„Das feine Schweigen“ nannte der deutsch-amerikanische Historiker Fritz Stern die selbst verordnete Ruhe vieler Deutscher vor allem aus den Eliten der Gesellschaft, als die NSDAP immer stärker wurde und gefährlicher für die Demokratie von Weimar, die Hitler und die seinen dann ja auch sehr schnell abschafften. „Das feine Schweigen“ vereint historische Essays von Fritz Stern, Porträts großer Persönlichkeiten wie Jacob Burckhardt und Max Planck in einem Buch. Der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels im Jahr 1999 beklagte das Schweigen über Unrecht, das Wegsehen, später die Duldung von Verbrechen, überhaupt die Verdrehung und Manipulation der Wahrheit, wie ich es gerade in einer kurzen Notiz bei Amazon lese. „Für mich“, schrieb Fritz Stern, „ist dieses „Wir wollten es nicht sehen“ die Signatur unseres Jahrhunderts.“ Geschichte wiederholt sich nicht? Das würde ich so nicht unterschreiben, wenn ich die Debatte über das Erstarken der „überwiegend rechtsradikalen Partei“(Kurt Kister in der SZ) vor Augen habe und bedenke, dass die Eliten zumeist dazu schweigen. Auch große Teile der Presse regen sich darüber nicht weiter auf, lieber schreiben sie die Ampel nieder und dort vor allem die Kanzler-Partei SPD.
„Ruhe bewahren?“ fragte der Historiker Norbert Frei kürzlich in seiner Kolumne für die „Süddeutsche Zeitung“ und stellte in der Unterzeile fest, dass trotz der drohenden Gefahr, dass im nächsten Jahr die radikalen Rechten, also die AfD, nach der Macht in Erfurt greifen, nicht wenige vor politischem Alarmismus warnten. „Wie naiv“ urteilt der Historiker. Der Mann hat Recht. Ist es feige das Schweigen der Eliten zum Beispiel aus der Automobilwirtschaft zum Erstarken der Rechtsradikalen, weil auch AfD-Wähler Autos kaufen, BMW, VW, Audi, Mercedes? Ist man sich zu fein, in die Diskussion einzugreifen, sich einzumischen, Farbe zu bekennen? Einer tat es, der mächtige Mann von Evonik, Christian Kullmann, der vor einigen Tagen der SZ ein Interview gab und dort Stellung bezog. Klare Kante gegen Rechts. Kullmann mahnte und warnte vor der AfD und drohte jedem Mitarbeiter mit Rausschmiss, der für die AfD arbeite oder werbe. Die AfD schade Deutschland, der Wirtschaft, sie gefährde Arbeitsplätze. Die Reaktion? Weitestgehendes Schweigen. Unser Blog-der-Republik hat das Interview aufgegriffen, lang und breit den Industrie-Manager zitiert, ein Fan von Borussia Dortmund, ein Spitzenklub, der das Evonik-Schriftzeichen auf den Trikots trägt. Wir haben Kullmann gern zitiert, weil auch wir die Sorge teilen´, die AfD könne nach der Macht im Staate greifen, bald in Thüringen, Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt. Wenn wir nicht aufpassen, könnte einer wie Björn Höcke Ministerpräsident in Erfurt werden, derselbe Höcke, der laut Gerichtsbeschluss ein Faschist genannt werden darf. Dieselbe AfD, die der NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst(CDU) eine Nazi-Partei genannt hat.
Der Feind steht rechts
Der Feind steht rechts. Hat Armin Laschet vor Jahr und Tag als CDU-Chef gewarnt und den früheren Reichskanzler Joseph Wirth(Zentrum) zitiert nach dem tödlichen Anschlag von Rechtsradikalen auf den Reichsaußenminister Walther Rathenau. Man darf, man muss daran erinnern, wie die Nazis an die Macht kamen. Weil die Mehrheit schwieg, die Eliten sich zu fein waren, um Fritz Stern zu zitieren, und zu feige. Weil sie auf Geschäfte mit den Nazis hofften, bezahlten sie der NSDAP den Wahlkampf 1933 mit Millionen, Krupp voran und all die anderen Mächtigen. Stern, ein amerikanischer Historiker, der in Breslau geboren wurde. Im September 1938 floh die Familie wegen ihrer jüdischen Abstammung nach New York, im September, gerade noch rechtzeitig, wenige Wochen vor der Reichspogromnacht am 9. November, als fast alle Synagogen im Deutschen Reich auf Anordnung von Hitlers Reichspropagandaminister Goebbels in Brand gesetzt wurden, Tausende von Kommunisten, Sozialdemokraten und Juden verprügelt, verschleppt, ermordet und in Konzentrationslager gebracht wurden. Als die Synagogen brannten und jüdische Geschäfte demoliert und ausgeplündert wurden, schauten auch viele Deutsche tatenlos zu, einige applaudierten, andere nahmen mit, was sie kriegen konnten, andere drehten sich um und gingen schweigend ihrer Wege. Eine Tante von Fritz Stern und ihr Mann wurden im KZ Auschwitz umgebracht.
