„Wer, wie, was. Wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Dieser Liedtext aus der Kindersendung Sesamstraße könnte der Grund für eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion an die Bundesregierung zur gesetzlichen Regelung der Wiederverwendung von Abwasser sein. Politikwissenschaftler sehen aber in der Kleinen Anfrage, einem eigentlichen Kontrollinstrument der Parlamentarier, auch ein Instrument zum Agenda-Setting und zur Erzielung von Aufmerksamkeit. Die Umstände der Anfrage, der zeitliche Kontext mit dem Ausscheiden der FDP aus der Ampel-Regierung und die bevorstehenden Wahlen, lassen zumindest beide Interpretationen als Veranlassung zu. Ungeachtet dessen beinhaltet der Katalog mit 29 Fragen interessante Aspekte und weckt eine gesteigerte Erwartung an die Antworten der Bundesregierung.
Die Wiederverwendung von Abwasser findet in der Fachwelt immer mehr Fürsprecher. Die EU hat mit einer Verordnung die Voraussetzungen für die Nutzung in der Landwirtschaft geschaffen. Die Bundesregierung muss mit einer gesetzlichen Regelung diesen europäischen Ordnungsrahmen mit den deutschen Besonderheiten synchronisieren. Den laufenden Gesetzgebungsprozeß nutzt die FDP-Fraktion mit einer Kleinen Anfrage zu den Potenzialen der Wasserwiederverwendung für die Landwirtschaft und adressiert in den Kommentierungen die Ausweitung weitergehender Nutzungszwecke über die Landwirtschaft hinaus und den bürokratischen Aufwand bei den Genehmigungsverfahren.
Wegen der Klimawandelfolgen für das Wasserdargebot und zunehmender Nutzungskonkurrenzen müssen zusätzliche Wasserressourcen erschlossen werden. Nicht mehr Wasser nutzen, sondern Wasser mehrfach nutzen könnte das Grundprinzip lauten, dass auf eine Wiederverwendung von aufbereitetem Abwasser abzielt.
Die Bedeutung von rückgewonnenem Wasser als alternative Wasserquelle ist inzwischen in internationalen, europäischen und nationalen Strategien enthalten. Das UN-Ziel für eine nachhaltige Entwicklung im Bereich Wasser (SDG 6) fordert eine deutliche Steigerung des Recyclings und der sicheren Wiederverwendung von Wasser bis 2030. Die Wiederverwendung von Wasser ist eine der obersten Prioritäten im strategischen Umsetzungsplan der Europäischen Innovationspartnerschaft für Wasser und ein wichtiges Ziel der Mitteilung „Blueprint to safeguard Europe’s water resources“ von 2012. Die Wiederverwendung von Wasser wird in mehreren EU-Mitgliedstaaten, z. B. in Zypern, Frankreich, Griechenland, Italien, Malta, Portugal und Spanien, sowie in anderen Ländern, z. B. in Israel, den USA (Kalifornien), Australien und Singapur, bereits seit Jahren erfolgreich praktiziert.
In der Europäischen Union gilt seit 26. Juni 2023 die Verordnung über Mindestanforderungen für die Wasserwiederverwendung in den Mitgliedstaaten – und damit auch in Deutschland. Derzeit ist die Wiederverwendung von Abwasser einschließlich aufbereitetem Abwasser zur landwirtschaftlichen Bewässerung in Deutschland nicht explizit geregelt insbesondere bleiben in Folge des föderalistischen Systems und der Zuständigkeiten der Bundesländer Regelungslücken. Daher ergeben sich aus der EU-Verordnung Anpassungen im deutschen Rechtssystem. So sind ergänzende Regelungen, beispielsweise zur Bestimmung von Verfahren und zuständigen Stellen, auf Bundes- oder Länderebene erforderlich. Zudem können die Mindestanforderungen der EU-Verordnung national durch zusätzliche bzw. strengere Anforderungen ergänzt werden. Im vergangenen Jahr hatte die Bundesregierung einen Referentenentwurf des Wasserhaushaltsgesetzes des Bundes vorgelegt, mit dem die Wasserwiederverwendung in deutsches Recht eingebettet werden soll. Die Abgeordneten wollen von der Bundesregierung wissen, welche Möglichkeiten bereits nach geltender Rechtslage bestehen, um Abwasser beispielsweise für die Landwirtschaft, Industrieprozesse und die Stadtgrün-Bewässerung zu nutzen.
