Die erste Meldung in den DLF-Nachrichten um 9 Uhr am 5. Mai 2015 lautete:
„Der Lokführerstreik sorgt im Bahnverkehr bundesweit für erhebliche Behinderungen.“
Nun frage ich Sie:
Ein Streik sorgt – wie kann das gehen? Und dann ausgerechnet für etwas so Negatives, etwas, das nun wirklich nicht eindeutig bewertet werden kann, zumal die Nerven ganz vieler Fahrgäste ziemlich blank liegen.
Kann es vielleicht bedeuten: Der Streik führt zu Behinderungen? Es geht doch hier um Kausalität.
Warum benutzen Nachrichtenredakteure und Kommentatoren – männlich wie weiblich – in Funk und Fernsehen inzwischen derart inflationär und offenbar gedankenlos, dieses Verb, dieses eigentlich schöne und humane Tätigkeitswort: Ich sorge, du sorgst, er sorgt, sie sorgt, wir sorgen, ihr sorgt – nämlich sich um jemanden, für jemanden sorgen, Sorge tragen, ein Kind versorgen, sich Sorgen machen, also mitfühlend sein und handeln, ein anteilnehmendes Denken. Vielleicht mangelt es inzwischen in dieser irrsinnigen multi tasking business – Welt arg an einem anteilnehmenden Denken, dergestalt, dass das gute Wort „sorgen“ verkommt, in den medialen Strudel geraten ist, schon ganz abstrahiert vom zwischenmenschlichen Geschehen, der Bedeutungsverlust kompensiert wird, hin zu einer Art „Deus ex machina“, als gäbe es nur noch merkwürdig mechanische Ereignisse, die durch menschliches Tun , durch verantwortungsvolles Handeln gar nicht mehr korrigierbar seien. Als sei das Medium eben selbst die Botschaft, wie Marshall McLuhan mit seiner Sentenz „The Medium is the Massage“ prophezeite. Fast von einer totalitären Geschmeidigkeit des Irgendwie, des Ungefähren, hört sich das an: „die Kandidatur von XY s o r g t für Wirbel.“ Oder: „Das Attentat auf XY s o r g t für Unruhe.“ Oder : „Ein Hoch über den Azoren s o r g t für kräftige Böen.“ Was soll das? Es gibt so keinen, der sich dergestalt s o r g en kann, kein Schicksal, auch kein lieber Gott. Also bitte – Sorge, sich um jemanden sorgen, das wäre ein humanes Mitfühlen, oder ein beunruhigt sein, zum Beispiel eben auch angesichts aktueller und zukünftiger Klimakrisen. Was hier – völlig unironisch, und lediglich einen Kausalzusammenhang postulierend – gemeint ist: etwas, eine Handlung, ein Wetterphänomen, etc., f ü h r t zu etwas, oder b e w i r k t etwas, es hat Folgen, wenn jemand etwas tut, wenn es regnet… . Klingt das schon zu neutral?
Dieses jedoch so völlig generalisierte entpersönlichte „Tu-Wort“ „sorgen“ wirkt in solchen medialen Kontexten so ungeheuer redselig, so umgänglich, evoziert so ein leutseliges „Wir – Gefühl“. Es bleibt sehr zu wünschen, dass RedakteurInnen bitte neu nachdenken und sich auch um professionelle Sorgfalt mehr bemühen, nicht nur um die passenden Verben. Die meisten ZuhörerInnen und ZuschauerInnen sitzen nämlich ganz und gar nicht im selben Boot wie die Medienmacher!
Irgendetwas „sorgte für“, dieses Verb vermeidet die Differenzierung von Tätern und Opfern. Als gäbe es keinerlei Verantwortung der jeweiligen Akteure, als gäbe es keine individuelle Pflichtverletzung. Aber es gibt immer: ein jeweils konkretes ökonomisches Interesse – ob „der Börsenabschwung von Firma xy für einen Anstieg der Arbeitslosenzahl s o r g t…“, und ob „das Demonstrationsverbot bei den Globalisierungskritikern für Unmut s o r g t…“. Das ist doch keine ‚Befindlichkeitsstörung‘ von „Gutmenschen“ – übrigens auch so ein gemeiner abfälliger Begriff gegen Leute, die sich gerne engagieren, auch über ihre eigenen Belange hinaus – sondern in diesem Fall eine sehr konkrete machtvolle staatliche Entscheidung im kalkulierten Interesse zunehmender Ökonomisierung aller unserer Lebensbereiche.
Ja, Sprache kann – neben der Poesie und dem Wetterbericht – mindestens zweierlei: Macht-Verhältnisse als solche a u f k l ä r e n oder verschleiern. Und „mal schnell alles auf den Punkt bringen“ zu müssen, und deshalb schnell-schnell uns in der knallbunten Zuschauerdemokratie mit flockigen Floskeln abzuspeisen – diese Art scheinbarer Sachzwang – ist letztlich eine billige Ausrede für bequeme Desinformation, die eingreifendes Handeln der BürgerInnen jedoch umso schwieriger macht. Es ist unsere Lebenszeit, unser JETZT !
Der wache Bertolt Brecht bestand schon 1930 auf klugen kritischen Fragen an Texte jedweder Art: „Wem nützt der Satz? Wem zu nützen gibt er vor?“