Falschinformationen können Wahlen beeinflussen. Künstliche Intelligenz (KI) befeuert die Flut von Fake News im Netz. Welche Maßnahmen gegen Desinformation wirken
Mächtige KI-Unternehmen warnen inzwischen vor ihrer eigenen Erfindung. Der ChatGPT-Entwickler OpenAI hat nach eigenen Angaben in den vergangenen drei Monaten fünf große Desinformations-Kampagnen staatlich unterstützter Akteure gestoppt, die dafür den Sprachroboter eingesetzt haben sollen. ChatGPT ist ein auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierendes Sprachmodell, das auf Zuruf in Windeseile Texte, Nachrichten, Bilder und Programme erstellen kann und von seriösen Quellen kaum zu unterscheiden ist. Das Programm ist leicht zugänglich und vielseitig einsetzbar – auch für Desinformation.
Die vom US-Entwickler angeblich vereitelten Kampagnen sollen aus Russland, China, Iran und Israel stammen. Der Sprachroboter soll dazu genutzt worden sein, in verschiedenen Sprachen massenhaft kurze politische Kommentare, Artikel und Nachrichten zu produzieren und sie auf verschiedenen Online-Plattformen und Messenger-Diensten zu verbreiten.
Der Sinn der Sache scheint klar: Angesichts des Superwahljahrs 2024 mit Urnengängen in der EU, in den USA sowie in drei deutschen Bundesländern wird befürchtet, dass Programme wie ChatGPT binnen Sekunden und in gigantischer Menge Fake News verbreiten können, um den Ausgang von Wahlen zu beeinflussen. Dabei stellt sich die Frage: Ist es ein gutes Zeichen, dass die KI-Erfinder so gut aufpassen, was mit ihrem eigenen Chatbot angestellt wird? Oder sollte das eher Anlass zu großer Beunruhigung sein?
Jüngstes Beispiel: Seit Tagen behauptet die ungarische Regierung hartnäckig, die Europäische Union plane die Einführung einer europaweiten Wehrpflicht. Das würde bedeuten, schäumte Regierungschef Viktor Orban laut Spiegel, „dass andere über das Blut von Ungarn entscheiden“. Allein: Es stimmt nicht. Die Falschinformation dient offensichtlich vor allem der Stimmungsmache gegen die EU.
Nach Meinung von Experten kursieren im Superwahljahr womöglich mehr gefälschte Nachrichten im Internet als je zuvor. Niemand ist davor sicher. Denn wenn Wissen Macht ist, dann wird Desinformation zur Waffe gegen die etablierte Ordnung. Das Weltwirtschaftsforum hat im Januar die Verbreitung von KI-generierten Falschinformationen als das größte globale Risiko der kommenden zwei Jahre eingestuft – noch vor Umweltkatastrophen und militärischen Konflikten. Denn vor allem in Zeiten politischer Unsicherheiten und Krisen, in denen viele Menschen Antworten und Sicherheit suchen, entfalten Fake News ihre zersetzende Wirkung.
Der Kommunikationswissenschaftler Philipp Müller (Uni Mannheim) spricht von einem „permanenten Grundrauschen“ von Desinformation in den digitalen Medien. „Die Hauptstrategie dabei ist es, Zweifel an der Demokratie zu sähen und diese von innen auszuhöhlen.“ In Wahlkampfzeiten erhöhe sich dieses Rauschen signifikant. Eine wirksame Methode der Akteure sei es dabei, über eine lange Zeit Falschnachrichten ständig zu wiederholen. So werde auf Dauer das Vertrauen in die Demokratie, die Politik und die Eliten zerstört. Das Vorgehen gleiche sich, egal ob es um den russischen Angriffskrieg, Migration, Klimawandel, Europa oder Corona gehe.
Wie bei allen größeren Wahlen stellt sich somit auch bei der Europawahl die Frage, welchen Einfluss Desinformation haben kann, was Falschnachrichten bewirken können und welche Gegenmaßnahmen es gibt. In der Praxis ist es meist schwierig nachzuweisen, welchen Einfluss Fake News genau haben. Denn viele Faktoren haben bis zum Moment in der Wahlkabine Einfluss auf die Entscheidung – bis hin zum Wetter.