Zwei Kritikpunkte aus den Erläuterungen und den 29 Fragen sollen nachfolgend genauer betrachtet werden:
1. Einsatz von aufbereitetem Abwasser in der Industrie
Mit den Stellungnahmen der Verbände, die zum Referentenentwurf des Bundesgesetzes angehörten worden waren, hatten die Liberalen gleichermaßen aufschlussreiche, wie fundierte Quellen für ihre Fragen und Positionen. Den Stellungnahmen konnten sie die Kritik entnehmen, dass der Nutzungsrahmen für aufbereitetes Abwasser mit der Beschränkung auf landwirtschaftliche Zwecke zu eng gefasst sei. Diesen Punkt greift die FDP-Fraktion auf und fordert eine Erweiterung auf industrielle und weitere Zwecke. Zwar weise die EU-Verordnung in den Erwägungsgründen explizit darauf hin, dass die Mitgliedstaaten neben der Landwirtschaft auch andere Bereiche mit in die Wasserwiederverwendung einbeziehen können. Aber für ein finales „Go“ aus Brüssel muss die bis 2028 laufende Evaluierung abgewartet werden. Daher sollte die Bundesregierung die Freiräume schaffen, um Nutzwasserkreisläufe zu ermöglichen. So könnte der Anwendungsbereich von aufbereitetem Abwasser über die landwirtschaftliche Nutzung hinaus auch auf eine industrielle Nutzung und städtische Stadtbegrünung (z. B. Parks) ausgeweitet werden, meinen die Fragesteller der FDP. Dies wäre ein Anwendungsbereich, in dem andere Voraussetzungen an Wasserqualität und Hygiene gestellt werden können. Aus Sicht der Fragesteller sollte in industriellen Prozessen nur dort Trinkwasserqualität eingesetzt werden, wo es notwendig ist. Für alle anderen Prozesse sei die Verwendung von aufbereitetem Abwasser ausreichend. Interessant sei die Wiederverwendung von Brauchwasser für Industriebetriebe nicht zuletzt durch verminderte Wasserentnahmeentgelte und damit reduzierte Betriebskosten. Zudem könne die Produktion dadurch nachhaltiger und ressourcenschonender gestaltet werden, so die FDP.
Diese Öffnung der Nutzungszwecke in Richtung Industrie hatten unter anderem die Kommunalen Spitzenverbände in ihrer Stellungnahme adressiert. Sie kritisieren, dass die vom EU-Verordnungsgeber geschaffene Möglichkeit, das aufbereitete Wasser auch für industrielle Zwecke sowie für Zwecke im Zusammenhang mit Freizeit und Umwelt zu nutzen, in dem Gesetzentwurf nicht aufgegriffen werde. „Diese Leerstelle kritisieren wir. Mit Blick auf die Wärme- und Energiewende sollte langfristig auch die Nutzung von geklärtem Abwasser als Prozesswasser etwa für ein Wasserstoffkraftwerk genutzt werden können. Im vorliegenden Entwurf fehlt völlig der Blick für die Bedeutung von geklärtem Abwasser für Gewerbe- und Industriebetriebe„, erklären die Spitzenverbände. In das „gleiche Horn stößt“ auch der Bund für Umwelt- und Naturschutz – BUND – allerdings mit einer Umkehr der Priorisierung, in dem er die „Nutzung von wiederverwendetem Abwasser vorrangig für industrielle Zwecke und dann erst für landwirtschaftliche Zwecke befürwortet„. Erstaunlich übrigens, dass ausgerechnet der Bundesverband der Industrie BDI dieser Thematik in seiner Stellungnahme keine Zeile gewidmet hat.
2. Bürokratischer Aufwand
In der abgeschlossenen Länder- und Verbändeanhörung zum Referentenentwurf hätten, so die FDP, die beteiligten Verbände auch die hohen bürokratischen Anforderungen an die Genehmigungsverfahren beklagt und es als zudem wenig praxistauglich bezeichnet. Nicht nur die Anlagenbetreiber bräuchten zur Wasseraufbereitung für die Wiederverwendung eine Genehmigung. Auch die Landwirte benötigen eine behördliche Genehmigung, um aufbereitetes Abwasser zu verwenden. Damit bestehe eine doppelte Genehmigungspflicht, beschreiben sie die Komplexität des Verfahrens. Einzuholende Genehmigungen beider Seiten bedürfen der Zustimmung der Wasser-, Gesundheits-, Verbraucherschutz-, Landwirtschafts- und Umweltbehörden.
