1. Das Phänomen
Der Großhandels-Strompreis in Deutschland ist von Juni bis August 2021 sprunghaft auf etwa 80 €/MWh gestiegen. Damit erreichte er ein Niveau, welches er in der Krisenzeit rund um den Finanzmarktabsturz 2008/09 schon einmal, für begrenzte Zeit, erklommen hatte. Ansonsten pendelte der Strompreis bei etwa der Hälfte, zwischen 30 und 50 €/MWh. Seit August 2021 bis September ist er noch einmal massiv angestiegen, auf 120 €/MWh. Das ist wirklich extrem viel.
Hintergrund ist diesmal ein anderer als nach 2008/09 – schließlich hat sich auf den Strom- und Gasmärkten einiges an grundsätzlichen Änderungen ergeben. Doch im Hintergrund spielt auch diesmal eine Großkrise, d.i. die CoViD-19-Pandemie. Deren Bekämpfung mit langandauernden Halb-Lockdowns hat zu einem erheblichen Einbruch der Güternachfrage geführt, auch von Elektrizität und Gas – nun geht es wieder aufwärts, und bei Gas zeigen sich neue Knappheiten, die nicht lediglich temporär erscheinen, weil weltweit die Nachfrage nach Kohle, auch klimapolitik-bestimmt, gefallen war. Der starke Anstieg des Gaspreises auf dem Weltmarkt, der sich dank LNG inzwischen herausgebildet hat, ist erwartbar gewesen. Er bringt einen „Kollateral-Effekt“ auf den Strompreis in Europa mit sich, der leicht verstehbar ist. Dass er, anders als 2008/09, nicht lediglich ein vorübergehendes Krisenphänomen ist, vielmehr, wenn auch wahrscheinlich auf einem niedrigen Niveau, von einer gewissen Dauer sein wird, ist zu vermuten.
2. Der Transfer vom Gaspreis- zum Strompreis-Anstieg in Europa
Der Anstieg der Strompreise wird getrieben von einer Knappheit von Ressourcen, Gas und Kohle, in einer Phase des Wiederbeginns nach der Corona-Auszeit. Führend ist, wie vertraut, der LNG-Markt in Ostasien, und dorthin richtet sich, so wird beobachtet, auch eine Umdirigierung der LNG-Flüsse. Doch der Preis ist einheitlich. Der LNG-spot-Preis ist seit Februar hochgegangen um etwa den Faktor Drei bis Vier. Die Kohle ist zwar ebenfalls deutlich im Preis gestiegen, aber nur um knapp einen Faktor Zwei.
Folge ist, dass das Verhältnis der Profitabilität, Strom mit Kohle oder mit Gas zu produzieren, im August 2021 umgeschlagen ist und seitdem die Differenz noch massiv zugenommen hat. Zu erwarten ist somit eine zusätzliche Nachfrage nach Kohle, auch ein weiterer Anstieg des Kohlepreises. Aber der „fuel switch“, das beliebige Verbrennen von Kohle, ist in Europa durch den Mengendeckel des Emissionshandelssystems begrenzt. Also müssen die CO2-Preise nochmals deutlich ansteigen, um das abzuschrecken.
Wir sehen somit funktionierende dynamische Märkte, mit heftigen Preisausschlägen, zum Teil komplementär – und bis in den Februar nächsten Jahres hinein wird es im Effekt bei dem hohen Niveau des Strompreises bleiben. Doch dann ist das Winterende in Sicht und Entspannung wird eintreten. Kurzfristig nämlich ist der Anstieg des Strompreises durch die Preisralley der (immer noch erforderlichen) fossilen Einsatzstoffe bedingt.
3. Die Perspektive der Rentenabschöpfung
Bislang, so hat die Energie-Kommissarin der EU, Kadri Simson, betont, betrage der Effekt des Anstiegs des Preises für CO2-Zertifikate auf den des Strompreises in Europa nur ein Neuntel des Effekts des Anstiegs des Gaspreises. Dass man in der deutschen Presse häufig den CO2-Preis als bedeutend konnotiert, ist lediglich Ausdruck eines recherchefreien Journalismus, der nicht rechnen mag. Lieber bedient er, mangels Kenntnissen, Vorurteile. Aber ein Anstieg der CO2-Preise in Europa steht ja noch aus. Auch der wird zu einem Anstieg der Strompreise beitragen.
Dazu weist die Kommission darauf hin, dass bislang schon in den ersten neun Monaten des Jahres 2021 die Mitgliedstaaten aufgrund der Verdoppelung des Wertes der CO2-Rechte im Vergleich zur selben Periode des Vorjahres zusätzlich 10,8 Milliarden € eingenommen haben. Es stünde dem nichts entgegen, diese Mittel für die Entlastung von Haushalten einzusetzen, für die der Gas- und Strompreis-Anstieg nicht tragbar ist. Und hinzu wird ja nochmals etwa dieselbe Summe in den letzten drei Monaten dieses Jahres kommen.
Zusammengenommen heisst das: Die Strompreise steigen knappheitsbedingt, wegen Knappheit an Brennstoffen und Knappheit der Aufnahmekapazität für ihre Abgase. Das führt zu einem leistungslosen Zusatzeinkommen der Besitzer dieser knappen Güter. Zu 90 % fließt dieses viele Geld heute noch an die Eigner der Gasresssourcen im Ausland. Nur 10 % bleiben bei uns selbst, fließen an den Treuhänder unserer Gemeinschaft, den Staat. Und der kann es problemlos wieder rücküberweisen an die Schwächsten unter uns, die es nötig haben.
Die Perspektive eines klimaneutralen Stromsystems ist, dass dieser Anteil, der als Rentenabschöpfung an private Dritte wegfließt, mit den Jahren immer weniger wird.