„Der Einfluss von Desinformationen auf Wahlergebnisse ist schwer isoliert zu bewerten“, sagt Dr. Josephine Schmitt, Wissenschaftlerin am Center for Advanced Internet Studies (CAIS) in Bochum. „Jedoch ist anzunehmen, dass Desinformation bei knappen Wahlen eine entscheidende Rolle spielen kann“, so Schmitt. Das könne insbesondere dann geschehen, wenn durch die Falschinformation „die Wahrnehmung und das Vertrauen in den Wahlprozess, die politischen Institutionen und die Kandidaten und Kandidatinnen beeinträchtigt werden.“ Exakt nach diesem Muster scheinen Orban und Trump zu verfahren.
Desinformation könne dazu beitragen, dass sich Wähler und Wählerinnen von etablierten Parteien entfremden und sich rechtspopulistischen Kandidaten zuwenden. Schmitt: „Je weniger Personen dabei traditionellen Nachrichtenmedien und der Politik vertrauen, desto mehr glauben sie der Desinformation.“ Der wachsende Abscheu gegenüber etablierten Medien („Systempresse“) sowie der Konsum von Nachrichten in der persönlichen Filterblase der sozialen Medien macht diesen Befund noch bedrohlicher.
Bei knappen Wahlen können Desinformationskampagnen demnach das Zünglein an der Waage spielen, meint auch Edda Humprecht, Professorin für Digitalisierung und Öffentlichkeit an der Uni Jena. Desinformation könne „in einem engen Rennen einen signifikanten Effekt haben, indem sie bestimmte Wählersegmente mobilisiert oder demobilisiert“. Falschnachrichten sollen Zweifel streuen und den politischen Diskurs manipulieren. Besonders eifrige Akteure seien rechtspopulistische Gruppierungen und Parteien wie die AfD, die zudem schnell gelernt habe, KI-Werkzeuge wie ChatGPT intensiv zu nutzen.
Also was ist zu tun? Wie kann man Fake News entlarven, entkräften oder sich vor ihnen wappnen?
Faktencheck:
Ein wichtiges Instrument, um Falschnachrichten zu entlarven, ist der bekannte Faktencheck. Gut recherchierte Fakten helfen, die Verbreitung von Desinformation und den Glauben daran zu reduzieren. Studien belegten, dass Faktenchecks das Vertrauen der Menschen in vertrauenswürdige Informationsquellen stärken können.
Das Problem: Manche Mediennutzer empfinden Faktenchecks als Bevormundung und reagieren mit Trotz, was sie an ihrer vorgefassten Meinung erst recht festhalten lässt. Der Grund: „Einmal verarbeitete Desinformation ist schwer wieder aus dem Gedächtnis zu entfernen, weil die Falschinformation bei der ersten Verarbeitung plausibel mit dem bisherigen Weltwissen verbunden wird“, sagt Prof. Nicole Krämer, Sozialpsychologin und Medienwissenschaftlerin an der Uni Duisburg-Essen.
„Prebunking“ oder „Impfung“ gegen Fake News:
Im vergangenen Jahr ergab eine Umfrage, dass gut die Hälfte der Menschen Probleme hat, Falschnachrichten überhaupt zu erkennen. Experten schlagen daher vor, Aufklärung zu betreiben, bevor die Falschnachricht überhaupt die Menschen erreicht oder sie daran glauben. Dies wird im Fachjargon als „Prebunking“ bezeichnet. „Studien zeigen, dass diese psychologische ,Impfung‘ effektiver sein kann als die Bekämpfung von Fehlwahrnehmungen im Nachhinein“, meint Kommunikationsforscherin Sabrina Heike Kessler. Der erhoffte Effekt: Das argumentative Immunsystem der Menschen wird gestärkt und bilde im besten Falle Antikörper gegen Fake News.
Das Problem: Es ist schwierig vorherzusagen, welche spezifischen Desinformationen sich bald verbreiten werden. Dadurch könnten solche „Impfungen“ auch als Alarmismus verstanden werden und die Menschen ermüden.
Medienkompetenz:
Der geschulte Umgang mit Medien kann dazu beitragen, dass Menschen nicht so leicht auf falsche Informationen hereinfallen und fragwürdige Inhalte weniger teilen oder weiterleiten. Medienkompetenz mit einem Schwerpunkt auf manipulative Techniken und Quellenkunde sollte nach Ansicht des Kommunikationswissenschaftlers Philipp Müller fest in schulischen Lehrplänen verankert und über mehrere Schuljahre hinweg immer wieder thematisiert werden. „Im Zeitalter der Digitalisierung halte ich dies sogar für dringend angezeigt.“ Das bedeutet: Mehr als eine Nachrichtenquelle nutzen, die Glaubwürdigkeit der Quelle prüfen, Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt checken.