Ruhe bewahren? Ausgerechnet in Deutschland? Nie wieder, hatten sich viele nach dem Krieg geschworen. Und müssen heute erkennen, dass wir im Grunde in der Formel das Wörtchen Nie mit Schon ersetzen müssen. Die AfD ist momentan die 4.stärkste Partei im Bundestag nach SPD, CDU und den Grünen, aber aus den damals 10,6 Prozentpunkten sind in Umfragen über 20 Prozent geworden, die AfD rangiert demnach auf Platz zwei hinter der CDU, aber klar vor der SPD und den Grünen. Sie sitzt in vielen Landesparlamenten-Ausnahme Schleswig-Holstein-, im Europa-Parlament. Bei den Landtagswahlen 2024 in Sachsen, Brandenburg, Thüringen könnte sie stärkste Partei werden. Ruhe bewahren? Wie will man eine Regierung in Erfurt bilden, wenn die AfD ihren augenblicklichen Umfragewert von 34 Prozent in Wählerstimmen umsetzt? Ähnlich die Lage in Sachsen und in Brandenburg, überall wird im September 2024 gewählt. Wie will man einen Landtagspräsidenten von der AfD verhindern? Der Posten steht traditionell der stärksten Partei im Landtag zu. Will man die Geschäftsordnung verändern? Man stelle sich vor, die AfD würde am 1. September stärkste Partei in Dresden und Erfurt, die anderen Parteien könnten sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten gegen die AfD verständigen, ein AfD-Landtagspräsident könnte in Erfurt Björn Höcke, den Mann mit den meisten Stimmen im Landtag, zum Ministerpräsidenten ausrufen. Im dritten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit. Für eine Minderheitsregierung. Die Welt würde auf die stärkste Volkswirtschaft Europas schauen, wo erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg eine rechtsradikale Partei stärkste Fraktion wäre und den Regierungschef stellte. Man stelle sich das nur mal vor.
Der Aufstand der Anständigen
Ruhe bewahren? Das ist das völlig falsche Verhalten. Wir brauchen einen Aufstand der Anständigen, der Eliten, der Unternehmer, der Gewerkschaften, der Kirchen, der jüdischen Gemeinden, der Sozial- und Christdemokraten, der Grünen und der Liberalen sowie der Linken. Oder wollen wir, dass die Sprache Höckes bundesweit salonfähig wird: „Wir wollen das Haus Deutschland für das deutsche Volk wieder bewohnbar machen.“ Dahinter verbirgt sich die geplante Ausgrenzung all der anderen, die nicht zur deutschen Volksgemeinschaft gehören. Fremdenfeindlichkeit, wie sie die AfD vertritt, könnte dem Tourismus-Land Thüringen schaden. Also wo bleibt der Aufschrei, der Aufstand der Demokraten, das, was der Bundespräsident immer wieder fordert: Die Demokratie ist kein Selbstläufer, sie braucht Demokraten, die sie verteidigen.
Ruhe bewahren, das will der 91jährige Gerhard Rudolf Baum auf keinen Fall. Der Altliberale, Ex-Bundesinnenminister unter Helmut Schmidt, ist in Sorge um diese Republik, die Demokratie in Deutschland wie noch nie seit 1945. „Die AfD beginnt, unsere Gesellschaft zu durchwuchern“, äußerte der Altliberale, der eine „Radikalisierung der Mitte“ beobachtet.. Man will „unsere in Jahrzehnten aufgebaute freiheitliche Gesellschaft zerstören“. Das ist es. Und die EU dazu. Und diesem Prozess sollen wir in aller Ruhe zuschauen? Niemals, würde Fritz Stern, wenn er noch lebte, sagen. Das feine Schweigen ist im Grunde auch ein feiges Schweigen, weil man Nachteile befürchtet wie der Politiker die Wiederwahl oder der Autokonzern geringere Autoverkäufe. Fritz Stern beklagt das passive Schweigen, das man in Deutschland immer noch praktiziere und das sich auf einen eklatanten Mangel der Deutschen an Zivilcourage zurückführen lasse. Dahinter stecke die „deutsche Neigung, Kritik als Nestbeschmutzung zu begreifen.“ Für den großen, international anerkannten und gefeierten Historiker Fritz Stern, der sich früh mit dem neuen Deutschland ausgesöhnt hatte, der ein Freund von Helmut Schmidt war und von Marion Gräfin Dönhoff, ist das feine Schweigen verheerend. „Die Passivität, das Schweigen der Anständigen“ seien „für den Erfolg des Nationalsozialismus mindestens ebenso wichtig“ gewesen „wie das Brüllen der Begeisterten.“
Ruhe bewahren? Ich glaube, der Gerhard Rudolf Baum würde trotz seiner 91 Jahre eine entsprechende Demonstration in Berlin oder anderswo anführen, um für diese Demokratie zu kämpfen.
Bildquelle: Wikipedia, gemeinfrei