Es war eine Sensation, ein journalistischer Knüller, den die „Süddeutsche Zeitung“ vor Wochen veröffentlichte: Das Münchner Blatt hatte herausgefunden, dass der heutige Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, Wirtschaftsminister im Kabinett von Markus Söder und stellvertretender Ministerpräsident des Freistaats Bayern, als Schüler in den Verdacht geraten war, ein rechtsextremes Flugblatt geschrieben zu haben. Die Zeitung brachte das Flugblatt mit allen furchtbaren Einzelheiten. Die SZ hatte weiter recherchiert, dass der 17-jährige Aiwanger nach Auskunft mehrerer Mitschüler wegen seiner rechtsextremer Gesinnung bekannt war. Aiwanger bestritt die Vorwürfe, und am Tag nach der Veröffentlichung des Flugblatts meldete sich sein Bruder Helmut bei der „Passauer Neuen Presse“, er sei der Verfasser des Flugblatts gewesen. Hubert Aiwanger räumte aber ein, dass er ein oder mehrere Exemplare des Flugblatts in seinem Schulranzen gehabt habe. Zudem wurde bestätigt, dass Hubert Aiwanger wegen des Flugblatts sich vor dem Disziplinarausschuss des Gymnasiums in Mallersdorf-Pfaffenberg habe verantworten müssen. Die Berichterstattung erfolgte auf mehreren Seiten, die gesamte Bayern-Redaktion des Blattes hatte in der Causa Aiwanger/Flugblatt recherchiert, der Chefredakteur schrieb dazu den Leitartikel. Als Journalist zieht man, wenn man diese Arbeit über Tage verfolgt, wie ich es als Abonnent des Blattes getan habe, den Hut. Respekt, dachte ich und hörte von anderen Kollegen ähnliche Anerkennung gegenüber der wochenlangen Recherche der SZ-Kollegen. Dann aber las ich aus anderem Munde auch den Vorwurf der „Verdachtsberichterstattung“, die journalistische Sorgfaltspflicht der SZ wurde in Frage gezogen. Verrückt, war mein erster Reflex, Neid warf ich Kollegen vor, die das angesehene Blatt aus der bayerischen Metropole kritisierten. Später hieß es, auch andere Medien hätten in dem Fall Aiwanger und Flugblatt recherchiert, hätten die Geschichte aber nicht gebracht. Die SZ zitiert Anna Clauß, Bayern-Korrespondentin und Leiterin des Ressorts „Meinung und Debatte“ im Deutschlandfunk mit den Worten: „Kurz gesagt, wir waren einfach mit der Recherche noch nicht so weit. Die SZ war schneller, die SZ hatte die entscheidenden Belege.“ Das erfuhren auch die Leser der Zeitung, die mehrfach daraufhin wies, dass sie Zeugen für ihre Aussagen habe, eidesstattliche Versicherungen belegten die Richtigkeit ihrer Texte. Die Namen wurden nicht genannt, weil die Betreffenden darum gebeten hatten. Ein völlig normaler Vorgang. Dass die Zeitung die Berichterstattung bewusst am 25. August gestartet habe, weil just an dem Tag die Briefwahl zur Landtagswahl begann, hat das Blatt zurückgewiesen. Ich halte solche Vorwürfe für völlig absurd. Die SZ ist nun mal ein seriöses Blatt und keine Rabauken-Postille. Sie hat wegen der Schwere der Vorwürfe gegen Aiwanger mit der Veröffentlichung an jenem Tag begonnen. Keinen Tag früher, keinen Tag später. Was ist daran verwerflich? Damit bis nach der Wahl zu warten, ist lächerlich. Hitler-Reden einstudiert Darf ich aus der SZ noch einmal zitieren, womit ehemalige Mitschüler den Herrn Aiwanger konfrontierten? Er habe Hitler-Reden einstudiert und damit geprahlt, Hitlers Buch „Mein Kampf“ gelesen zu haben. Im Flugblatt ist die Rede von einem „Bundeswettbewerb: Wer ist der größte Vaterlandsverräter?