Der SPD-Parteichef, Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel ist ins Revier gekommen, um sich und seiner Partei in Bund und Land Mut zu machen. Die Lage, folgt man Umfragen, ist nicht so rosig. Und wenn die SPD im Bund schwächelt, macht sich das auch in NRW bemerkbar. Trotz der populären SPD-Landeschefin und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Und Gabriel weiß, er hat in Berlin nur eine Chance, wenn die SPD hier im Land und vor allem im Ruhrgebiet punktet. Also legt er sich ins Zeug: „NRW ist nach wie vor die Herzkammer der Sozialdemokraten.“ Und vor allem ist es das bevölkerungsreichste Land in der Republik. Wer hier gewinnt im Mai nächsten Jahres, hat eine gute Startposition für das Rennen auf Bundesebene ein paar Monate später.
Das Ruhrgebiet war mal SPD-Land, über Jahrzehnte. Hier wurde malocht, wie man sagt, hier wurde ordentlich verdient. Das war zu Zeiten von Kohle und Stahl. Vorbei. Heute ist man auf dem Wege von einer Industrie- zu einer Wissens-Landschaft, in der man von Forschung lebt, in der es Hochschulen in einer Dichte gibt, wie sonst nirgendwo. Aber auch das stimmt: Der ewige Strukturwandelt steckt der Region mächtig in den Knochen, hier ist die Langzeitarbeitslosigkeit größer als im Rest. Anders formuliert: Weil das Revier Probleme hat, in ausreichender Zahl Arbeitsplätze zu produzieren, kränkelt auch das Land. Und das mit dem SPD-Land hat sich auch verändert: Zwar konnte man nach nur einer Legislaturperiode die CDU-geführte Landesregierung unter Jürgen Rüttgers wieder ablösen, aber in einigen Städten musste die SPD vor nicht langer Zeit böse Niederlagen einstecken. In Essen und hier in Oberhausen sitzen CDU-Mitglieder im Chefsessel in den Rathäusern.
„Wir können Strukturwandel“, betont SPD-Fraktionschef Norbert Römer, ein Mann, der es weiß. Er kommt von der Kohle, ist mit ihr groß geworden und erlebt nun die letzten Jahre des Kohle-Zeitalters hier an der Ruhr. Man könnte auch an der Emscher sagen, wohin Römer den Parteichef Gabriel und NRW-Verkehrsminister Michael Groschek eingeladen haben. Genauer nach Oberhausen, wo die Herren zusammen mit der Führung der Emschergenossenschaft quasi rund 40 Meter unter Tage fahren mit einem Aufzug, um eine Baustelle zu besichtigen. Hier soll in wenigen Jahren das Abwasser aus dem Ruhrgebiet fließen, die Emscher, diese Industrie-Kloake, soll saniert werden, befreit von allem Dreck und Schmutz, den die Menschen und die Unternehmen über Jahrzehnte teils direkt in diesen Fluss geleitet hatten. Wer an der Emscher groß geworden ist, weiß, wie es dort gestunken hat über die Jahre, wer reingeschaut in das, was man früher Wasser nennen konnte, sah buchstäblich auch die Scheiße vorbeifließen. Ich habe als Schüler in den Ferien Ende der 50er Jahre dort für eine Baufirma gearbeitet, als der Fluss Emscher einbetoniert wurde. Wer je da reingefallen ist in diese Köttelbecke- so nannte es Norbert Römer, der aus Castrop-Rauxel stammt- der wird das nie vergessen.
Emscher bald wieder sauberes Gewässer
Aber das wird bald Geschichte sein. Noch vier oder fünf Jahre und dann ist die Emscher wieder ein sauberes Gewässer, wie es mein Vater-Geburtsjahr 1900- in Henrichenburg erlebt hatte. Er hatte in der Emscher, wie er es vor Jahrzehnten voller Wehmut erzählte, gebadet. So soll es wieder werden, dafür wird der Abwasserkanal gebaut von Holzwickede, der Quelle der Emscher, bis nach Dinslaken, wo der Fluss in den Rhein mündet. Kostenpunkt: 5 Milliarden Euro.
Sigmar Gabriel knüpft hier an und spricht von der Erfolgsgeschichte Strukturwandel und meint natürlich auch damit die Arbeit seiner SPD, die ja eng verbunden ist mit dem Revier, seiner Industrie, dem Zechensterben und dem damit verbundenen Strukturwandel, der ja nie aufhören wird. „Hier kann man sehen, wie es funktioniert“, lobt der Chef seine Partei und spricht von der erfolgreichsten und unbekanntesten Großbaustelle der Republik, weil eben die Arbeiten unter Tage stattfinden. Aber danach gibt es eine grüne Zukunft für die Emscher-Region, dann kann dort wieder gesiedelt werden, wo die Menschen früher eher die Nase rümpften- eben, weil es so stank.
