Identitär gibt es weder individuelle Emanzipation und Freiheit noch gemeinsame Sicherheit und Frieden
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Der Vorsitzende Willy Brandt, so sehr Schriftsteller wie Politiker, erwartete von seinen Textvorbereitern gerade Sätze in der Landessprache und den Verzicht auf das unbestimmte Wir. Er wollte „sagen, was ist“, von vielen verstanden werden, sich nicht spreizen und nicht aus Versehen in zweifelhafte Gesellschaft geraten. Das Muster folgte einer erprobten sozialdemokratischen Tradition und war im Kern so gestimmt wie der ganze Mann: „Links und frei“ nannte er 1982 seine Erinnerungen, „frei und links“ verabschiedete er sich 1987 vom Parteivorsitz.
Brandt verabscheute Geschwätz und Vereinsmeierei, durch seine individualistische Haltung an der Spitze der deutschen Sozialdemokratie verkörperte er schon persönlich einen Gegenentwurf zum kollektivistischen Selbst der Kommunisten wie zum identitären Selbst der (Klerikal-)Faschisten. Er hegte eine lebhafte Abneigung gegen die Überhöhung der Gemeinschaft, den Gruppenzwang und den darin beschlossenen Anschlag auf das Individuum. Als er mich 1983 einstellte, konnte er es nicht wissen, aber rasch fiel ihm auf, dass ich ähnlich gestrickt war. „Links und frei“ verband uns vier Jahre zuverlässig in der alltäglichen Arbeit und danach weitere vier Jahre punktuell und strategisch.
Zu Brandt kam ich als friedensbewegter Sozialist und Kritiker der Atomkraft. In seiner Obhut wurde ich ein Gegner der Verfeindung im Innern wie nach außen. Ehrliche Überzeugungen sind eine Wohltat, aber wenn sie unnahbar machen, verstellen sie das Gespräch, und die Politik kann kein Netz spannen. Auch zeigte sein Beispiel, dass der mühselige politische Alltag Ausblick und Ziel nicht verschatten müssen, in Brandts Worten: „eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, ohne Erniedrigung, ohne Not, eine Gesellschaft der Freien und der Gleichen“. Man kann tatsächlich dicke Bretter erfolgreich bohren, ohne zum Holzwurm zu werden, und Umwege zu einem großen Ziel werden dann nicht zu Verrat, wenn der Kompass stimmt und beachtet wird.
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Als ich 2011 nach drei Jahrzehnten Politik als Beruf zur Ruhe kam und in die Welt akademischer Debatten zurückkehrte, staunte ich mehr als einmal. Aber nichts befremdete mich ärger als der auftrumpfende Relativismus der Postmoderne auf zahlreichen Feldern der Humanwissenschaften. Die Auffassung, der Saturn existiere erst, seitdem er entdeckt und kommuniziert sei, hatte ich 1970 als Romanistik-Student spontan zur anthropozentrischen Schnapsidee erklärt, dass davon jetzt mehr Leute an den Hochschulen besoffen waren als damals, wollte ich erst nicht glauben. Verlockend schien nicht länger, widerständig zu erforschen, was ist, sondern eilfertig zu bekennen, was erwartet wird in der Community, nicht selten „eleganter Unsinn“, wie Alan Sokal und Jean Bricmont 1999 paradigmatisch für eine Szene belegt haben, der John Searle 2001 höflich den Idiotenschein ausstellte.
Bald beschäftigte mich als ehemaligen Übersetzer von Lucien Goldmann die identitäre Weltflucht, die in dieser Gedankenwelt gedieh. Solange sie auf der Rechten die unsterbliche GroßeMittelKlasse erstehen und in der EU den ranzigen Chauvinismus wiederaufleben ließ, waren mir die Folgen historisch vertraut und primär ein Gegenstand der Analyse. Doch als Donald Trump den US-Präsidentschaftskandidaten als Kulturkrieger gab, seine Republikaner auf Linie brachte und starken Zulauf hatte, wurde ich unruhig. Ein Lügenbold als identitäre Ikone von libertär und queer (Peter Thiel) bis evangelikal (Rush Limbaugh) – das war neu, kein Hitler, aber mehr als der Buffo Berlusconi.
Parallel und als Gegenreaktion verschärfte sich in Washington die neokonservative Außenpolitik, die seit (und teilweise gegen) Obama auch die US-Demokraten erfasst hatte und durch die russische Annexion der Krim genährt worden war. Von Gorbatschow und Reagan 1986 in Reykjavík ans Abstellgleis geschoben, wurde der Kalte Krieg zum Wiedergänger, auf China zugespitzt und im Kalkül der US-Power-Elite (C. Wright Mills) zum Ersatz für den verfranzten „Krieg gegen den Terror“. Als nach einer überraschenden Wahl der eigene Präsident zum Hemmschuh für die neue „robuste“ Sicherheitspolitik zu werden drohte, fanden sich die apokalyptischen Reiter Pompeo und Bolton, um als Außenminister und Sicherheitsberater dem Hallodri Fußfesseln anzulegen.
