Friedrich Merz, der Vorsitzende der Christdemokratischen Union, hat mal wieder zugelangt. In sozialen und humanen Fragen scheint er manchmal keine Grenzen zu kennen, dabei müsste er die eigentlich täglich vorleben, stehen sie doch auch in den Grundsätzen der CDU. Aber er ist nun mal kein Norbert Blüm, der einst in Flüchtlingslager reiste, dort übernachtete, um die Welt auf die Unmenschlichkeit aufmerksam zu machen. Nein, das ist keine Währung, mit der man heute Politik zu machen pflegt, es ist die Machtfrage, der alles untergeordnet wird. Jeder Flüchtling mehr könnte die eigene Wählbarkeit gefährden, weil die rechtsradikale AfD von der tobenden Migrationsdebatte profitiert. Dass einer wie Björn Höcke dabei Nazi-Parolen von sich gibt, scheint kaum jemand zu stören. Es geht gegen Flüchtlinge, da scheint nahezu alles möglich. Wir sollten uns schämen. Das Boot ist voll. Das ist der Tenor einer verwahrlosten Debatte, wie die „Frankfurter Rundschau“ treffend kommentiert. Verwahrlost und an der Spitze haben wir einen wie Friedrich Merz, der vor Zeiten schon man im Stil der Schmarotzer-Diskussion von Asyl-Tourismus schwadronierte. Wie übrigens auch CSU-Chef Markus Söder, der auch gern zulangte, um die Stimmen im Bierzelt einzufangen. Jetzt hat der Sauerländer die Debatte mit seinen intimen Kenntnissen von Zuständen in deutschen Zahnarztpraxen gewürzt und spielt dabei bewusst die Schutzsuchenden gegen die einheimische Bevölkerung aus. Angesichts bevorstehender Landtagswahlen in Hessen und in Bayern scheint alles erlaubt zu sein. Die Flüchtlinge macht man für alles schuldig, für die Inflation, die fehlenden Wohnungen, den Mangel an Kita-Plätzen, den miserablen Zustand unserer Schulen, überhaupt für alles, was schiefgeht. Und jetzt sind sie auch noch verantwortlich dafür, dass deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher keinen Termin beim Zahnarzt bekommen. Weil dort eben die Flüchtlinge sitzen, die ja alles umsonst bekommen. Was sachlich schon nicht stimmt, man schaue in die entsprechenden Gesetze. Sie lassen sich die Zähne richten Wo sind wir gelandet? Friedrich Merz hat seine Aussagen im Welt-Fernseh-Sender getan, öffentlich. Das war kein Versprecher, der Mann steht seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit, er weiß, was er wann und warum sagt. Und er weiß genau, auf wen er schielen muss und gegen wen er sprachlich schießen muss, um Stimmung zu machen. Für sich und die CDU. Gegen Ausländer, es wird drauf gehauen. Die AfD als Vorbild? Die Leute, so richtete sich der christliche Politiker Merz an die Deutschen und er meinte mit seiner Attacke die Deutschen, würden doch „wahnsinnig“, wenn „die sehen, dass 300000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen“, alles wörtlich der CDU-Chef. Um dann die Spitze zu setzen mit dem Satz: „Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine“. Abgesehen davon, dass die Zahnärzte Merz widersprochen haben, ist der sprachliche Ausfall von Merz eine unsägliche Verunglimpfung von Flüchtlingen, von Ausländern. Das ergänzt seine früheren Angriffe auf Asyltouristen, auf die „kleinen Paschas“ und die Sache mit der „Alternative für Deutschland mit Substanz“. Das geht viel zu weit, damit stachelt er die Debatte gegen Flüchtlinge unnötig an. Ja, es gibt Probleme mit den steigenden Flüchtlingszahlen, es ist auch richtig, dass die Regierung Scholz eine Zeitlang die Nöte der Kommunen ignoriert hat. Und es gibt abgelehnte Asylbewerber, die nicht abgeschoben werden. Aber wieso einer wie Merz die Deutschen so aufwiegelt, ist nicht zu ertragen. Die Stimmung im Lande ist aufgewiegelt genug, man muss nicht Öl ins Feuer kippen. Merz betreibt das Geschäft der AfD, die inzwischen bundesweit, folgt man Umfragen, zur zweitstärksten Kraft aufgestiegen ist und die in drei ostdeutschen Ländern bei über 30 Prozent angekommen ist. Merz wollte doch die Anhänger der AfD halbieren. Mit seinen Reden wird er zum Sicherheitsrisiko. Es ist mir völlig unverständlich, wie NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst(CDU) auf Merz reagierte. Wie er Verständnis äußerte und Merz interpretierte und diesen in Schutz nahm. Herr Wüst, damit liegen Sie daneben. Besser wäre es gewesen, wenn Sie geschwiegen hätten. Ihre Äußerung, die ich am Donnerstagabend im Fernsehen dazu hörte, ist dazu angetan, Merz sogar Recht zu geben. Dabei muss ihm widersprochen werden, laut und deutlich. Friedrich Merz tritt wie ein Brandstifter auf. Abscheulich ist das, widerlich, auf die Schwächsten zu