Das hört sich gut an, was die SPD in diesem Bundestagswahlkampf fordert: Faire und gerechte Löhne! Als Arbeitgeber kann die SPD diese Forderung gewiss sofort erfüllen und ihren Mitarbeitern eine große Freude schon vor dem 25. September bereiten. Für die über 44 Mio. Erwerbstätigen in Deutschland dürfte das schon wesentlich schwieriger, ja letztlich unmöglich werden.
Bewährte Sozialpartnerschaft
Zum einen gibt es keine Definition dazu, welcher Lohn gerecht und fair ist. Zum anderen entscheiden nicht Politiker, Regierungen oder Parteien über die Löhne und Gehälter. Lohnpolitik ist Aufgabe der Tarifpartner: Gewerkschaften und Arbeitgeber entscheiden über die Höhe der Löhne und Gehälter sowie über andere Entgelte, Arbeitszeiten usw. Das ist im Artikel 9 unseres Grundgesetzes festgelegt und bislang recht erfolgreich praktiziert worden. Der Staat greift hier in Der Regel nicht ein. Der Bundesarbeitsminister kann dies unter bestimmten Voraussetzungen, etwa Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären. Mit einer solchen staatlichen Entscheidung wird der Tarifvertrag auch auf Arbeitnehmer und Arbeitgeber übertragen, die nicht tarifgebunden, nicht gewerkschaftlich organisiert sind.
Das geschieht jedoch nur recht selten – bei vielen zehntausend Tarifverträgen nur einige hundertmal. Ohnehin orientieren sich die meisten Firmen, die nicht Mitglieder in Tarifgemeinschaften sind, an den Vereinbarungen der Sozialpartner. Denn gerade in einer Zeit, da Arbeitskräfte gesucht werden, werden Arbeitgeber mit Lohndrückerei oder Lohndumping wenig Erfolg haben. Zurzeit gibt es mehr als 1 Million offene Stellen hierzulande.
Große Unterschiede bei Löhnen
In den letzten 10 Jahren sind die Löhne und Gehälter in den verschiedenen Wirtschaftszweigen recht unterschiedlich angestiegen. In der Spitzengruppe sind der IT-bereich (+ 48,7 %), die Luftfahrtbranche (+37,6 %) und der Bau (+ 30,1 %) zu finden, während die Einkommenszuwächse im Dienstleistungssektor (+ 15,6 %), in der Entsorgungsbranche (+ 8,9 %) oder im Post- und Kurierdienst (+ 6,9 %) sehr bescheiden ausfielen.
Die durchschnittlichen Brutto-Monatsverdienste liegen weit auseinander: Sie betrugen im vergangenen Jahr über 6.700 € im Erdöl- und Gasbereich, gut 5.500 € in der Luftfahrtindustrie und fast 4.700 € in der Tabakverarbeitung, jedoch nur gut 2.900 € im Post- und Kurierdienst und 2.700 € im Glücksspiel- und Lotteriewesen.
Während bei manchen Erhöhungen der Tarifverdienste in einigen Jahren (2010 und 2011) nach der Finanzkrise die Zuwächse kaum 2 % jährlich erreichten, stand danach stets eine 2 vor dem Komma bei den nominalen Erhöhungen der Löhne und Gehälter. Angesichts der Preissteigerungen, die in vielen Jahren gar nur 1 % und weniger betrugen, gab es für die allermeisten Beschäftigten ein reales Plus bei ihren Arbeitseinkommen.
Arbeitnehmer von Abgaben entlasten!
Die Bruttolöhne und –gehälter werden im laufenden Jahr deutlich mehr als 1.350 Mrd € erreichen; das sind 350 Mrd. € mehr als etwa im Jahr 2009. Sie werden 2017 netto bei rund 900 Mrd. € liegen; seit 2010 sind diese Nettolöhne und –gehälter im Jahresdurchschnitt um fast 4 % geklettert. Und das, obwohl die Quote der gesamten Abgaben an den Staat für Steuern und Sozialbeiträge seit 2010 von 43 auf über 45 % gestiegen ist; bei einem Bruttosozialprodukt, das über 3.200 Mrd. € in diesem Jahr erreichen wird, hat der Fiskus wahrlich reichlich Kasse gemacht.
Der Blick auf die Verteilung des Volkseinkommens zeigt für die letzten Jahre deutlich, dass die Zunahme der Arbeitnehmerentgelte kaum geringer ausfiel als das Plus bei Unternehmens- und Vermögenseinkommen. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass sich das Geldvermögen der privaten Haushalte seit vielen Jahren kräftig erhöht und inzwischen 5.700 Mrd. € erreicht hat; die privaten Verbindlichkeiten liegen gerade bei etwa 1.680 Mrd. €. Dagegen sind die Unternehmen mit gut 5.900 Mrd. € verschuldet, verfügen jedoch zugleich über ein Geldvermögen von knapp 4.200 Mrd. €.