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Kaum weniger als dieser Rückfall ins Blockdenken irritierte mich, wie auf der atlantischen Linken Emanzipation den Charakter eines strukturell revolutionären Projekts verlor und zu einem Set von Lernmodulen für ein sittsam progressives Leben wurde. Warum das? Genügte es nicht, dass der Gesetzgeber jüngst im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz der Diskriminierung umfassend den Kampf angesagt hatte? Und nahm nicht die Welt des aus der Krise 2008 geretteten Finanzkapitals für die Mehrheit der Lebewesen des Planeten so bedrohliche Züge an, dass Selbstbehauptung unwillkürlich eine radikale Prägung bekam?
Das Antidiskriminierungsgesetz, für das ich 2006 im Bundesrat den Arm gehoben hatte, war ein gründliches Bollwerk, es stand auch nicht isoliert, aber im Verhältnis der Bürger untereinander kann öffentliches Recht nur mittelbar Wirkung erzeugen. Emanzipation als Schutz vor Diskriminierung sollte darum als Treibsatz inmitten der Gesellschaften zünden, ihre Erfinder betrachteten das Private umfassend als politisch und forderten die allgemeine Beachtung aufgeweckter Moral. Mit dieser Pointe, dass das Private in Wahrheit politisch sei, machte eine neue Bewegung aus studentischem Milieu eine alte Parole aus dem gleichen Milieu sich zu eigen und pumpte sie mit Hilfe geneigter Medien zur Generalkritik missliebigen bürgerlichen Verhaltens auf.
Radikal war die Attacke nicht – es sei denn, man strickt den Fukuyama von 1992 weiter und sieht am Werk eine neoliberale Kulturrevolution zur Vollendung von bürgerlicher Gesellschaft und Geschichte. Wo die Linke die woke Wende praktizierte, öffneten sich immerhin die liberalen Salons, denn zu gut passte ihre moralische Kampfansage zu den Zehn Geboten der Selbstoptimierung und beides zu den Erwartungen der etablierten Führungsetagen an ein nettes, konfliktscheues Personal. Zügig wurden die Bildungseinrichtungen erfasst, und anders als in den späten 1960er Jahren passten diese sich bis in die Spitzen der Verwaltung hinein bereitwillig dem Protest an. Ging es doch um Werte.
Es war ja nun echt die hohe Zeit der Werte. Kein Konsumtempel wurde mehr eingeweiht ohne Wertebezug.
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So sah die Rechte missvergnügt ihr Monopol aufs Identitäre geschleift und eine identitäre Fraktion der Linken setzte sich über die „Dummheit des alten weißen Mannes“ hinweg. Anstelle des eigentümlichen Individuums und seines unveräußerlichen Rechts, in der Allgemeinheit unbehelligt mitzugehen, galten jetzt Gruppen eigentümlicher Individuen als zu befreiende Subjekte, ihre Besonderheit sei anzuerkennen und deren Ausweis dürfe nicht „angeeignet“ werden. Was darunter genau zu verstehen sei, sickerte erst nach und nach in das öffentliche Bewusstsein.
Eins ließ sich von Anfang an schlecht verbergen: Man kann das Individuum auch diskriminieren, indem man es entblößt, ungefragt vereinnahmt und einmauert in LGBTQIA+ – das identitäre Zwangsgefäß muss ja nicht Hautfarbe, Glaube oder Nation sein. Denn wie auch immer das Gehäuse aussieht: Es ist weltfremd und abwegig, das Individuum auf eine einzige Eigenschaft oder Zugehörigkeit zu verknappen. Die Reduktion erinnert den Historiker des kapitalistischen Arbeitsprozesses unwillkürlich an die Zerspanung der menschlichen Arbeitskraft im Taylor-System und die damit verbundene Verzwergung und Enteignung der Arbeiter und Produzenten.
Die Ideologie dieser Verirrung wurde vollständig aus den rassevernagelten USA bezogen. Die Herkunft zeigte sich nicht nur in der Bezeichnung, in der Reklame und in der Vermarktung des Projekts, sondern auch in seiner Geschichtsvergessenheit. Ist der Antisemitismus nun ein Rassismus oder nicht? Mit Verwunderung erfuhr man, dass die Denke des woken Projekts sich in Amerika als „critical theory“ labelt.
