Sigmar Gabriel räumt eine Position nach der anderen. Das Handelsabkommen zwischen den USA und der EU, dem er anfangs durchaus kritisch gegenüber stand, ist für ihn nun der erste Schritt, um künftig der Globalisierung notwendige Regeln zu verpassen. Das Abkommen mit Kanada ist für ihn abgeschlossen und nicht mehr verhandelbar. Dafür wächst die Kritik der kanadischen Gewerkschaften an dem Entwurf. Und gleichzeitig kommt der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann von einem Besuch aus Kanada zurück mit der Nachricht, alle kritischen Punkte zu CETA, die er bei seinen Gesprächen angemeldet und gern verändert gesehen hätte, seien von der EU-Kommission in den Vertragstext hinein verhandelt worden.
Nun fordert Gabriel, und er steht damit gegen den Justizminister, die Datenvorratsspeicherung wieder einzuführen. Das Gesetz war in seiner jetzigen Form vom Bundesverfassungsgericht und vom Europäischen Gerichtshof gekippt worden. Auch eine Erhöhung der Erbschaftssteuer hatte Gabriel wegen des Widerstandes der Union für tot erklärt, obwohl Karlsruhe seine Reform anmahnt. Die Christdemokratisierung der SPD geht also weiter. Bis fast zur Unkenntlichkeit angepasst, verbleibt sie im 25-Prozent-Ghetto und gerät zum Appendix der Union.
Und nun kommt ausgerechnet der gescheiterte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, der mit genau dieser Art Politik Schiffbruch erlitten hat, um die SPD aufzufordern, wieder in die Mitte zu rücken. Da drängeln sich bekanntlich alle und nur Steinbrück hat den Eindruck, die SPD sei dort nicht mehr zu finden.
Immer mehr Wahlberechtigte aber haben das Gefühl, die Politik interessiere sich nicht für ihren Lebens- und Arbeitsalltag und Wahlen änderten daran nichts. Viele fühlen sich zunehmend ausgeliefert und im Stich gelassen. Die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ belegt das mit Bespielen und titelt in einem Dossier: „Die Lohnlüge“. Der Mindestlohn gelte seit Januar – aber nur auf dem Papier. Der Mindestlohn als absolute Lohnuntergrenze wird, wie „Die Zeit“ belegt, von Arbeitgebern mit allen denkbaren Kniffen ausgehebelt und dafür wird dann auch noch oft die Zustimmung der abhängig Beschäftigten erzwungen.
Die Wirtschaftsverbände haben auf der Handwerksmesse in München im Gespräch mit der Kanzlerin klar gemacht, dass für sie die Rente mit 63 nach 45 Beitragsjahren und der Mindestlohn das Ende der Fahnenstange sei und dass sie die vom Verfassungsgericht geforderte Reform der Erbschaftssteuer ablehnen. Heißt ja wohl: Schluss mit dem Sozialklimbim. Die Bundesregierung müsse, so die Forderung, endlich Wirtschaftspolitik machen. Wie man sieht: Gabriel weiß, nach welcher Pfeife er zu tanzen hat.
In einer von der Ebert-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie, die in der SPD- Bundestagsfraktion vorgestellt und diskutiert wurde, wird unter anderem bemängelt, dass die SPD eine an Werte gebundene Politik erkennen lassen müsse. Es lohnte, dazu in den Reden Willy Brandts zu blättern. In seinem Buch „Der Wille zum Frieden“ findet sich der folgende Satz: „Diese Lebensangst, Existenzangst in einem tieferen Sinne, trifft auf die Zweifel an denjenigen, die in besonderer politischer Verantwortung stehen und vielleicht schon allein dadurch den Eindruck erwecken, als sorgten sie sich nicht um das, was rundum vorgeht“.
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