1. Der Heizungsbeschluss im Ampel-Vertrag
Die Ampel hat in ihrem Koalitionsvertrag etwas Enigmatisches beschlossen: Erneuerbaren-Ziele für Heizungstypen, und das noch dynamisch über die Zeit. Im Wortlaut des Ampel-Vertrages:
„Zum 1. Januar 2025 soll jede neu eingebaute Heizung auf der Basis von 65 Prozent erneuerbaren Energien betrieben werden.“ (S.90)
Das ist formal eine Anforderung für sämtliche Gebäude, relevant ist sie aber vor allem für Bestandsgebäude. Zum technischen Hintergrund findet sich in einer Untersuchung mit dem Titel „Ein Sofortprogramm für klimafreundliche Häuser“ Folgendes.
„Bislang werden in Deutschland jährlich etwa 800.000 Heizkessel erneuert. Bisher sind dies vor allem Öl- und Gaskessel – in Zukunft werden stattdessen in erster Linie Wärmepumpen eingebaut. Damit Deutschland bis 2045 klimaneutral ist, müssen bis 2030 sechs Millionen und bis 2045 vierzehn Millionen Wärmepumpen eingebaut sein. Die übrigen gut 40 Prozent der Häuser müssen an grüne Nah- und Fernwärmenetze angeschlossen werden.“
Das ist die Vorstellung einer klaren Begrenzung. Es gibt darin nur zwei Endenergieträger, Wärme und Elektrizität – Gas kommt (nicht mehr) vor. Die erwartete Aufteilung lautet 60% für Wärmepumpen, also für Elektrizität; 40% für Fern- und Nahwärme – also mit einer größeren externen Wärmequelle aus erneuerbaren Energien. Zusammen sind das 100%, etwas anderes gibt es nicht. Das ist das Bild, welches hinter des 65%-Formel im Koalitionsvertrag steht. Geregelt wurde dies in drei Gesetzen
- der „Heizungsgesetz“ genannten Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG);
- der „Bundesförderung für effiziente Gebäude“ (BEG);
- dem „Gesetz für die Wärmeplanung und zur Dekarbonisierung der Wärmenetze“ (KWP-Gesetz).
2. Die Kehrseite: Heraus aus den Erdgasleitungen der Feinverteilung
Soweit die Vorderseite. Dieser Vorgang hat aber auch eine Kehrseite. Auch die muss geregelt werden. Es geht ja eigentlich um die zuwachsende Erneuerbaren-Qualität des Endenergieträgers, der in einem Heizungssystem genutzt wird.
Auf der Kehrseite, dem Komplement, geht es um den Einstieg in „grüne“ Energieträger und parallel um den Ausstieg aus einem leitungsgebundenen fossilen Energieträger in der Fläche, dort, wo er nicht „grün“ zu machen ist, im „kapillaren“ Teil des Erdgasnetzes. Der ist auf Wasserstoff praktisch nicht umrüstbar. Bleibt Biomethan – das aber wird absehbar, des Missverhältnisses von Angebot und Nachfrage wegen, eine Nischenlösung höchstens werden. Also geht es um den Rückzug der Gasverteilnetzwirtschaft aus ihrem zentralen Vermögenswert. Ihre Netze werden schrittweise weniger genutzt werden, sie müssen schließlich stillgelegt und gemäß Konzessionsverträgen vielerorts rückgebaut werden.
Mit Ausstiegen aus etablierten Energieträgern sind wir in Deutschland inzwischen vertraut. Wir haben bereits drei erlebt:
(a) aus der Atomkraft;
(b) aus der Steinkohle, erst der heimischen, dann der importierten;
und (c) schließlich aus der (heimischen) Braunkohle.
In allen drei Fällen haben wir erlebt, dass der Staat die Ausstiege finanziell unterstützt hat, sich sehr großzügig gezeigt hat, teilweise übermäßig großzügig – Gabriels Reserve-Kraftwerks-Lösung für Steinkohle-Kraftwerke, die logistisch nicht in der Lage waren, Reserve zu sein, hat an die sprichwörtliche britische Konflikt-Lösung mit Heizern auf E-Loks erinnert. Vor diesem Hintergrund fällt auf, dass nun im vierten Akt, bei den Gasverteilnetzen, diese Lösung nicht im Raume steht; dass sie von der betroffenen Wirtschaft, meist in kommunaler Hand, auch nicht gefordert wird.
Dennoch ist es selbstverständlich so, dass auch hier im vierten Fall „stranded assets“ entstehen. Wer soll die tragen? Darum wird gerungen. Nur die Bühne ist eine andere. Denn es geht nicht um Staatsgeld. Bislang zumindest nicht.
3. Die Bühne der Auseinandersetzung: Die Abschreibungsregeln der BNetzA
Der Grund für den Bühnenwechsel: Die leitungsgebundene Gaswirtschaft ist reguliert. Gasnetze werden im Monopolmodus betrieben. Die regulierungspolitische Maxime lautet „Umlage der erforderlichen Kosten“ auf die Kunden. Das Abrechnungsverhalten der Monopolisten steht unter der Aufsicht der Bundesnetzagentur (BNetzA). Die entscheidet, welche Kosten erforderlich sind. Sie entscheidet auch, über welche Zeit die anfänglichen („aktivierten“) Netz-Investitionen amortisiert werden dürfen und mit welchem Kapitalzins. Da, in der geltenden Netzentgelt-Regulierung, in der Option einer Änderung der Gasnetzentgeltverordnung (GasNEV), liegt das Eisen bzw. liegen Milliarden im Feuer.
