Jetzt also rudert Friedrich Merz, der CDU-Chef, zurück. Er habe nichts anderes gesagt, als das, was CDU-Beschlusslage sei. Keine Zusammenarbeit mit der AfD auf keiner Ebene, keine Gespräche, keine wie auch immer geartete Allianz. Warum hat er dann im ZDF-Sommer-Interview eine Lücke gelassen, die eben dies, die Klarheit im Verhältnis zur AfD vermissen ließ? Das war nicht mehr klare Kante, Herr Merz. Warum meinen Sie, haben Markus Söder, Boris Rhein und Kai Wegner so klar Stellung bezogen? Eben das deutlich gemacht, was bei Ihnen anders rüberkam. Nein, Nein, Herr Merz, ich sehe das als Versuchsballon. Schauen, was geht mit den Rechten, den Ultra-Rechten, die etwas anderes wollen als wir, die Demokraten. Prüfen, wie die Reaktionen ausfallen. Nichts geht mit der AfD, hat Markus Söder gesagt, weder auf lokaler Ebene noch auf der Landes- und nicht auf der Bundes-Ebene. Die AfD bleibt isoliert, ganz rechts, weil sie fremdenfeindlich ist, rassistisch, in Teilen faschistisch, antisemitisch, weil sie raus will aus der EU wie aus der NATO. Sie will ein anderes politisches System, verhöhnt immer mal wieder die parlamentarische Demokratie.
Wenn ein politischer Youngster so daherredet hätte wie jetzt Friedrich Merz im ZDF, hätte man interpretieren können, er hat sich halt nicht klar ausgedrückt, ist noch nicht reif. Aber ein Profi wie Merz mit seinen 67 Jahren, seit ewigen Zeiten in der Politik, führend in der Union seit Jahren. Gegen Angela Merkel trat der damalige Fraktionschef der Union nicht an, als die Parteichefin auch den Posten der Unions-Fraktion beanspruchte. Er verlies die Politik, Merkel holte ihn nicht zurück, hielt ihn sogar auf Distanz. Erst nach dem Abschied der Dauer-Kanzlerin kehrte der Sauerländer zurück auf die Bühne, in die erste Reihe der Christdemokraten.
Nein, der Mann ist nicht reifer geworden in den Jahren, da er in der Wirtschaft zum Millionär wurde. Schon sein Spruch vor Tagen ließ Zweifel aufkommen, ob die Brandmauer, die Demokraten zur AfD errichtet haben, von einem Merz gehalten werde. Wie hatte er formuliert: CDU und CSU seien „eine Alternative für Deutschland, aber mit Substanz“. Welch ein misslungenes Wortspiel! Merz will den Höhenflug der Rechtsextremisten in Umfragen stoppen. Motto, wir, die Christdemokraten und -sozialen sind die Guten, die anderen die Bösen. Aber der Satz „Wir sind eine Alternative für Deutschland“ stammt natürlich von der AfD. Merz fischt also im rechtsextremen Becken. Ein Tabubruch. Zumal er die AfD gewissermaßen auf CDU-Niveau hebt, sie quasi gesellschaftsfähig macht. Prompt reagierte die echte rechte AfD und Alice Weidel stellte klar: Wir sind nun mal die wirkliche Alternative für Deutschland. Der Wähler werde das Original wählen, nicht die Kopie.
Er wollte sie halbieren
Fassungslos sind viele Reaktionen auf Merz. Vor Jahr und Tag wollte er noch die AfD halbieren, jetzt, da sie in Umfragen immer höher klettert, wird er nervös wie die ganze Partei. Merz entgleitet die Führung der Union. Gerade hat er seinen Generalsekretär ausgetauscht, glaubt mit Carsten Linnemann verloren gegangenes Terrain zurückgewinnen zu können. Natürlich blickt Friedrich Merz längst auf die Bundestagswahlen 2025. Dem Partei- und Fraktionschef der Union steht der erste Zugriff auf den Kanzlerkandidaten zu. Die Konkurrenz hat sich in Stellung gebracht, weil er Positionen bezog, die zur Kritik geradezu verlockten. Sein Angriff auf die Grünen, mit denen die CDU in NRW, Schleswig-Holstein, Hessen und in Baden-Württemberg(in umgekehrter Reihenfolge) ruhig und entspannt regiert, hat die Ministerpräsidenten Wüst und Günther zum Gegenangriff provoziert. Warum er die Grünen als den eigentlichen Gegner der CDU attackierte und nicht die AfD, verstehe wer will. Hier ist er sich mit Markus Söder, dem CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten, einig. CSU-Gegner in Bayern sind die Grünen. Söder will unbedingt weiter mit den Freien Wählern regieren. Dass sein Regierungspartner Hubert Aiwanger manchmal einen raushaut, das es einem graust, weil es AfD-Sprech ist, den er benutzt, scheint Söder wenig zu stören. Diskurs-Niveau ist nicht gefragt.
