Viele Jahre lebten wir in Deutschland und in den Euro-Staaten fast in einem Paradies der Stabilität. In einigen Monaten wurden gar offiziell Preissenkungen registriert, die zum Teil deutlich unter der 2 Prozent-Zielmarke der Europäischen Zentralbank (EZB) lagen. Doch nun explodieren die Preise in einer Dimension, wie sie zuletzt in Deutschland vor rund einem halben Jahrhundert registriert wurde. Die Inflationsrate ist republikweit aktuell auf 7,3 Prozent gestiegen – in Nordrhein-Westfalen sogar auf 7,6 Prozent.
Superteure Energie
Die Verbraucher spüren die bitteren Folgen des Ukraine-Krieges. Sie müssen für ihre Lebenshaltungskosten wesentlich mehr bezahlen als noch vor einem Jahr. Besonders kräftig sind die Preisaufschläge im Energiebereich, doch auch Gemüse, Obst und die meisten Lebensmittel haben sich deutlich verteuert. Der Preisanstieg für Heizöl betrug aktuell im März rund 100 Prozent gegenüber dem Vorjahr, für Gas und Strom etwa 30 Prozent. An der Tankstelle mussten Autofahrer für Benzin 43 Prozent und für Diesel gar 65 Prozent mehr bezahlen. Im Supermarkt und beim Einzelhändler gab es für Fett und Öl, für Milch und Eier, für Brot und Mehl sowie vor allem für Gemüse und andere Nahrungsmittel Preisaufschläge von 10 bis 20 Prozent.
Unzureichendes Entlastungspaket
Das Ende der Fahnenstange ist noch nicht in Sicht: Die Geldentwertung könnte in den nächsten Monaten noch stärker ausfallen. Vor allem Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen spüren diese trabende Inflation schmerzlich, denn die reale Kaufkraft ihrer Renten, Löhne und Gehälter sowie Bezüge aus staatlichen Sozialkassen ist deutlich geringer geworden. Die meisten schränken ihren privaten Konsum bereits ein, suchen noch intensiver als bisher schon nach Sonderangeboten des Einzelhandels, müssen den bitteren Weg zu einer Tafel gehen, um dort überhaupt noch einige Nahrungsmittel kostenlos zu ergattern. Das von der Ampel-Regierung jüngst beschlossene Entlastungspaket ist wenig zielgenau und für die meisten kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Dass die Gutverdiener dank der FDP-Protektion davon mehr profitieren werden als Rentner, geringfügig Beschäftigte oder Sozialhilfeempfänger, ist geradezu skandalös. Das Prinzip der Gießkanne ist für einen echten solidarischen Ausgleich völlig ungeeignet. Viele Gut- und Besserverdiener hätten ohnehin gern auf diese Entlastungsaktion der Bundesregierung zugunsten der sozial Schwächeren verzichtet oder verzichten können.
Vernichtung von Geldwerten
Inflation ist Betrug am Kleinen Sparer, so hat es einst ein Präsident der Deutschen Bundesbank, die stets als Gralshüterin der Preisstabilität handelte, gesagt. In der Tat vernichtet die derzeit grassierende Preisexplosion zig Milliarden bei den Sparguthaben von Millionen Kleinsparern. Die Kaufkraft eines Guthabens in Höhe von etwa 3.000 Euro auf dem normalen Sparkonto wird bei einer Inflationsrate von 6 bis 7 Prozent, wie sie für dieses Jahr zu erwarten ist, um 180 bis 210 Euro geringer sein. Der „Notgroschen“, den viele Menschen für den „Fall der Fälle“ zur eigenen Beruhigung auf die „hohe Kante“ gelegt haben, verliert so deutlich an Wert – vor allem in Zeiten wie diesen, da kaum oder keine Zinsen von Banken und Sparkassen gezahlt werden.
EZB in der Zwickmühle
Die EZB als Hüterin der Stabilität des Euro bewegt sich mit ihrer Geldpolitik in einer Zwickmühle. Bisher hat sie mit Anleiheankäufen und anderen Operationen die Geldmärkte geradezu geflutet und eine Nullzinspolitik betrieben, um die wirtschaftliche Entwicklung zu stützen. Die Euro-Staaten sind auch ökonomisch recht gut durch die Krisen der jüngsten Zeit gekommen und nicht in ein tiefes Tal mit hoher Arbeitslosigkeit geraten. Zwar hat die EZB bereits angekündigt, die lockere Geldpolitik allmählich zurückzunehmen, doch mit dem Russland-Krieg gegen die Ukraine hat sich eine völlig neue, gefährliche Entwicklung ergeben. Die derzeitige Superinflation, insbesondere die Explosion der Energie- und Rohstoffpreise, lässt sich mit den geldpolitischen Instrumenten der EZB kaum bremsen. Wesentlich höhere Zinsen für Kredite plus stark gestiegene Kosten wären in der Summe enorme Gefahren für Wachstum und Beschäftigung. Die Stagnation der Wirtschaft und zugleich die hohe Inflation könnten viele Volkswirtschaften in eine gefährliche Phase der Stagflation führen. So wird der EZB nur die Möglichkeit eines sehr vorsichtigen geldpolitischen Bremsweges bleiben, um ihren Beitrag zur Eindämmung der Preisexplosion zu leisten und viele Euroländer nicht ins Tal der Rezession zu stürzen. Die Regierungen sind zugleich herausgefordert, mit ihrer Fiskalpolitik die großen Verwerfungen in der Wirtschaft und im sozialen Feld abzufedern. Letztlich müssen auch wir Deutschen unseren Preis für den Krieg mit Wohlstandseinbußen bezahlen – mit materiellen Verlusten, aber nicht mit Toten und Verletzten sowie Flüchtlingen, wie es die Ukraine mit sehr schmerzhaften Verlusten tragen muss.