Die Kosten der Gasverteilnetze, die den Kunden „anteilig“ in Rechnung zu stellen sind, bestehen aus drei Elementen:
(a) denen für den laufenden Betrieb – die periodengerecht in Rechnung zu stellen, ist keine große Kunst;
(b) dem Aufwand für die Investitionen – da wird es mit der Perspektive des Ausstiegs recht „tricky“;
und schließlich (c) dem ebenfalls regulierten Preis für das vorgestreckte Kapital, dem Kalkulationszins – da muss man ganz grundsätzlich werden.
4. Verteilung der Leitungskosten bei weglaufenden Gaskunden
Bei dem Aufwand für das sehr langlebige Gut „Gasverteilnetze“ gilt die Maxime: Er ist über die Zahl der Jahre, vulgo „Lebensdauer“, über die das Netz voraussichtlich genutzt werden wird, gleichmäßig zu verteilen. Damit sind die Kosten pro Periode bestimmbar. Die werden dann auf die jeweiligen Nutzer des Netzes umgelegt, nach Maßgabe des Ausmaßes ihrer Nutzung in der jeweiligen Periode, also proportional zur bezogenen Gasmenge. Um dieser Maxime folgen zu können, ist einiges an „Voraussicht“ erforderlich, sind Annahmen über die Zukunft zu machen. Die zentrale unter ihnen:
Die Entgeltregulierung für Erdgasverteilnetze, die die Bundesnetzagentur (BNetzA) in Geltung gesetzt hat, ist auf einen Netzbetrieb zugeschnitten, der auf unbegrenzte Dauer angelegt ist. Die Vorgaben mit dieser Ewigkeitsunterstellung, operationalisiert in einer linearen Abschreibungszeit von bis zu 65 Jahren, sind vor gut 15 Jahren erst erlassen worden.
Da muss nun etwas geschehen, mit dieser Illusion gehört aufgeräumt zu werden. Die durch den russischen Angriffskrieg ausgelöste Gaskrise habe, so die BNetzA, die Dekarbonisierung des vom Erdgas versorgten Sektors verstärkt in den Fokus gerückt. Mit Beschluss vom 8. November 2022 wurden die kalkulatorischen Nutzungsdauern von Erdgasleitungsinfrastrukturen für NEU-Investitionen (ab 2023) potentiell auf gut 20 Jahre (bis spätestens 2045) gesenkt. Damit sind die Kosten neuer Netzteile für die Endkunden um den Faktor Drei (!) erhöhbar gemacht worden. Die Erdgasnetz-Lobby fordert dasselbe nun für Bestandsnetze. Das aber wird die Gaskunden noch schneller zum Absprung drängen. Deswegen wird nun ergänzend gefordert, dass der Regulierer die Vorgabe linearer Abschreibung auf degressiv umstellt. Wer noch Gaskunde ist, soll die absehbaren Buchwertverluste noch schnell mittragen.
5. Offene Frage: Wer trägt den Rest, die stranded assets?
Vollständig wird das nicht gelingen. Es wird ein Rest an Verlusten zu tragen sein. Die Branche aber, vertreten durch den BDEW, fordert: „Es erfolgt keine Entwertung bestehender Vermögenswerte.“ Damit gerät der regulierte Kalkulationszinssatz in den Blick. Über die Bestimmung dessen Höhe hatte es regelmäßig massive Konflikte gegeben. Die Pointe ist: Der Kalkulationszinssatz besteht aus zwei Teilen. Das wird hier in den numerischen Werten referiert, die in der 3. Regulierungsperiode, die für Gas im Jahre 2018 begann, festgesetzt wurden. Die genehmigte Eigenkapitalverzinsung setzt sich zusammen aus dem
- Risikolosen Basiszins: 2,49 Prozent;
- Wagniszuschlag: 3,15 Prozent.
Zu entscheiden ist nun, ob das Entstehen von „stranded assets“ im Rahmen der klimapolitisch motivierten Energiewende Teil jener „Wagnisse“ ist, für welche die Eigenkapitalgeber bereits entlohnt worden sind; oder ob dieses Risiko für sie unabsehbar kürzlich frisch vom Himmel gefallen ist, für das sie deshalb nicht zu zahlen haben. Zahlt das Kapital oder der Staat? Es stehen interessante Prozesse an.
[1] https://www.spd.de/koalitionsvertrag2021/
[2] https://www.agora-energiewende.de/presse/neuigkeiten-archiv/ein-sofortprogramm-fuer-klimafreundliche-haeuser/
[3] https://dserver.bundestag.de/btd/20/076/2007619.pdf
[4] https://www.blog-der-republik.de/der-kampf-um-das-sog-heizungsgesetz-ist-entschieden-eine-bilanz/
[5]https://www.bafa.de/DE/Energie/Effiziente_Gebaeude/Foerderprogramm_im_Ueberblick/foerderprogramm_im_ueberblick_node.html
[6]https://www.bmwsb.bund.de/SharedDocs/gesetzgebungsverfahren/Webs/BMWSB/DE/Downloads/kabinettsfassung/kommunale-waermeplanung.pdf?__blob=publicationFile&v=1
[7]https://www.bundesnetzagentur.de/DE/Fachthemen/ElektrizitaetundGas/Netzentgelte/Anreizregulierung/WesentlicheElemente/Netzkosten/Netzkostenermittlung_node.html