Was zu erwarten war, trat ein: Je identitärer die Welt gestrickt wird, umso stärker greift Verfeindung um sich. Wenn extreme Rechte und verpeilte Linksliberale dann auch noch einem ähnlichen Drehbuch folgen, wird national der unerlässliche Grundstock staatsbürgerlicher Einheit abgetragen und zwischenstaatlich geraten vertragliche Übereinkünfte unter Druck oder verfallen gar. „Wertebasiert“ lässt sich im Alltag kein Staat machen. Nicht von ungefähr haben Rechtsstaaten Verfassungen statt religiöser Testamente, verbindliche Verfahren und Gesetze statt verbindlicher Wertordnungen und Richter statt Inquisitoren. Ebenso wenig lässt sich „wertebasiert“ im Verkehr der Staaten eine Außenpolitik praktizieren, die auf Interessenausgleich und Gewaltverzicht aus ist. Es gibt ein Sprichwort für das Dilemma „Des einen Uhl ist des anderen Nachtigall“. Rüstungskontrollverträge kommen zustande und haben Bestand nur dann, wenn die vertragschließenden Parteien Elemente gemeinsamer Sicherheit definieren und ungeachtet von Weltanschauung und Wertepräferenzen einhalten, ohne ein Übergewicht anzustreben. Als 1975 in Helsinki die 35 Staaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sich einigten, war diese Einsicht Konsens und ausschlaggebend für die Schlussakte, die als historischer Durchbruch in den internationalen Beziehungen gefeiert wurde. Die Erinnerung daran schien mir mittlerweile so verloren wie die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg, den „Urkonflikt“ der Moderne, der, genau entgegengesetzt, in einer Arena identitärer Wahnvorstellungen ausgebrochen war.
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Unter dem Eindruck solch weitreichender Abkehr von einem realistischen Weltverständnis beschloss ich, vorübergehend das Fach zu wechseln, die Karawane nicht länger essayistisch zu traktieren, sondern ihr ein Lied zu singen – ein Protestlied selbstverständlich, aber kein anklagendes, sondern ein erfrischendes. Daraus entstand vor sieben Jahren binnen kurzem ein politisch-literarisches Lehrstück von Versuchung und Gefahr, Lust und Selbstbehauptung, Massel und Rettung: „1972! Ein kanarischer Gesang“ – oder Flower Power statt Kulturkrieg.
Vom eigenen Elan hingerissen hatte ich übersehen, dass 2018 im deutschen Verlagswesen niemand auf den belletristischen Erstling eines alten Mannes mit politischer Vergangenheit wartete, egal was drinsteht. Da das Schreiben Spaß gemacht und das Manuskript außer mir noch einigen anderen gefallen hatte, überstand ich die Ernüchterung und legte den Text in den Schrank zurück. 2022 nahm ich ihn im Corona-Fieber wieder vor und veröffentlichte das Resultat bei Books on Demand unter dem Autorennamen Andrea Morgari.
Andrea Morgari, 1972! Ein kanarischer Gesang, Norderstedt 2022 (€10,99)
Ohne Reklame nahm öffentlich kaum jemand von der Neuerscheinung Notiz, es gibt viele neue Bücher. Immerhin folgte auf die Publikation ein kantiges Verhör, der ungekürzte Text findet sich im Anschluss. Er ruft die Zeit einer anderen Emanzipation auf. Sie ging von der Jugend der 1960er Jahre aus, kam nicht identitär daher, sondern universalistisch und inklusiv, die Friedens- und Anti-Atombewegung der 1980er Jahre sind die politischen Glanzstücke ihres Aufbruchs. Heute dagegen wird 1968 behandelt wie in der imperialistischen Welt des beginnenden 20. Jahrhunderts die 1848er Revolution, als toter Hund oder als anrüchige Erbschaft. An jener Zeitenwende zum 20. Jahrhundert wurde in der bürgerlichen Welt statt für Völkerfrühling für Aufrüstung getrommelt, Kriegstüchtigkeit schneidig zum Ideal erhoben und der völkerverbindende Sozialismus der Arbeiterbewegung als „Vaterlandsverrat“ geschmäht. Die wahre Barbarei, auf diese Weise durch Verlernen und Propagandarummel vorbereitet, war 1914 fällig.
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Nüchtern betrachtet ist die Pipeline des politischen Gelernten erneut gebrochen, sie muss gerichtet, der historische Ertrag gesichert werden. Eine Praxis der Antidiskriminierung, die sich der Missachtung privater Selbstverständnisse widersetzt, ist untadelig, reicht aber nicht aus, um den Prozess der Emanzipation auf der Höhe zu halten. Die gewohnheitsmäßige Ansprache der 60 Geschlechter, die Wikipedia unter „Sexuelle Identität“ ausweist, ist spielerisch und kaum ein Treibsatz für ein würdiges Leben der Freien und der Gleichen in Gesellschaften ohne Ausbeutung, ohne Erniedrigung, ohne Not – und als Tätigkeitsnachweis angesichts von Kriegsgefahr und Krieg zu wenig.
Auch wird beim Stand der Dinge ein gutes Leben für die große Zahl wohl nur noch jenseits der kapitalistischen Produktionsweise und der ihr eigentümlichen besinnungslosen Plusmacherei zu gewinnen sein. „Wer glaubt, exponentielles Wachstum könne in einer endlichen Welt ewig weitergehen, ist entweder ein Verrückter oder ein Ökonom“, spottete Kenneth Boulding schon 1973 vor dem US-Kongress. Der Befund ist nicht widerlegt, und die Warnung, die er enthält, immer dringlicher.
