„Diese FDP braucht keiner“, lese ich bei „Zeit Online“. Und das Urteil des Kommentatoren der „Süddeutschen Zeitung“ ist keinesfalls milder: „Ein Gernegroß geht“. Was sich auf FDP-Chef Christian Lindner bezieht, der noch im Abgang, quasi am Boden liegend, große, zu große Worte findet: „Wir sind in das volle politische Risiko gegangen. Wir zahlen einen hohen Preis dafür, für Deutschland war diese Entscheidung aber richtig.“ Er sieht am Wahlabend fast versteinert aus, als er seinen Rückzug aus der Politik verkündet. „Wenn die FDP aus dem Bundestag ausscheidet, ist klar, dass ich aus der Politik ausscheide.“ Und er fügt noch hinzu: „Mit einem Gefühl der Dankbarkeit.“ Und die FDP verfehlt tatsächlich den Einzug in den Bundestag, das zweite Mal nach 2013. Immerhin 72 Jahre gehörte die FDP dem Bundestag in Bonn und später in Berlin an.
„Es ist eine Niederlage für die Freien Demokraten, aber die Freien Demokraten sind nicht endgültig besiegt“, erklärt Lindner weiter in seiner Grabesrede. „Sie gehören zu dieser Republik, weil der politische Liberalismus zu dieser Republik gehört.“ Das hätte man früher unterschrieben, noch mit dem Namen des vor wenigen Tagen verstorbenen Gerhart Rudolf Baum, dem FDP-Bundesinnenminister im letzten Kabinett von Helmut Schmid, verband man die Bedeutung des politischen Liberalismus, aber nicht mehr mit einem wie Lindner. Zu ihm passte der Porsche, die Hochzeit auf Sylt in einer Kirche, obwohl er aus der Kirche ausgetreten war. Fingerspitzengefühl ist nicht seine Sache, es darf immer lieber etwas mehr sein denn weniger. Auch der mit dem eigenen Flugzeug nach Sylt einfliegende Friedrich Merz passte in das Bild, mehrte das Selbstverständnis des Hochzeiters.
Geht´s eine Nummer kleiner? Bei Lindner wohl nie. Seine FDP war der kleinste Partner in der Ampel-Koalition unter Olaf Scholz, aber er schien stets das entscheidende Wort zu führen, das schließlich zum Ende der ersten Dreier-Koalition in Deutschland führte. Destruktiv kann man seine Rolle in der Ampel beschreiben. Dass zur Politik im demokratischen Deutschland der Kompromiss zählt, scheint er verdrängt zu haben. Olaf Scholz, sicher kein überzeugender Kanzler über die ganzen drei Jahre betrachtet, warf im letzten Herbst den Bundesfinanzminister Lindner aus dem Kabinett. Später wurde bekannt, dass es Pläne der FDP gab, an einem bestimmten Tag, dem D-Day, diese Allianz „in einer offenen Feldschlacht“ an die Wand fahren zu lassen.
Jetzt sind sie draußen
Jetzt sind sie draußen, die Liberalen, aus dem Bundestag, sind eine außerparlamentarische Opposition. Herr Lindner beteuert auch jetzt: „Diese Neuwahl war für unser Land wichtig, selbst wenn wir einen hohen Preis dafür gezahlt haben.“ Zu hoch gepokert, Herr Lindner, und verloren. Zur Erinnerung: Die Lindner-Partei warf sich nach dem Ampel-Aus der Union an den Hals, um in eine Regierung Merz zu gelangen und Schwarz-Grün zu verhindern. Jetzt stehen wir vor der Wiederauflage von Schwarz-Rot, das Wort große Koalition sollten wir vermeiden, weder die Union und schon gar nicht die SPD verdienen eine solche Überhöhung.
Der Liberalismus am Ende? Zumindest schreibt die Mehrheit der Deutschen die Freien Demokraten ab und selbst 29 Prozent der FDP-Anhänger zweifeln an einem Comeback ihrer Partei. So das Ergebnis einer Insa-Umfrage nach der Bundestagswahl. Die Niederlage, den Abstieg haben sich die Liberalen redlich verdient, hört man von vielen Seiten. Mit dem Hohn müssen die Lindners leben, Selbstverständnis und Außenwahrnehmung der FDP klafften schon lange weit auseinander. Der liberale Kompass Lindners zeigte doch allein in die Richtung der Reichen, der Konzerne, die heutige FDP hat mit der eines Gerhard Rudolf Baums so gut wie nichts mehr zu tun. Die FDP ist nicht mehr die Partei der Bürgerrechte, sie ist nicht mehr unbequem, widerborstig, die Partei der Ecken und Kanten, der Reformen, sondern im Sinne ihrer Klientel gefällig. Diese FDP braucht wirklich niemand.