Alle Instrumente für Vollbeschäftigung nutzen!
Trotz des Booms auf dem Arbeitsmarkt hat sich die Zahl der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten seit Jahren nur wenig verändert: Derzeit sind es rund 4,7 Mio., vor 3 Jahren waren es etwas mehr als 5 Mio. Der Anfang 2015 eingeführte gesetzliche Mindestlohn wurde am 1.1.2017 von 8,50 € auf 8,71 € pro Stunde erhöht. In einigen Branchen sind Mindestentgelte tarifvertraglich vereinbart worden, die jedoch höher sind. Auch Zeitarbeitsfirmen haben mit dem DGB einen Tarifvertrag abgeschlossen. Viele Arbeitnehmer, die arbeitslos waren oder eine längere berufliche Pause eingelegt haben, finden gerade über Zeitarbeit wieder zurück in einen Job; nicht wenigen wird auch von den Unternehmen, die Zeitarbeiter beschäftigen, eine feste Anstellung angeboten. Zudem nimmt die Zahl derer zu, die bewusst auf Zeitarbeit setzen – wie etwa Software-Entwickler, die für Firmen Programme entwickeln und gar nicht fest angestellt werden wollen.
Auch bei der Diskussion über die sogenannten prekären Arbeitsverhältnisse gilt es zu differenzieren. Nicht wenige Arbeitnehmer suchen einen 450 €-Job – als Putzfrau, Verkäuferin oder Fahrer. Sie erhalten ihren Brutto-Lohn netto ausgezahlt. Nicht wenige davon könnten durchaus eine Fulltime-Stelle einnehmen, stehen jedoch aus persönlichen oder familiären Gründen dem Arbeitsmarkt dafür nicht zur Verfügung. Angesichts des Äquivalenz-Prinzips in der Rentenversicherung fällt die Altersversorgung der immer wieder beispielhaft angeführten 450 €-Reinigungsfrau so bescheiden aus, dass sie selbst nach Jahrzehnten dieser Tätigkeit in die Grundsicherung fällt. Zugleich gibt es manche Frauen, die mit einem „Gutverdiener“ verheiratet sind und einen 450 €-Job in einer Boutique oder wo auch immer ausüben. Sie alle gleichermaßen in den Topf der prekären Arbeitsverhältnisse zu werfen und als spätere Armutsrentner zu sehen, wird kaum zu einer zielführenden Lösung führen.
Dasselbe gilt für Leiharbeiter und befristet Beschäftigte. Die Agenda 2010 hat auf diese Möglichkeiten gesetzt, um einen Weg aus der damals stark steigenden Arbeitslosigkeit zu finden. Gerade bei der anstehenden Herausforderung, die vielen Migranten in den Arbeitsprozess zu integrieren, ist es allemal besser, zunächst mit einem befristeten Arbeitsvertrag zu beginnen als unbefristet arbeitslos zu bleiben.
Größere Verantwortung der Gewerkschaften
Für faire und gute Entlohnung für Arbeit sind vor allem starke Gewerkschaften gefordert. Sie kennen die Rahmenbedingungen, die Entwicklungen in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen und die Spielräume für die Entgelte von Arbeitnehmern. In der Sozialen Marktwirtschaft sind sie die richtigen Kontrahenten für die Arbeitgeber.
Beide Seiten sollten auch in Zukunft mit der grundgesetzlich garantierten Tarifautonomie faire Löhne für gute Arbeit aushandeln – mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Instrumenten, vom Streik bis zur Aussperrung und Schlichtung. Die Erfahrungen mit staatlich festgesetzten Löhnen – wie etwa in der früheren DDR – waren wohl in der Tat nicht so überzeugend und zum Wohle der Beschäftigten, dass sie eine Renaissance erfahren sollten.
Wenn zudem im Wahlkampf die Löhne der Arbeitnehmer mit den – gewiss teilweise übertriebenen – Vorstandsvergütungen verglichen und neidschürend auf’s Tableau gehoben werden, so mag ein jeder sich die Mitglieder in den Aufsichtsräten der Kapitalgesellschaften ansehen: Dort sitzen viele Repräsentanten der Gewerkschaften, Betriebsräte sowie Ministerpräsidenten und Länderminister, die zumeist ohne Widerspruch die Millionen-Entgelte für die Vorstände in Automobilfirmen, in Banken und anderen Unternehmen wohlwollend abgenickt haben. An faire Vergütungen für gute Arbeit haben sie dabei wohl nicht gedacht.
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