Beim Wirtschaften herrschen auf der Welt Verhältnisse, die das Leben sabotieren, eine winzige Minderheit indes wird unvorstellbar reich dabei – das ist die unüberbietbare Diskriminierung unserer Zeit. Sie verlangt volle Aufmerksamkeit, ihre Überwindung ist der Große Preis der Emanzipation. Zu erringen ist der Lorbeer nicht durch persönliche, private Einkehr, sondern allein durch gemeinschaftliche universalistische politische Aktion.
Kein Tun hemmt die dringliche soziale und ökologische Umwälzung brutaler als Aufrüstung und Krieg, heiß oder kalt. Eine klarere Botschaft gibt es in der Pipeline des politisch Gelernten nicht. Darum gilt heute wie vor vierzig Jahren Willy Brandts Wort: Friede ist nicht alles, aber ohne Friede ist alles nichts.
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Andrea Morgari: 1972! Ein kanarischer Gesang
Eine Art Verhör
Der Autorenname
Frage: Warum „Andrea Morgari“?
Antwort: „morgari“ nutze ich seit zwanzig Jahren, wenn ich online kommentiere, von der Financial Times bis zu Telepolis, in der FAZ stand lange Zeit der bürgerliche Name daneben, es ist eine Verbeugung vor Oddino Morgari, einem italienischen Sozialisten und Kriegsgegner 1914/18.
Und warum „Andrea“?
Passt zu Morgari und gefiel mir, weil doppeldeutig, die Identitären aller Glaubensbekenntnisse gehen mir auf die Nerven.
Aber Sie täuschen ihre Leserschaft!
Als Mann oder als Frau?
Warum überhaupt das Verstecken hinter einem Pseudonym?
Ist kein Verstecken, Sie brauchen ein paar Klicks und keine drei Minuten, um im Internet den Klarnamen zu finden, falls Sie ein Geheimnis vermuten und scharf darauf sind, es zu lüften.
Gut, warum ein Autorenname?
Der Autorenname ist spielerisch wie der Text der Erzählung, eine Fiktion beides. Was mich an diese Arbeit fesselte und mir Vergnügen bereitete, war die Freiheit zur spielerischen Gestaltung, als Wissenschaftler oder als politischer Autor hatte ich das nicht.
Aber diese Freiheit hätten Sie auch unter eigenem Namen.
Nicht ganz, dachte ich. Doch warum, wenn ich Sie mal was fragen darf, machen Sie so wegen des Namens rum? Wird ein Text erst gegenständlich und der Deutung zugänglich, wenn der Autor zertifiziert ist?
Sie wollen sich drücken.
Anders, ich bin nicht postmodern. Texte von mir gibt es seit fünfzig Jahren unter verschiedenen Auftritten. Wenn sie etwas taugen, dann wegen des gedanklichen und sprachlichen Angebots, nicht wegen des Namens, der drübersteht.
Sie mögen Beltracchi?
Jetzt muss ich Sie loben! Den Maler Beltracchi schätze ich, aber die Analogie hinkt.
Der Titel
Zum Titel: Warum „ein kanarischer Gesang“, warum nicht „ein kanarischer Abgesang“? Sie beerdigen doch die Studentenbewegung.
Im Gegenteil. Die Antiautoritären der Bundesrepublik, die sich 1972 ins Berufsleben verabschiedeten, standen für das Leben nach dem Tod der deutschnationalen Hegemonie. Dass ich Ihnen das sagen muss, dürfte an späteren lausigen Zeiten liegen.
Sie klingen nostalgisch, wie ihr Buch.
Besser so als falsch. Das Grablied der Jugend- und Studentenbewegung auf den deutschen Nationalismus und die römische Kirche war eine mitreißende Hymne, menschenfreundlich, wirkmächtig, überwältigend. Leider nutzt auch eine solche Tat sich nach einer langen Weile ab, darum zum runden Jahrestag die Erinnerung.
Einen märchenhaften Gesang haben Sie zu diesem Zweck komponiert.
Warum nicht einen „poetischen“?
Der poetische Realismus im französischen Film der 1940er Jahre, auf den Sie in Ihrer Erzählung und jetzt anspielen, war eine tragische Weltanschauung, bei Ihnen dagegen wird alles schön und gut.
Sie verwechseln Tragik und Melancholie, aber nebbich: Beides war 1972 weit weg. Doch fühlen sie sich zu Recht provoziert, denn mein Stück behandelt seine Figuren mit voller Absicht gut, ein paar Drecksäcke ausgenommen.
Sozialistischer Realismus …
Leider nicht, die notwendige Abschaffung der besinnungslosen Plusmacherei braucht noch Zeit. Einen Vorgriff auf das richtige Leben erlaubt sich die Erzählung jedoch, das stimmt.
Produzieren Sie damit nicht Fake News, es gibt Ihres Erachtens doch kein richtiges Leben im falschen?
Wo haben Sie das denn her? Ich bin kein Bußprediger.
Was sonst?