Dabei hat die FDP diese Bundesrepublik von Anfang an mit geprägt. Erster Bundespräsident war Prof. Theodor Heuss, auch dank Konrad Adenauers Wunsch-Koalition mit der FDP. Adenauer war gegen eine Verbindung mit der SPD von Kurt Schumacher. Thomas Dehler war ein engagierter Demokrat, er ließ es den ersten Kanzler spüren. Walter Scheel formte zusammen mit Willy Brandt die neue Ostpolitik, die sozialliberale Koalition hielt bis 1982. Unter Brandt, Schmidt, Scheel und Genscher veränderte sich das Land, wurde liberaler, sozialer, offener, legte ihren provinziellen Mief ab, versuchte, die schwere historische Vergangenheit mit den Nazi-Verbrechen aufzuarbeiten. Scheel wurde der zweite Bundespräsident aus den Reihen der FDP. Genscher und Lambsdorff brachten die Regierung von Helmut Schmidt, der sie angehörten, zu Fall mit einem konstruktiven Misstrauensvotum. Kanzler wurde Helmut Kohl, der bis 1998 zusammen mit der FDP regierte. In der Zeil fiel die Mauer, wurde die DDR aufgelöst und die deutsche Einheit geschmiedet. Auch dank eines Hans-Dietrich Genschers Außenpolitik.
Einst der Kanzler-Macher
Die FDP war der Mehrheitsbeschaffer für die Union und später für die SPD, also Königs- oder besser Kanzler-Macher. Sie verhinderte, dass die Republik zu schwarz oder zu rot wurde. Sie wurde zum ausgleichenden Moment. Erst das Aufkommen der Grünen Anfang der 80er Jahre machte den Liberalen ihre gestaltende Rolle streitig. Gerhard Schröder und Joschka Fischer bildeten 1998 die erste rot-grüne Koalition auf Bundesebene, die FDP schaute erstmals von den Oppositionsbänken aus neidisch bis eifersüchtig auf die Regierungsbank. Ja, es war ein ungewohntes Bild, die Grünen drangen nach vorn, dorthin, wo früher die Freien Demokraten saßen.
Lindner gelang 2017 das Kunststück, die FDP, die 2013 unter der Kanzlerin Merkel aus dem Bundestag geflogen war, wieder ins Parlament zu führen. Da priesen ihn die Liberalen wie einen Moses, er habe sie aus der Wüste wieder ins gelobte Land, gemeint Bundestag geführt. Anschließend ließ er aber Gespräche mit Angela Merkel über die Bildung einer Koalition aus CDU, Grünen und der FDP platzen, weil er sich von Merkel nicht genügend gewürdigt sah. Bekannt sind seine Abschiedsworte nach wochenlangen Verhandlungen: Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.
Alles lässt sich ändern. So war es auf den Wahlplakaten mit dem Konterfei Lindners zu lesen. Ja, auch die Rolle der FDP, indem Wählerinnen und Wähler der Partei die Quittung gaben für ihre zerstörerische Politik in der Ampel. Die Lindners predigten im Wahlkampf die Eigenverantwortung, die sie selber vermissen ließen. Wo war denn, Herr Lindner, Ihre Gemeinsamkeit der Demokraten, die nötig gewesen wäre und weiter ist, gerade in diesen schwierigen Zeiten, da die Demokratie von der Neonazis der AfD bedroht wird? Da Europa unter Zugzwang gerät durch einen US-Präsidenten Trump, der nicht mehr als Freund der Deutschen und der Europäer auftritt, sondern als Gegner. Der Geschäfte mit dem Kriegsverbrecher Putin plant und von dem man annehmen darf, dass er nicht nur die Zölle für deutsche Autos erhöht, sondern sich auch militärisch zurückzieht aus der Nato, wodurch die Europäer gezwungen sein werden, ihre Verteidigungsanstrengungen zu erhöhen. Was sich leicht daher sagt, könnte zu Mehrkosten von über 100 Milliarden Euro führen. Nur ein Beispiel. Und Sie bestehen auf der Schuldenbremse.
