Wer sich seriös informiert, kann eine Impfung gegen Corona nicht ablehnen. Argumente, die gegen den Piks, der vor einer schweren Erkrankung durch das Virus schützt, hat kürzlich ein Wissenschaftler als „Quatsch“ bezeichnet. Er hat Recht. Und doch verweigern Verschwörungstheoretiker und Sprach-Schwurbler, der eine oder andere Esoteriker die Impfung, die nachgewiesenermaßen vor dem Tode schützen kann und schützt. Ungeimpfte sind gefährdet, sie gefährden uns, die dreimal Geimpften, die Kinder. Sind 100000 Tote kein Grund, sich impfen zu lassen? Das ist der Preis dieser Dummheit.
In der Berliner Sonntagszeitung des „Tagesspiegel“ habe ich gerade eine Kolumne von Sabine Rennefanz gelesen mit dem Titel: „Ostdeutscher Selbsthass“. Sie hat Gründe herausgefunden, warum die Impfquoten in Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen so niedrig sind, warum der Ort mit der niedrigsten Impfquote in Deutchland der Erzgebirgskreis rund um die Stadt Annaberg-Buchholz ist. Sich nicht impfen zu lassen sei demnach „Teil einer politischen Identität geworden, die Gruppen vereint und voneinander abgrenzt.“ Dass diese Menschen ihr eigenes Leben und das anderer riskierten, scheine den Reiz des Impfgegnertums eher noch zu stärken. Man darf mit dem Kopf schütteln. Aber die Berliner Kollegin ist mit ihrer Analyse noch nicht am Ende. In der Pandemie falle auf, schreibt sie, dass es eine Verbindung zwischen niedriger Impfquote, hoher Inzidenz und hohen AfD-Wahlergebnissen gebe. Im Erzgebirgskreis habe fast jeder Dritte bei der letzten Bundestagswahl AfD gewählt. Als Protest. Früher habe man für die Linke gestimmt, weil man frustriert gewesen sei vom Einigungsprozess, enttäuscht habe man sich von der Gesellschaft abgewandt, weil die Einigung nicht das gebracht habe, was man sich erhofft hatte. Sie hätten die Erfahrung machen müssen, dass sie im neuen Deutschland nicht mehr gebraucht würden.
Neues Schimpfwort Wessischwein
Es taucht der Begriff „Wessischwein“ auf, lese ich in der Kolumne weiter, Wessischwein als schlimmstes Schimpfwort, das für alles hergenommen werde, was man ablehne, vor allem Impfbefürworter, egal, wo sie herkämen. Selbst der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, der aus Görlitz stammt, sei mit diesem Schimpfwort belegt worden. „Sie werden mich nicht brechen“, wird ein Wirt aus Annaberg-Buchholz in der New York Times zitiert. Man ist dagegen, das vereint die Impfgegner, gleich wie die Folgen für ihn und seine Nachbarn ausfallen. Absurd, oder?
„Niemand ist sicher, solange nicht alle geschützt sind“, hat der WHO-Chef gesagt, gemahnt, mehrfach. Wie übrigens nahezu alle namhaften Virologen und Epidemiologen. Es ist falsch, was Bayerns Ministerpräsident vor Tagen behauptete, selbst die Experten hätten die Vierte Welle nicht früh vorausgesagt. Haben sie doch, Herr Söder. Der CSU-Chef wollte mit dieser billigen Ausrede nur von seinem eigenen Zögern und Zaudern ablenken, weil damals Sommer war, Wahlkampf, man keine Wählerin und keinen Wähler verprellen wollte.
Wer hören wollte, konnte in der Pandemie vieles lernen. Erstens: Impfen, impfen, impfen. Dazu möglichst Kontakte vermeiden, Abstand halten, Hygiene-Maßnahmen pflegen wie Händewaschen, Verzicht auf das Bussi-Bussi-Getue der sogenannten Gesellschaft, kein Händeschütteln, Husten in die Armbeuge. Rücksicht auf andere nehmen, die man anstecken könnte. Man kann das Verhalten, das geboten ist, als solidarisch bezeichnen, als vernünftig. Oder mit einem sehr schönen Wort verbinden: Einander achten, auf einander achten.
Impfpflicht muss kommen
Die neuen Regeln wie das 3-G-Gebot im Job hätte ich mir früher gewünscht. Aber das mag damit zusammenhängen, dass wir uns in einem politischen Interregnum befinden, die abgewählte Regierung amtiert noch. Olaf Scholz wird in wenigen Wochen gewählt, die Minister dann vereidigt. Aber wir haben eines: ein Parlament, das neue, frisch gewählt. Es ist schon aktiv geworden.
Die neue Regierung wird handeln müssen. Weil mehr geschehen muss, weil die Impfquote in Deutschland zu niedrig ist, gefährlich niedrig. Italien, das Land, über das wir so gern lästern, weil dies und das nicht funktioniert, aber Italien ist uns einen großen Schritt in der Corona-Bekämpfung voraus. Wir brauchen 2-G am Arbeitsplatz. Mehr Home-Office, wo immer es geht. Klar muss jedem Beschäftigten sein, dass er seinen Job riskiert, wenn er nicht geimpft ist. Und wir brauchen eine Impfpflicht, wie sie viele fordern, wie sie auch der künftige Kanzler Olaf Scholz angeblich will, wie übrigens auch der FDP-Vize-Ministerpräsident von NRW, Joachim Stamp. Sein Noch-Parteichef Christian Lindner, der im neuen Kabinett von Scholz Finanzminister werden soll, müsste die Bedenken mancher Liberalen mal ernsthaft überprüfen. Es kann doch nicht sein, dass wir eine Freiheit feiern, die zu Lasten anderer Menschen geht, weil Ungeimpfte das tödliche Virus weitergeben können.
Eine Regierung, die vernünftig und verantwortungsvoll handelt, ist dazu gezwungen, eine Impfpflicht zu beschließen. Weil sie Leben schützen muss. Wir dürfen nicht zulassen, dass durch verantwortungsloses und rücksichtsloses Verhalten der Impfgegner die Republik gelähmt wird, dass die wirtschaftlichen Schäden noch größer werden und irgendwann nicht mehr bezahlbar sind, dass unser Gesundheitssystem an die Wand gefahren wird, weil Ärzte, Pfleger und andere am Limit arbeiten und irgendwann nicht mehr können. Eine Impfpflicht wird kommen, weil sie kommen muss. Weil nur sie zusammen mit vernünftigem Handeln der Menschen den Weg aus der Pandemie weist. Und diese Pandemie, das machen uns die Mutanten des Corona-Virus immer wieder klar, weil sie aus aller Welt zu uns kommen können, durch Fliegen, Urlaub und Geschäftsaktivitäten, muss weltweit bekämpft werden.