Aber natürlich ist der Mann aus Berlin auch ins Revier zu kommen, um der bedrängten Region, die Riesen-Probleme hat, Mut zu machen und Hilfen zu versprechen, „weil die Menschen es verdient haben“. Sie hätten den Strukturwandel zweimal bezahlt, den eigenen und dann den von Ostdeutschland nach der Wende. Da ist er inhaltlich nahe bei der Ministerpräsidentin Kraft, die immer wieder fordert, NRW müsse von dem, was es erarbeitet, mehr für sich behalten dürfen. Es klingt ja auch wie ein schlechter Witz, dass Kommunen aus dem Ruhrgebiet, die selbst klamm sind, den neuen Ländern helfen müssen und dabei sogar Kredite aufnehmen. Und Hilfen gibt es ja, Groschek erwähnt den Batzen Geld, den das Land allein vom Bundesverkehrsminister für die nächsten Jahre erhält, ein Milliarden-Euro-Segen
Arbeiten an Straßen, Schienen, Brücken, Schulen
Damit das nicht falsch verstanden wird: Hier kommt niemand wehleidig daher. Weder Gabriel und Römer und sein Verkehrsminister Groschek schon gar nicht. Der kann eine Menge über die laufenden Veränderungen im Land und im Ruhrgebiet erzählen, von den Arbeiten an den Straßen, den Brücken, den Schienen, vom Quartiers-Programm, mit dem Viertel in Not aufgehübscht werden sollen. Gerade in die schwierigsten Stadtviertel, regt Gabriel an, sollten die schönsten Schulen und Kindergärten gebaut werden, damit man den Fortschritt sieht, der es den Menschen erleichtert, das eigene Dort, die Stadt, die Region, das Land zu mögen.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat in einer Studie festgestellt, dass das Revier Problemzone Nr. 1 in der Republik sei, jeder Fünfte müsse sich zu den Armen zählen. Römer, unterstützt von Gabriel, fordert einen sozialen Arbeitsmarkt, Jobs, vom Staat finanziert, damit die Langzeitarbeitslosen eine Chance auf einen festen Arbeitsplatz bekämen. Eine Million Langzeitarbeitslose gibt es in Deutschland, allein 125000 davon leben im Ruhrgebiet. Sicher, es gibt Schwierigkeiten hier im Land, die nicht verschwiegen werden dürfen. Dazu zählt, dass die deutsche Wirtschaft um 1,7 Prozent gewachsen ist, während sie in NRW bei einem Wert von 0,0 Prozent liegt, was die rote Laterne in der Bundesliga-Tabelle der Länder bedeutet, Stagnation.
Johannes Rau: Das Land nicht schlecht reden
Für die Opposition ein Grund mehr, Rot-Grün zu attackieren. Johannes Rau reagierte auf ähnliche Attacken-Helmut Linssen, sein damaliger CDU-Kontrahent wird sich erinnern- mit der Bemerkung: Man solle das Land nicht schlecht reden. Sigmar Gabriel versucht es auf seine Weise: NRW, das Revier habe vor allem große Probleme bei der Energiewende, er meint die Konzerne RWE und Eon, die Sorgen beim Weg von Kohlekraftwerken hin zum Ökostrom hätten und nicht vergessen dürfe man deren Altlasten bei der Kernenergie. Man dürfe die Unternehmen nicht überfordern, er, Gabriel, habe es sich zu einer seiner Aufgaben gemacht.
Gabriels Herzensthema scheint die Gleichberechtigung zu sein, gleicher Lohn für gleiche Arbeit und vor allem Kinderarmut, weil sie oft Alleinerziehende trifft, weil in 50 Prozent der Fälle Väter sich weigern, den Unterhalt für das Kind zu bezahlen. Da wird der SPD-Chef emotional, das Problem geht ihm an die Seele, weil er persönlich betroffen ist, weil er es von zu Hause kennt. „Ich sehe heute noch meine Mutter in der Küche, die Hände vors Gesicht, weinend sagte sie: Das Beste ist, ich hänge mich auf, dann habt Ihr alle mehr Geld.“ Das Problem war: „Weil mein Vater nicht bezahlt hat, nicht für meine Mutter, nicht für meine Schwester, nicht für mich.“ Was er an diesem Tag über seinen Vater nicht äußert, ist dessen Nazi-Vergangenheit und Nazi-Gläubigkeit bis zum Tod. Ein Umstand, der den Sozialdemokraten Gabriel schwer getroffen hat.
Es geht um Tausende von Arbeitsplätzen
Angeschlagen wirkt der Mann wirklich nicht, eher aufgeräumt, gut gelaunt und kämpferisch. Trotz aller Baustellen, die ihm das Leben nicht leichter machen. Auch beim Streit um die Ministererlaubnis für die Fusion der Supermärkte von Edeka mit Kaiser´s Tengelmann bleibt er gelassen und geht zielgerichtet auf den Bundesgerichtshof zu. Dort soll entschieden werden, ob der Arbeitnehmer-Führer und Wirtschaftsminister Gabriel nicht doch Recht bekommt mit seiner Argumentation zugunsten der Fusion- weil es um Tausende von Arbeitsplätzen geht, eben für kleine Leute, für Verkäuferinnen und andere, die nicht so leicht eine neue Arbeit fänden.
Strukturwandel ist das Thema des Tages in Oberhausen, es ist das Thema der Region, des Landes. Und auch das von Gabriel. Und er sagt dazu auch, Strukturwandel bedeute immer auch, dass Menschen Arbeit verlören, sich in einem Stadtteil nicht mehr zu Hause fühlten. „Nicht alles, was aus Ängsten vor Zuwandern besteht, ist fremdenfeindlich. Die Menschen wollen, dass sie sich sicher aufgehoben fühlen.“ Und er rät seiner Partei und den Mitgliedern und Funktionären: Den Sorgen der Menschen zuzuhören.
Bildquelle: Rupert Oberhäuser/Emschergenossenschaft