Ein Sänger, Sie selbst sagten es. Mein Text besingt die Freundschaft. Auf Freundschaft lässt sich zwar keine neue Gesellschaft bauen, aber im überschaubar Kleinen entsteht durch sie ein Vorgeschmack auf ein frohes Leben und eine umfassende Solidarität, die nötig sind, wenn die menschliche Gattung sich nicht evolutionär als Schuss in den Ofen erweisen soll.
Sie geben Ihre Ideale nicht auf?
Es sind keine Ideale, es sind Einsichten in materielle Notwendigkeiten.
Die Freundschaft
Wenn man Ihren Text liest, stößt man zwar auf Freundschaft, vor allem aber auf Männer, die mit Lust eine andere Frau begatten als die eigene. Mir ist beim Lesen bald der bekannte Spruch der 68er eingefallen: „Wer zweimal mit der derselben pennt, gehört schon zum Establishment!“.
War grandios der Spruch, er hat sich im Deutschen sogar gereimt, nur hat sich niemand drangehalten. Wer verzichtet schon auf den zweiten Akt, wenn der erste, wie üblich, zu rasch vorbei war? Aber Sie liegen nicht nur damit daneben. In meiner Erzählung ist die Liebe immer beidseitig. Nicht immer wird miteinander gepennt, nicht jede Zuneigung wird auserzählt, manche nur angedeutet, und welche Partei von der Lust mehr gereizt oder mehr aufgerieben wird, bleibt der Phantasie des Publikums überlassen. Ihre herrschaftliche Deutung des sexuellen Begehrens in diesem Text ist eine Kopfgeburt, und zwar Ihre.
Wie verstehen Sie denn das Begehren?
Kreatürlich.
Bitte etwas genauer.
Das Begehren baut sich auf vor jeder Reflexion, die Menschen sind darin Naturwesen, es richtet sich nicht nur auf eine Person. Aber schon in den Anfängen der menschlichen Gattung haben sich Paarbeziehungen auf Dauer herausgebildet, sie entsprachen Affekten und waren zweckmäßig. Die belesenen 68er sprachen von Zwangsehe und machten im Gefolge von Sigmund Freud die bürgerliche Gesellschaft dafür verantwortlich, das war ein zeitgenössischer Kurzschluss.
Aber Ihre Protagonisten spotten doch ganz in diesem Sinn der bürgerlichen Norm!
Nein, der Autor konstruiert Grenzüberschreitungen, das Personal lebt in einer belletristischen Fiktion. Und von wegen spotten: Wenn meine Gestalten die Norm verletzen, ist ihnen die Lust recht, aber Manschetten haben sie auch. Mit welcher Brille haben Sie den Text gelesen?
Warum dann die ganze Übung?
Weil die Liebe das größte Ding und das emanzipatorische Kraftwerk der Jugend- und Studentenbewegung in den 60ern und 70ern war und die „freie Liebe“ das womöglich zweitgrößte und weil ich diese Tatsache dem intellektualistischen wie dem psychologistischen Blick auf die „68er Bewegung“ entgegenstellen wollte.
Mit Liebe und Freundschaft hatten es die bekannten 68er Polit-Kader ja auch nicht so, oder?
Da fehlt mir die Kenntnis.
Wozu aber das Freundschaftsgetue? In Ihren realistischen Beschreibungen des körperlichen Begehrens und seiner Erfüllung kommen Sie doch locker ohne aus.
Schauen Sie mal genau auf den Text. Freundschaft lebt nicht nur in den Paarbeziehungen, ist entscheidend nicht allein für deren Möglichkeit und Gelingen, sie ist durchgängig das Erfolgsmuster in der Erzählung, und wo sie fehlt, blättert die Tapete ab. Freundschaft im Privaten ist analog zur Kooperation im gesellschaftlichen Maßstab.
Und was entspricht der Konkurrenz, die Sie in Ihren gesellschaftskritischen Essays der Kooperation unterordnen?
Das eifersüchtige Nebeneinander.
Das Leben und die Literatur
Sie strapazieren mein Vorstellungsvermögen nicht bloß mit einem Übermaß an freundschaftlichem Getue, Sie strapazieren es auch mit einigen Charakteren der Erzählung, die zu gebildet, zu clever, zu sprachgewandt sind. Was hat das noch mit einem realistischen Blick auf die 68er im Jahr 1972 zu tun?
Die Intelligenz der Charaktere in dem Text müssen Sie aushalten. Die 68er Abiturienten in meiner Luftwaffen-Staffel in Lager Lechfeld waren auch nicht amüsiert, wenn ihnen der diensthabende Unteroffizier sagte, seine Mutter habe nach acht Jahren Volksschule so gut wie fehlerfrei Deutsch geschrieben, von ihnen könne man das nicht behaupten.
