Eindeutig ist gegenwärtig der Versuch der Parteiführung der Sozialdemokraten, das spürbare und wachsende Unbehagen am größten Handelsabkommen aller Zeiten einzufangen. Es wird derzeit zwischen den stärksten Wirtschaftsregionen, den USA und der Europäischen Union verhandelt. Das Kürzel dafür, das den Schlagzeilenmachern auf dem Boulevard, aber auch in hochwertigeren Printmedien den Job erleichtert, heißt TTIP. Ausgeschrieben wäre es nicht druckfähig: Transatlantic Trade and Investment Partnership, also TTIP.
Der gegenwärtige Parteivorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, gehört dabei zu denen, die das wachsende Unbehagen fördern. Er tut es vor allem durch zahlreiche, sich widersprechende Äußerungen, die zugleich Nähe und Distanz zu TTIP zeigen und seine immer sichtbare Überzeugung, als Einziger den wirklichen Durchblick zu haben. Mit seinem Auftritt beim Weltwirtschaftsforum in Davos, bei dem er die deutsche Debatte und vor allem die dabei laut gewordenen kritischen Einwände „hysterisch“ nannte, hat er Vertrauen verspielt. Vertrauen, das er nötig braucht, wenn er am Ende des Verhandlungsprozesses ehrlich Bilanz ziehen will.
Das gleiche gilt für die EU-Kommission, die noch unter dem Kommissionspräsidenten Baroso das TTIP vorgeschaltete Abkommen mit Kanada (CETA) verhandelt hatte, das nun noch auf Rechtsförmigkeit überprüft wird. Um zu klären, ob dabei noch inhaltliche Änderungen möglich sind, war der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Thomas Oppermann, gerade in Kanada und machte eine erstaunliche Erfahrung. Wo immer er in Ottawa auf Klarstellungen drängte, wurde ihm vorgehalten, alle vorgetragenen Schwächen des Abkommenstextes seien auf Wunsch Brüssels, also der Kommission zustande gekommen. Da drängt sich doch die Frage auf, welchen Interessen der holländische EU-Chefunterhändler Carel de Gucht da folgte, als er im September des vorigen Jahres davor warnte, die Verhandlungen noch einmal aufzumachen, dann sei das Abkommen tot. Ein Abkommen, dessen Schwächen offenbar von Brüssel in den Text hinein verhandelt wurden und das auch noch als Blaupause für TTIP gepriesen wird.
Sigmar Gabriel versuchte, bei der überfüllten TTIP-Konferenz der SPD in Berlin im Willy-Brandt-Haus damit zu punkten, die Vorsitzenden der Sozialdemokratische Parteien in Europa hätten sich in Madrid auf seinen Vorschlag hin darauf verständigt, ein internationales Handelsgericht zu etablieren, mit Appellationsmöglichkeit und öffentlich-rechtlichem Status und Berufsrichtern. Damit hoffen die Befürworter, die größte Schwäche von CETA und TTIP, die Einführung von Schiedsgerichten, auszuhebeln, die demokratische Souveränität einschränken könnten. Allerdings ist höchst unsicher, ob die USA einem solchen Ansinnen folgen werden. Gabriel verwirrte das Publikum zudem damit, dem Abkommen eine neue strategische Stoßrichtung zu verleihen. TTIP könne Vorläufer werden, um endlich die Globalisierung sozial gerechter zu gestalten. Dies müsse das eigentliche Ziel sein.
TTIP sei also nach Gabriel ein Schritt hin zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung, in der die im transatlantischen Abkommen auszuhandelnden Standards bei Umwelt, Gesundheit, Arbeitnehmerrechten und Verbraucherschutz etc. den Rahmen schaffen? Wer wären seine Bündnispartner, vor allem in den USA, die in wenigen Monaten vor einem Wahlkampf stehen, der die tiefe Spaltung des Landes zeigen dürfte? Mit anderen Worten, wir haben es mit einem semantischen Trick zu tun. Wer Globalisierung gestalten will, der darf nach Gabriels Meinung den ersten Schritt nicht verweigern und der heißt: TTIP zuzustimmen.
Die beiden stärksten Wirtschaftsregionen, USA und Europa, die schon jetzt über 46 Prozent des weltweiten Inlandproduktes und ein Drittel des weltweiten Handelsvolumens verfügen, werden sich nicht auf ein Abkommen verständigen, das im Zweifel eigene Vorteile zurückstellt und Standards formuliert, die nicht den kleinsten gemeinsamen Nenner treffen. TTIP bleibt der Versuch, den Vorteil der Industrieländer zu nutzen und ihre Stellung in der Welt langfristig zu sichern. Ein Vorläufer einer gerechten Weltwirtschaftsordnung ist das Handelsabkommen mit den USA nicht. Das sollte auch Gabriel nicht verwechseln.