Wirtschafts- und Klimaminister Habeck hatte sie lange im Visier, die drohende „Gasmangellage“, die nun zu einem umfangreichen Paket vorsorgender Gesetzgebung führt. Sein Haus hat eine Formulierungshilfe für ein „Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz“ erarbeitet, welche das Kabinett gerade verabschiedet hat.
In der sicherheitspolitischen Problemansage ist Habeck präzise. Es geht um etwas im Potentialis, es geht um eine „drohende“ Gasmangellage. Deutschland (und Europa) ist nämlich im Winter verletzlich, wenn dann der Hahn des Gasflusses aus Russland abgedreht wird – darauf, auf das Abwehrdispositiv für den Fall, dass diese Option gezogen wird, bereitet das BMWK Deutschland vor.
An dieser Stelle wird unter Anleitung des BMWK äußerst präzise formuliert, auch in den Medien wird das übernommen. Es geht um die Formulierung des Subjekts dieser Option. Klar, Russland hat sie; aber andere haben sie auch: Auch unsere „Freunde“, auch die durchleitenden Staaten Ukraine (UGTS) und Polen (Yamal) haben sie, auch die EU-Kommission hat sie (Sanktionen für Nord Stream 1). Realistische Politik geht davon aus, dass das „Freundschaftsverhältnis“ unter Verbündeten dem schon sprichwörtlichen unter Mitgliedern derselben Partei gleicht. Deswegen wird immer subjektlos formuliert. Von wem der Angriff kommt, wer die Sperre auslöst, bleibt offen. Man schützt sich vor Schlimmem, egal ob von Feind oder Freund ausgelöst.
Das „Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz“ zur Vorbereitung einer „Gasmangellage“ im Winter 2022/23 hat schon etwas Defäitistisches. Habeck, in ähnlicher Weise die EU-Ebene, hatte nämlich vor einigen Monaten, im März, berits versucht, der drohenden Gasmangellage ihren Zahn zu ziehen, indem für Entspannung durch hinreichende Einspeicherung von Gas in westlich der Ukraine gelegenen Speichern gesorgt wird. Das Gasspeichergesetz sollte dem dienen. Da wurden Verpflichtungen für steigende Füllstände der Gasspeicher bis November 2022 hineingeschrieben.
Doch die Einhaltung bzw. sicherer noch das frühzeitige Übertreffen der Vorgaben ist den Unternehmen, die mit diesem Gesetz adressiert wurden, nur möglich, wenn genug Gas aus Russland kommt – nur der Überschuss zum Verbrauch ist schließlich auf die Hohe Kante zu legen.
Dass soviel wie möglich kommt, wie Russland zu liefern bereit war, haben die erwähnten „Freunde“ verhindert.
- Die Ukraine hat ein Drittel der UGTS-Kapazität gesperrt.
- Polen hat die Yamal-Pipeline durch Kündigung unnutzbar gemacht.
- Die EU-Kommission schränkte durch Sanktionen die Nutzbarkeit von Nord Stream 1 ein.
- Polen, Bulgarien, Finnland und die Niederlande haben ihre Bezugsverträge mit Gasprom ausgesetzt und haben stattdessen „auf dem Markt“ eingekauft, was im Klartext bedeutete: Sie haben Gas aus Russland weiterhin bezogen, nun aber indirekt, weitgehend via Deutschland – das fehlte dann bei der Gaseinspeicherung.
Das alles hat dazu geführt, dass nun der Fokus auf die Beherrschung einer potenziell kommenden Gasmangellage gesetzt werden muss. Die Einigkeit unter den Verbündeten in Europa drückt sich nur noch dadurch aus, dass die öffentliche Sprechweise einheitlich die ist, das Subjekt der Verhinderungen nach den Punkten 1 bis 4 mit „Gazprom“ bzw. „Russland“ zu bezeichnen – man wahrt den Schein. Ob die Vertreter Deutschlands hinter den Kulissen mit den untreuen Verbündeten Klartext reden, ist unbekannt, ist aber zu wünschen. Berlin darf sich im gaspolitischen Geleitzug nicht nur treiben lassen, es sollte auf einen gemeinsamen Kurs bestehen und diesen wesentlich mitbestimmen. Die zweifelsohne wichtige europäische Geschlossenheit, unter Einschluss der Ukraine, muss stets Verhandlungsergebnis sein und sollte nicht durch einfaches Beidrehen Deutschlands erreicht werden.