Sie lenken ab. Ein Teenie wie Vera Mühlen gibt es nur im Roman …
Dann ist sie ja am richtigen Ort. Aber ich will Ihrem Einwand nicht ausweichen. Ich bin ein Verfechter und ein Liebhaber der Kategorie der Möglichkeit, das habe ich von meinem klügsten Lehrer Georg Lukács. Als Historiker müssen Sie kritisch fragen, was einem Akteur an Erkenntnis und Mut möglich war, wenn Sie das Handeln des Akteurs fair beurteilen wollen. Als Literat haben Sie die Freiheit, die Möglichkeiten eines Akteurs oder einer Actrice zu entfalten, das ist ein Angebot und ein Geschenk.
Sie haben also reale Vorbilder aufgebohrt, wenn ich so sagen darf?
Ich habe Lebenserfahrungen verarbeitet und Potential ausgeschöpft.
Warum schwafeln Sie? Sagen Sie doch gut italienisch: Si non è vero è ben trovato!
Das Eigenlob würde Ihnen passen.
Sie kokettieren. Einige Ihrer Figuren sind ohne Mühe zu dechiffrieren, die beiden einflussreichen Juristen in Bonn zum Beispiel, auch die italienische Diva ist Ihnen unverwechselbar geraten, da liegt es nahe anzunehmen, dass Sie auch andere Charaktere von der Wirklichkeit abgepaust haben. Fürchten Sie Nachfragen?
Nur seufzende, wenn überhaupt.
Das in Anführungszeichen „schwarze“ US-Pärchen, das sich in der hellen Hautfarbe von seinen deutschen Freunden nicht unterscheidet, ist eine kühne Konstruktion, da ist Ihnen Ärger sicher.
Die Figuren Eileen und Fred sind keine Konstruktion, sondern, um es mit Ihren Worten zu sagen, vom Leben abgepaust, ich habe sie bloß miteinander verbandelt. Dass beiden als weißen Schwarzen oder schwarzen Weißen der US-Rassismus zum Hals raushängt, wird man dem Autor nicht vorwerfen.
Das vielleicht nicht, aber Sie geben den beiden auch null Empathie für ihr Schwarzsein nach US-Zensus mit.
Worauf stützen Sie diese Deutung? Die beiden begegnen ihren weißen wie ihren schwarzen Vorfahren weder stolz noch verächtlich, sie finden es bloß absurd, dass sie – von wegen ein Tropfen Blut! – in den USA in die schwarze Schublade gesteckt werden. Zuwider ist ihnen der weiße Rassismus, der allen Schwarzen das Leben versaut, ihn fliehen sie.
Ausgerechnet nach Deutschland …
… wo 1972 der identitäre Wahn nicht verschwunden, aber ganz und gar deutschnational verortet ist und rechtlich ein Tropfen Blut nichts bedeutet. Den woken Vorwurf gegen die Figuren Eileen und Fred und gegen den Autor, der bei Ihnen mitschwingt, sacke ich ein. Black Lives Matter, ja, aber mit Race können Sie mir in jeder Konnotation gestohlen bleiben. Es zählt das Individuum. Kategoriale Zugehörigkeiten, die echten, die konstruierten kommen erst an zweiter Stelle, wenn überhaupt, manche sind belanglos, bloß aufgeplustert.
Antiautoritär auch nach fünfzig Jahren?
Noch nach hundert. Es gibt keinen aufrechten Gang hinter das Individuum zurück. Die sich gegen die Rechte selbst identitär kostümieren und in Gruppenhokuspokus machen, sind keine Linken, sondern Salonliberale.
Die sexuelle Autonomie der Frau
Die Frauen in Ihrer Erzählung sind „Me too“, aber anders.
Ja, anders.
Haben Sie die Form der Erzählung wegen der Frauengestalten gewählt?
Das hat eine Rolle gespielt, aber ich habe 2017 beim Schreiben nicht auf #MeToo reagiert. Als der Hashtag Fahrt aufnahm, war mein Text abgeschlossen.
Ihre Frauengestalten sind in einer Art selbständig, zielbewusst und erfolgreich, die verwundert. In den weiblichen Erinnerungen an die Zeit lesen sich die Frauenschicksale keineswegs strahlend.
Da fehlt mir die Lektüre. Ich kann nur sagen, dass mir Weniges so zuwider ist wie die Unterdrückung oder die Erniedrigung von Frauen. In meiner 68er Erfahrungswelt trat beides glücklicherweise kaum auf. Auch davor und danach erlebte ich vor allem taffe Frauen, und immer habe ich insgeheim auf Holz geklopft, damit es in meinem Leben so bliebe. Ohne die helfende Hand von Frauen wäre ich privat und beruflich mehrfach abgestürzt und säße Ihnen jetzt nicht gegenüber.
Würden Sie für die Jugend- und Studentenbewegung der 60er Jahre schon von einer weiblichen Selbstermächtigung sprechen, die Sie dann in Ihrer Erzählung abgebildet haben?
Die Worte sind mir zu groß. Meine Frauengestalten sind individualistisch. Gemeinsam ist ihnen allerdings ein Entwurf weiblicher Freiheit, wie ihn Carel van Schaik und Kai Michel in „Die Wahrheit über Eva“ als Kombination von sexueller Autonomie, wirtschaftlicher Unabhängigkeit und belastbarer Frauen-Netzwerke beschrieben.
