feinde der Demokratie mit ihrem Hass und ihrer Hetze kann helfen, was ich vor wenigen Tagen auf einer Kundgebung in Prien am Chiemsee vernahm: „Wir feiern die Demokratie.“ Wie schön!