“ Mögliche Bewerber seien aufgerufen, „sich im Konzentrationslager Dachau zu einem Vorstellungsgespräch zu melden“. Teilnahmeberechtigt sei „jeder, der Deutscher ist und sich auf deutschem Boden aufhält“. Preise soll es für 1000 Teilnehmer geben, etwa für die Plätze 7-1000, die „eine Nacht Aufenthalt im Gestapokeller“ verbringen würden und „dann ab nach Dachau“. Andere Gewinner erwarte ein „Freiflug durch den Schornstein von Auschwitz“ oder ein „lebenslanger Aufenthalt im Massengrab“ oder ein „kostenloser Genickschuss“. Widerliche Texte. Aiwanger hat der SZ eine „Schmutzkampagne“ vorgeworfen, um sich selbst zum Opfer zu machen. Die SZ hatte ihm, was sie mehrfach betont hat in den Tagen nach der Veröffentlichung, Gelegenheit geboten, seine Sicht der Dinge darzustellen, Diese Chance hat er nicht genutzt, sondern der Redaktion sehr früh damit gedroht, er werde sie verklagen. Als wenn ein Blatt wie die „Süddeutsche Zeitung“ sich davon imponieren ließe. Der Chef der Freien Wähler hatte immer wieder die Gelegenheit, sich für das Flugblatt, das nicht nur in den Augen von Ministerpräsident Markus Söder „ekelig“ ist, in aller Form zu entschuldigen. Das hat er nicht getan, ich frage mich, warum er so handelte. Er hätte darauf hinweisen können, dass die Vorwürfe gegen ihn nicht nur lang zurücklägen, sondern dass ihm diese Vorwürfe sehr leid täten und er dies bedaure. Hätte er so von vornherein gehandelt, wäre ihm die Berichterstattung vielleicht sogar in Gänze erspart geblieben. Die Leser der SZ werden sich zudem erinnern an die Reaktionen aus der jüdischen Gemeinde. Die ehrenwerte und hochangesehene Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde Gemeinde von München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, hat zwar mit Aiwanger telefoniert, danach aber betont, sie nehme seine Entschuldigung nicht an. Das hätte Aiwanger eigentlich zum Nachdenken bringen können, hat es aber nicht. Er hat schnell wieder das Bierzelt aufgesucht, um Wahlkampf in eigener Sache zu machen. Glaubwürdigkeit, Demut, Herr Aiwanger hören sich anders an. Aiwanger musste wegen der Affäre einen Fragenkatalog von Söder beantworten, was er nicht zur vollen Zufriedenheit des Ministerpräsidenten erledigte. Dennoch blieb er im Amt, vielleicht auch deshalb, weil Söder sich sehr früh auf die Fortsetzung der Koalition aus CSU und Freien Wählern festgelegt hatte und einem möglichen Bündnis mit den Grünen auch nach während der Affäre Aiwanger/Flugblatt eine klare Absage erteilte. Aiwanger mag sich durch Umfragen gestärkt fühlen, möglicherweise bestätigt. Die Freien Wähler haben durch die Affäre nichts an Zustimmung verloren, sondern mehrere Prozentpunkte dazu gewonnen. Die Aiwanger-Flugblatt-Affäre war auch Thema in anderen Medien. So hat die „Augsburger Allgemeine“ Aiwanger in einem Interview auch zum Flugblatt befragt, der Minister habe, so das Blatt, dem zugestimmt. Er habe auch die Fragen dazu beantwortet, aber dann in der ihm zwecks Autorisierung vorgelegten Fassung eine Reihe von Antworten zum Komplex Flugblatt gestrichen. Das geschah, so die Augsburger Redaktion, kurz vor Redaktionsschluss. Die Zeitung ließ sich das so nicht bieten, sondern veröffentlichte auch die Fragen, die Aiwanger offensichtlich nicht gepasst haben mit dem Zusatz: Antwort gestrichen. Die „Süddeutsche Zeitung“ stellt sich dem Thema Flugblatt/Aiwanger und auch den Vorwürfen gegen das Blatt im Münchner Presseclub am kommenden Mittwoch. Ich würde der Redaktion einen Preis verleihen. Den hat sie sich für ihre faire und umfassende Berichterstattung verdient. Der Rest ist Polemik und wie gesagt Neid.
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