Sexuelle Autonomie ist ein großes Wort.
Wie jede Autonomie ist auch die individuelle sexuelle Autonomie der Frau nur mit einem Gran Salz zu haben. Das ändert nichts daran, dass gerade sie Anstoß erregt, nicht allein bei Männern, nicht nur gestern, nicht nur auf der Rechten.
Wie erklären Sie die 60er-Jahre-Lust an der Lust?
Juliet Prowse wurde mal gefragt, ob sie bei den Dreharbeiten von „G.I. Blues“, das war 1960, mit Elvis Presley im Bett gewesen sei, und sie antwortete: Wir waren jung und gesund. Was in den späten 60ern dazukam, war die Pille.
Von Verhütung ist in Ihrem Text nie die Rede …
Das fiel mir bei der Durchsicht selber auf, aber bitte, so war es, man verließ sich 1972 auf die Pille.
Man verließ sich… Die Verhütung war den Frauen auferlegt – ist das nicht doch wieder bezeichnend?
Die Teenies und Twens, die ich kennen lernte, haben nicht geklagt, sie waren froh, dass sie nicht Gefahr liefen, ungewollt schwanger zu werden. Vielleicht kann man sich fünfzig Jahre danach nicht mehr vorstellen, was es bedeutete, endlich unbeschwert poppen zu können, das war nicht nur für die Jungs toll.
Die Franco-Diktatur
Sie haben Ihr Buch „den spanischen Demokraten, Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten gegen die Franco-Diktatur“ gewidmet. Weshalb diese beinahe enzyklopädische Auflistung? Und was war diese Diktatur für Sie?
Als ich politisch heranwuchs und aufmerksam wurde, empfand ich es als Zumutung, dass in Anführungszeichen „wir“ mit der spanischen Diktatur in einem Boot saßen. Als man mich in der Schule belehrte, diese sei bloß autoritär, nicht totalitär, also halb so schlimm, wollte ich es genauer wissen und las mich ein in Bürgerkrieg und klerikal-faschistische Gewaltherrschaft.
In Ihrem Text gehen sie mit dem franquistischen Chef der kanarischen Inseln freundlich um.
Nicht nur aus erzählerischen Gründen. Der Mann ist eine Stütze des Regimes, sein Charakter wird erprobt. Er und seinesgleichen müssen aufmerken, wenn das Regime alt wird, sich überlebt und erneut überzieht, sie müssen die Veränderung einleiten, wenn ihnen etwas an den Leuten und der eigenen Zukunft liegt und sie nicht wollen, dass es knallt. Adolfo Suárez war in groß, was mein Präsident in klein verkörpert.
War die Veränderung, für die der junge König und Suárez 1976 einstanden, schon 1972 zu spüren?
In Katalonien an der Küste und etwas schwächer auf Teneriffa roch es danach, das reichte für die Erzählung.
Die Bauarbeiter in Ihrem Text sind Anarchisten?
Ja, wie radikale Bauarbeiter fast immer und überall auf der Welt, in Spanien bei den Comisiones Obreras.
Es gibt zumindest eine Leserin, die nicht das Darling der Maurer, sondern Cristina Montt für die stärkste weibliche Figur Ihrer Erzählung hält. Sie ist nicht von ungefähr eine Katalanin aus Tarragona?
Sie ist eine für damals typische junge Spanierin aus altrepublikanischer Familie, ihre Herkunft aus Katalonien ist weniger überraschend als Job und Ambiente ausgerechnet auf Lanzarote.
Sie haben für die katalanischen Separatisten nichts übrig?
Doch, ich gönne ihnen das gleiche Maß an Autonomie wie den bayrischen
„Die Kinder der Finsternis“
Da Sie auf Literatur bestehen, müssen wir über den Auftakt Ihres Gesangs reden und was er sagen soll. Sie beschreiben ein Wetterphänomen in vier Sätzen, diese lesen sich wie ein Zitat. Ist es eins?
Der Anfang ist eine Verbeugung vor der Beschreibung eines Naturereignisses in den „Kindern der Finsternis“ von Wolf von Niebelschütz, zugleich eine Danksagung an den Autor, der eine fulminante Erzählung in die Provence des Mittelalters hineingebaut hat.
Verbeugungen gehören eher nicht zu Ihrem Repertoire – warum hier?
Wolf von Niebelschütz ist ein Meister unserer Muttersprache, wortsicher, tonsicher, bildsicher, hinreißend und tröstend zugleich.
Wollten Sie einer bewunderten Vorlage mit einem eigenen historischen Stück nacheifern?
Nein, aber „Die Kinder der Finsternis“, die ich 2013 erstmals las, bestärkten mich, selbst wieder zu schreiben und dabei eine bestimmte Haltung nicht zu scheuen.
Bis „1972!“ ließen Sie sich vier Jahre Zeit.