Aufpassen in dieser Diskussion sollte man auf Hessen und die dortige CDU. Die hatte früher einen starken nationalen, ja nationalistischen Flügel um Alfred Dregger. Alexander Gauland(82), der AfD-Ehrenvorsitzende und früher einer der Bundessprecher der Partei, kommt aus diesem CDU-Verband wie auch der einstige Innenminister Kanther. Gauland stand Dregger und Wallmann nahe. Volker Bouffier gehört in diese Riege wie auch Roland Koch, der Mann mit den jüdischen Vermächtnissen. Der einst eine Abstimmung in Hessen kreierte gegen den geplanten Doppel-Pass der rot-grünen Bundesregierung Schröder/Fischer. Koch und Co hatten derart Stimmung gemacht gegen das Gesetzesvorhaben, dass die Leute an die Abstimmungstische stürmten und fragten: Wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben? Oh, ja, ich vergesse das nicht, was wahrlich unchristlich war.
Wehret den Anfängen!
Wehret den Anfängen! Kann man den Christdemokraten nur zurufen, und sie an die deutsche Geschichte erinnern. Der Feind steht rechts! Hat Reichskanzler Joseph Wirth im Juni 1924 nach dem Mord am liberalen Reichsaußenminister Walther Rathenau gesagt. Rechts steht der Feind. Wie recht er hatte! Man darf mahnend an die Anfänge der Bundesrepublik erinnern, als „eine Partei der ehemaligen NSDAP-Mitglieder bis in die sechziger Jahre die größte Fraktion im Bundestag stellen hätte können. Nazis im Bundestag, in den Länderparlamenten, in sämtlichen Behörden und Ministerien, in der Polizei, in der Justiz, sie saßen in der Regierung und sie saßen zu Gericht, in manchen Fällen sogar über ihre ehemaligen Opfer. Die frühe Bundesrepublik war ein einziger Skandal“. So kann man es nachlesen in dem vorzüglichen Buch von Willi Winkler: „Das braune Netz“. Für die Nazi-Opfer, aber auch die Nachgeborenen, schreibt Winkler, ein preisgekrönter SZ-Journalist, sei das schwer erträglich gewesen. Schuld ohne Strafe und Sühne, einfach weiterzumachen, undenkbar, dieses stumme Lossprechungsverfahren gedeckt durch das weitverbreitete Unschuldsbewusstsein. „Die Deutschen waren ein Volk von Opfern“. So Winkler. Der deutsche Soldat und kein ermordeter Jude galt in der ersten Nachkriegszeit als das Opfer. „Gedenket unserer Gefangenen“ , so die Umschrift einer Briefmarke für zehn Pfennig. „Von jüdischen Opfern war weit und breit nichts zu sehen.“
Winklers Buch müsste eigentlich in jeder Schule gelesen werden, von jedem Lehrer, jeder Schülerin und jedem Schüler, eine Pflichtlektüre, damit nicht vergessen wird, was einst geschah und wie man locker damit umging oder drüber hinwegging, als alles am Boden lag. Und diese schlimme Nazi-Zeit will ein führender AfD-Politiker, der AfD-Ehrenvorsitzende, Gauland, nur als „Fliegenschiss in der so glorreichen deutschen Geschichte“ sehen? Bis zu 60 Millionen Tote durch einen Fliegenschiss, sechs Millionen ermordete Juden nur ein Fliegenschiss? Und die Holocaust-Gedenkstätte in Berlin, die an diesen Massenmord der Nazis an den Juden erinnert, wird vom führenden AfD-Politiker aus Thüringen, Björn Höcke kritisiert als „Denkmal der Schande“? Wo sind wir gelandet, wenn diese AfD in Umfragen schon bei 22 Prozent ist? Mit einer solchen Partei kann ein Demokrat nirgendwo zusammenarbeiten, auch nicht auf lokaler Ebene kann man einem solchen AfD-Landrat die Hand reichen. Das ist es, was einen aufregt, wenn man die Äußerungen von Friedrich Merz liest. Es ist unfassbar. Unerträglich.
Da möchte ich gar nicht viel hinzufügen als meine Feststellung (auch in meinem Blog), dass die unselige rechts-randige Tradition der CDU in Hessen mit ihrem aktuellen Parteichef Rhein praktisch nahtlos fortgesetzt wird. Er betreibt gestern dreiste Schuldumkehr, indem er angesichts der von Merz losgetretenen Debatte (ja, womöglich ein Versuchsballon) von „Missverständnissen“ und „Fehlinterpretationen“ fabuliert. Das ist die übliche gut geschulte rhetorische Masche gerade rechter Politiker. Niemand hat etwas faktisch Diskussionswürdiges gesagt, nur die Rezipienten haben alles falsch verstanden. Als nächste Eskalationsstufe folgt dann die dümmliche Behauptung einer „Kampagne“ des politischen Gegners – der in genau diesem Fall allerdings sicher nicht die AFD wäre, da sie ja in jedem Fall der Profiteur ist.
Das ist alles bekanntermaßen verräterisch, nur wird das leider viel zu selten (bis nie) von den Medien offengelegt.