treten, die nach Deutschland gekommen sind, weil sie Schutz suchen, weil sie so gut wie nichts haben. Sie brauchen medizinische Versorgung, ein Dach über dem Kopf, Essen und Trinken. Das Nötigste, was sie zum Leben brauchen. Tobende Migrations-Debatte Was viele von ihnen bei uns aber erleben, ist eine tobende Anti-Migrations-Diskussion, die sich nur darum dreht, wie wir die Menschen möglichst schnell wieder loswerden. Menschen, die vor Verfolgung sich auf den Weg gemacht haben, die wegen Todesgefahr ihr Land verlassen haben, die geflohen sind, weil ihre Heimat unbewohnbar geworden ist. Weil es dort kein Wasser gibt, keine Arbeit, keine Perspektive zum Überleben. Darauf hinzuweisen, hat mit Humanitätsduselei nichts zu tun, ist auch keine Schönfärberei. Ich will die Probleme, die Kommunen damit haben und die mangels Wohnungen von Überforderung reden, nicht ignorieren. Aber wir sollten doch alles tun, damit sich hier nicht die Falschen angesprochen fühlen und wir irgendwann wieder Angriffe auf Flüchtlingsheime haben mit allen Folgen. Nachher will es keiner gewesen sein. Das gilt auch für die Debatte über die Flucht übers Mittelmeer, bei der immer wieder Boote kentern und Menschen, Frauen, Kinder ertrinken. Das Mittelmeer hat sich inzwischen den wenig schönen Beinamen „totes Meer“ erworben. Die Angst um den eigenen Wohlstand spielt hierbei auch eine Rolle. Alle Parteien, auch die Grünen, haben ihren Kurs geändert. Nolens volens werden rigide Maßnahmen beschlossen, Hauptsache, man gewinnt die Lufthoheit über den Stammtischen zurück. Ich denke noch mit Schrecken an die Debatte, die der hessische CDU-Politiker Roland Koch 1999 mit einer Unterschriften-Kampagne auslöste, die so angelegt war, dass Bürgerinnen und Bürger zu den CDU-Ständen im Lande eilten und fragten: „Wo kann man hier gegen Ausländer unterschreiben?“ Das hierbei Menschlichkeit verloren geht, scheint manche nicht mehr zu interessieren. Die ehrenamtliche Arbeit der vielen Helfer geht in dem Marktgeschrei derer, die gegen die Flüchtlinge polemisieren, unter. Der Teil der Zivilgesellschaft, der sich für die Flüchtlinge aufreibt, wird kaum noch wahrgenommen. Weil der Eindruck durch Politiker wie Merz und andere herrscht: Das Boot ist voll. Wenn Lebensräume unbewohnbar werden Wir werden die Grenzkontrollen verstärken, mehr Polizeikräfte dort einsetzen, um dem Schmuggler-Unwesen das Handwerk zu legen. Sie machen ihre unguten Geschäfte mit Menschen in Not, knöpfen ihnen das wenige Geld ab, das sie haben, sie transportieren sie in überfüllten LKW, wo die Menschen ohne Essen und Trinken verharren in der Hoffnung auf Hilfe irgendwo in Europa, nicht wenige davon am liebsten in Deutschland. Die Politik schließt Verträge mit Autokraten wie Erdogan, damit der uns gegen Milliarden Euro Millionen Flüchtlinge vom Halse hält. Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb Europas werden dem Problem ebenso wenig Herr werden wie Asylzentren an den Außengrenzen. Die Migration wird dadurch nicht enden, Menschen werden weiter fliehen, über Hundert Millionen sind weltweit auf der Flucht, weil Kriege sie entwurzelt haben oder die Folgen der Globalisierung, der Klimawandel einstige Lebensräume unbewohnbar gemacht hat. Es klingt gut, von Fluchtursachenbekämpfung zu reden. Nur, diese Debatte dauert schon seit Jahren, sie hat die Flucht von Menschen nicht gestoppt. Wir reden davon, dass wir Tausende und Abertausende von ausländischen Facharbeitern benötigen, gesucht werden Fachkräfte für die Pflege, als Sanitäter, IT-Kräfte. Dafür benötigen wir sichere Fluchtwege anstelle von Todesrouten, Regeln, die den infrage kommenden Menschen den Weg nach Europa, nach Deutschland vereinfachen. Wir brauchen sie, die Wirtschaft verlangt nach ihnen. Damit unser Wohlstand gesichert werden kann. Wir sollten bei der Diskussion aber die Menschenwürde nicht vergessen. Sie ist festgelegt im Grundgesetz, Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben nach dem schlimmsten aller Kriege und dem Ende der Nazi-Barbarei die Würde des Menschen formuliert und nicht nur die Würde des Deutschen. „Der Umgang mit Migranten“, schreibt Heribert Prantl in seiner SZ-Kolumne, „ist bezeichnend für den Rang der Menschenrechte in der EU; er ist bezeichnend für das Verhältnis von Macht und Recht in Europa“. Darum geht es, wenn wir ehrlich sein wollen. Das mit den Werten, für das Europa, das Abendland steht, sollten wir mit Verweis auf Friedrich Merz besser lassen.
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