Mit einer Erzählung ja, aber ich schrieb andere Texte, entschlackte meine Sprache und meine Entschlossenheit. Auf die Erzählung bin ich verfallen, weil ich Überdruss empfand, unentwegt politischen Ochsen mit politischen Artikeln ins Horn zu kneifen.
Und warum eine Danksagung?
Im Roman wird der rätselhafte Titel des Werks an einer Stelle von der Markgräfin Oda erklärt: Die Menschen sind Kinder der Finsternis, sie müssen leiden, um das Licht im Reich Christi leuchten zu lassen (S. 225).
Und leiden sie tatsächlich?
Sie leiden, weil der Heilsplan, den ein Erbsünden-August im 5. Jahrhundert in die Welt gesetzt hatte, gelehrt wird, geglaubt wird und wirkt.
Aber sie leiden nicht nur?
Wolf von Niebelschütz ist so kühn, sich eine mittelalterliche Provence zusammenzustecken, in der, allen politischen Widrigkeiten und der christlichen Inquisition zum Trotz, Freundschaften entstehen und halten, Lebensgewinne nicht an Vorurteil und Dünkel scheitern und Liebe in unterschiedlichen Formen auch glückt.
Der Autor ist nicht kirchentreu?
Ganz und gar nicht.
Er ist antiautoritär und überzeugt, dass kein aufrechter Weg hinter das Individuum zurückführe?
Das hätte er so nicht gesagt, aber Sie haben Recht.
Und seine Frauengestalten waren Ihnen ein Vorbild?
Seine Frauen sind grandios.
Kurz gesagt, es ist die heile Welt in der verdorbenen, die Ihnen ein Beispiel gab?
Ja, das wahre Leben im falschen. Wieso verstehen Sie mich plötzlich?
Die Short Story
Ihre Erzählung hat mich durch manche Leerstelle überrascht, zwei will ich noch ansprechen. Warum sagen Sie an keiner Stelle, was in den Köpfen vorgeht?
An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.
Das ist eine ehrwürdige Erzähltradition, aber —
Kein Aber, Sprechen und Schreiben sind in der Erzählung Taten, so kommt einiges zusammen, und keine für das Verständnis bedeutende Absicht bleibt absichtlich im Dunkeln. Ich bin politischer Schriftsteller, kein Mystiker.
Aber warum beschreiben sie so sparsam die gegenständliche Welt des Jahres 1972? Nicht nur die Kleidung und die Haartracht der Männer wären dankbare Themen gewesen …
Die der Frauen auch, doch das hätte das Tempo der Erzählung verändert, auch bin ich nicht sicher, ob ich dafür genügend Finesse und Geduld aufgebracht hätte. Und überhaupt: Warum nicht eh bestimmte Räume der Phantasie der Leserschaft überlassen?
In einer historischen Erzählung? Finden Sie nicht, dass Sie übertreiben mit der Intention, niemanden zu bevormunden?
Bevormunden ist schändlich, die Vorstellungskraft in Fesseln legen ist auch nicht besser.
Dann befriedigen Sie wenigstens meine abschließende Neugier: Hatten Sie bei der Wahl des Erzählmusters die US-Short Story vor Augen?
Ja, manchmal schon in der Fassung des anschließenden Filmdrehbuchs.
Nach Dashiell Hammett?
In der Art. Sie kennen „His Girl Friday“ von Howard Hawks?
Ja, nur warum nicht „Extrablatt“, die Version von Billy Wilder?
Wegen Hildy, ich kann Männer auch namentlich von Frauen unterscheiden.
Signore, Signore – aber ganz arglos meine Schlussfrage: Was um Himmels willen unterscheidet Sie nach fünfzig Jahren Bonn und im Licht dieser Erzählung noch von einem echten Rheinländer?
Das verhalten Deutsche.
Rührt das aus Ihrer Herkunft?
Na ja, auch im proletarischen Saarland waren die verhalten Deutschen immer eine Minderheit, und die verliert sich jetzt vollends, nur eine Handvoll singt noch „Mir sin Saarbrigger un spiele Kligger, mir mache die Bääm ab, wo gar kän sin“.
Echt? Dada?
Madame, je vous remercie pour vos questions.
Hinweis: Eine leicht verkürzte, leicht veränderte und wissenschaftlich annotierte Fassung dieses Textes ist abgedruckt in: Politisches Lernen, 42. Jg., 1-2 (2024) unter dem Titel „Aus der Sackgasse der identitären Weltflucht“.
Dr. Karl-Heinz Klär ist Sozialwissenschaftler und Historiker. Er war Lektor, Archivar, Hochschulassistent an der Gesamthochschule Kassel, Büroleiter und Redenschreiber von Willy Brandt, Abteilungsleiter Politik beim SPD-Parteivorstand, 20 Jahre Staatssekretär für Bund und EU in Rheinland-Pfalz, Fraktionsvorsitzender des linken Spektrums im Ausschuss der Regionen, der parlamentarischen Vertretung der Regionen und Kommunen in der EU, seit 2011 freier Autor.