Aus Sicht der Fragesteller sei die nationale Umsetzung der EU-Wasserwiederverwendungsverordnung daher sehr aufwendig und mit hohen Hürden für die Nutzer versehen. Die Anwendung sollte anstelle dessen praxisnah und bürokratiearm ausgestaltet werden, um die Anwendung zu erleichtern und den größtmöglichen Nutzen zu bieten. Anstatt die Genehmigungsverfahren für die Erlaubnis der Nutzung aufbereiteter Abwässer für den eigenen Betrieb über bis zu sieben Behörden laufen zu lassen, sollten vielmehr die Entscheidungsbefugnisse einzelner Behörden gestärkt werden, um Prozesse so deutlich zu beschleunigen. Auch sollten bestimmte Gebiete von Wasserschutzgebieten nicht pauschal und ohne substantielle Begründung von der Wasserwiederverwendung ausgeschlossen werden, wenngleich die Fragesteller selbstverständlich eine strenge Einzelfallprüfung mit Risikomanagement in sensiblen Wasserschutzgebieten befürworten.
Antworten der Bundesregierung dürften schon im Januar vorliegen
Nur wenige Wochen nach dem Ausscheiden der FDP aus der „Ampel“ im November 2024 richten die Abgeordneten des ehemaligen Koalitionspartners von Rot-Grün am 23. Dezember 2024 eine „Kleine Anfrage“ an die Bundesregierung. In den Formulierungen des ehemaligen „Ampel-Partners“ FDP erkennt man bereits den „eisigen Wind des Wahlkampfes“. Die Antworten auf die Fragestellungen dürften spannend werden. Nach der Geschäftsordnung des Bundestages müssen sie grundsätzlich innerhalb von 14 Tagen beantwortet werden.
Kleiner Hinweis zum Schluss:
Man möge mir die Spitzfindigkeit nachsehen, aber:
- Es sei der FDP-Fraktion gesagt, dass zunächst einmal die Industrie gar kein Trinkwasser für die Produktion und Kühlung einsetzt (s. S. 3), sondern Grund- und Oberflächenwasser; nachzulesen beim BDI.
- Und es ist mehr als unüblich, ja sogar unsinnig bei den Kosteneinsparungen auf Dimension „in €/Liter“ abzustellen; die zeitliche Dimension „pro Jahr“ macht die Sache nicht besser (Frage 13). Da die Fragesteller konkret nach den Kosteneinsparungen beim Wasserentnahmeentgelt fragen, hier die Antwort: Das Wasserentnahmeentgelt beträgt 0,05 Euro pro Kubikmeter in NRW. Die Einsparung betrüge demzufolge 0,00005 Euro pro Liter. Wieviele Euro es im Jahr sind, hängt dann verständlicherweise von der Menge ab.
Quellen und Weiterführendes
- Potenziale der Wasserwiederverwendung für die Landwirtschaft und weitere Anwendungsbereiche, Kleine Anfrage der FDP-Fraktion an die Bundesregierung (BT-Drs. 20/14375)
- Referentenentwurf Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, Stand 28.02.2024
- Stellungnahmen der angehörten Bundesländer und Verbände zum Referentenentwurf
- Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes, Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände
- Stellungnahme zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes zur Ergänzung und Durchführung der Verordnung (EU) 2020/741 über Mindestanforderungen an die Wiederverwendung kommunalen Abwassers für die landwirtschaftliche Bewässerung, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
- Stellungnahme des BDI, Bundesverband der Industrie
- EU-Verordnung zu Wasserwiederverwendung, Informationsseite des UBA, Stand 18.12.2024
- Eine Lösung für das Wasserdilemma. Wie die EU die Gebrauchtwasser-Nutzung forcieren will, LebensraumWasser, 9.8.2022
- Hilft Wiederverwendung von Wasser im Kampf gegen Wasserknappheit ?, LebensraumWasser, 9.8.2022
- Wasser als industrieller Standortfaktor, BDI
Beitragsfoto: Arek Socha auf Pixabay
Dieser Beitrag wurde am 7.1.25 erstveröffentlicht im Blog unseres Autors LebensraumWasser