Es ist also viel zu tun. Und deshalb braucht Deutschland einen sogenannten Liberalen wie Lindner nicht, dessen Ignoranz sich paart mit seiner Arroganz. „Ich bin jetzt Privatmann“, hat er im Abgang gesagt, „und muss keine Auskunft über mein Privatleben geben.“ Das Ehepaar Lindner erwartet in Kürze Nachwuchs. „Ich habe keinen Plan B“, sagte der 46jährige auch noch. Wirklich nicht?. Im letzten Herbst konnte man im Kress-Report ein paar Andeutungen lesen. Unter der Überschrift „Arbeitet Finanzminister Christian Lindner bald für Ringier?“ hieß es am 21. Oktober 2024: „Lindner feierte zuletzt in Zürich bei der Jubiläumsfeier der Ringier Journalistenschule. Auffällig war, wie gut der Politiker im Schweizer Medienhaus heute schon vernetzt ist.“ Und ein paar Zeilen weiter konnte man erfahren, welche Spekulationen der Kress-Report mit dem Auftritt Lindners bei Ringier verband. „Wenn wir mal davon ausgehen, dass die Planstelle des Bundesfinanzministers spätestens nach den Bundestagwahlen im kommenden Jahr von jemand anderem besetzt wird, hätte Christian Lindner zumindest Zeit für andere Aktivitäten.
Bei Ringier wie einst Gerhard Schröder?
Und weiter lese ich bei Kress: Eine Option im Zuge einer beruflichen Neuorientierung könnte das Schweizer Medienunternehmen Ringier werden. Zum Unternehmen pflegt der Politiker bereits heute beste Kontakte. Bei der Jubiläumsfeier der Ringier Journalistenschule Mitte September konnte man das vor Ort besichtigen. So hielt Lindner eine schmissige Rede, die der Schweizer Branchendienst „Persönlich“ treffend so zusammenfasste: „Er sprach so brillant, dass man anschließend nicht so richtig wusste, was er genau meinte.“ Als Deutscher habe man sich wundern dürfen, dass der Minister angesichts der Probleme in der Regierung überhaupt Zeit für den Ausflug fand, zumal wenige Tage später in Brandenburg eine wichtige Landtagswahl stattfand.
Auffällig sei gewesen, schreibt der Autor bei Kress weiter, wie gut sich Lindner im Schweizer Medienhaus auskannte. Er duzte die gesamte Spitze des Hauses von Michael(Ringier) über Marc(Walder) bis hin zu Hannes(Britschgi), ein in der Schweiz bekannter Journalist, ehemals Leiter der Journalistenschule. Das animierte etliche Gäste der Jubiläumsfete zum Tuschelthema des Abends: Lindner werde Ringier nach seinem Abschied als Minister wohl häufiger zu Diensten sein, hieß es. Schließlich hat Ringier eine gewisse Tradition in diesem Feld und hatte 2005 Ex-Kanzler Gerhard Schröder als Berater verpflichtet.“ Schröder arbeite aber nicht mehr für die Schweizer Firma, nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine sei der Ex-Kanzler zur Belastung für das Haus geworden. So Kress weiter.
Dann hoffen wir mal für Lindner. Ein Ausflug in die Schweiz ist immer mal was Schönes. Im übrigen: FDP-Vorsitzender zu sein, ist ein Ehrenamt, ohne Bezahlung. Wie hoch die Pension des Ex-Finanzministers und Bundestagsabgeordneten sein wird, kann jeder selber ausrechnen. Er hat immer höhere Nebeneinkünfte gehabt, die Rede war mal von über 424000 Euro. Lindner, dessen Vater promovierter Mathematiker ist, hat Politik im Hauptfach (Abschluss M.A.) an der Uni Bonn studiert, er besitzt eine Rennfahrer-Lizenz und war unternehmerisch tätig, einmal erfolgreich, einmal lehrreich. So hat er es gesagt.
Die Politik wird nicht ärmer ohne Lindner. Und ich werde ihn nicht vermissen.
Bildquelle: Wikipedia, Dirk Vorderstraße, CC BY 3.0 DEED