Das Problem: Wer macht sich diese Mühe, wenn die Falschinformation plausibel erscheint und prima ins eigene Weltbild passt? Nicole Krämer mahnt: Das ständige Warnen vor Falschinformationen könne dazu führen, „dass das Vertrauen in jegliche Information schwindet, dass selbst gebildete Rezipient:innen sich nicht mehr zutrauen, zwischen wahren und falschen Informationen zu unterscheiden“. So kann der permanente Fake-News-Alarm am Ende selbst dazu beitragen, das Vertrauen der Menschen in Medien und Demokratie zu zerstören.
Online-Plattformen in die Pflicht nehmen:
Online-Plattformen sollten Falschnachrichten mit Warnhinweisen versehen, um Nutzer und Nutzerinnen davon abzuhalten, diese weiterzuleiten, fordern Experten. Solche Hinweise könnten Nutzer stutzig machen und sie dazu motivieren, die Nachricht zu überprüfen. Plattformen könnten zudem Accounts löschen, die regelmäßig Falschnachrichte verbreiten. Sabrina Heike Kessler schlägt eine Art Frühwarnsystem und Selbstregulierung der Online-Plattformen „im Sinne des Allgemeinwohls, der Demokratie und der Meinungsfreiheit“ vor. Zugleich müsse der professionelle Journalismus gestärkt werden, denn Journalisten seien meist die ersten, die verbreitete Desinformation erkennen und öffentlich widerlegen könnten.
Das Problem: Wie will man Online-Plattformen zur Einrichtung solcher Vorsichtsmaßnahmen bewegen? Ihr Geschäftsmodell beruht gerade darauf, möglichst viele Menschen möglichst lange auf ihren Portalen zu halten, um die Werbeeinnahmen zu erhöhen. Dies gelingt am ehesten mit kontroversen und emotionalen Themen. Zudem wecken politische Regulierungen leicht den Verdacht, zensierend in die digitale Kommunikation eingreifen zu wollen.
Fazit:
Es ist unmöglich, die Verbreitung von Desinformation zu verhindern, vor allem in Zeiten von Konflikten, Kriegen und Wahlen. Daher kommt es am Ende auf jeden Einzelnen an, wie er mit der Informationsflut umgeht. Die wichtigste Hilfe im Kampf gegen Fake News liegt womöglich nicht allein darin, das Mediensystem strenger zu regulieren und etwa Plattformen und Accounts zu kontrollieren. Trotz aller angebrachten Wachsamkeit ist mehr nötig als Alarm, Aufklärung und politische Regulierung.
Die Kluft in der Gesellschaft macht es den Manipulateuren und Internettrollen leicht, ihre spaltenden Falschnachrichten zu verbreiten und die politische und soziale Fragmentierung zu vergrößern. „Die wirksamste Maßnahme gegen Desinformation dürfte die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch geeignete politische Maßnahmen darstellen“, schlussfolgert Medienexperte Philipp Müller. Es geht daher im Grunde nicht nur um Künstliche Intelligenz, ChatGPT, Facebook und Co, sondern um demokratische Werte, um Bildung, Kultur und sozialen Zusammenhalt. Das ist die Herausforderung, vor die uns die digitale Welt stellt.
Fünf Tipps:
Prof. Hendrik Heuer vom Bochumer Center für Advanced Internet Studies (CAIS) hat mit Elena L. Glassmann von der Harvard University untersucht, wie Bürger und Bürgerinnen die Glaubwürdigkeit von Nachrichtenseiten im Internet effektiv beurteilen können. Diese fünf Fragen sollte sich demnach jede Nutzerin und jeder Nutzer stellen:
- Inhalte: Verbreitet eine Webseite Inhalte, die bekanntermaßen problematisch sind, zum Beispiel rechtsextreme Verschwörungstheorien? Stellt eine Webseite nur eine Seite eines Themas dar?
- Politische Positionierung: Hebt eine Webseite nur bestimmte politische Akteure oder Ideen hervor? Wer teilt die Inhalte der Webseite in den sozialen Medien?
- Autoren und Autorinnen: Wer sind die Verfasser der Nachrichtenwebseite? Das kann durch Suchmaschinen überprüft werden. Sind die Autoren und Autorinnen für die journalistische Arbeit qualifiziert?
- Professionelle Standards: Trennt die Webseite klar zwischen Meinungen und Fakten? Werden verschiedene Seiten einer Geschichte präsentiert? Dazu kann man sich zum Beispiel an einem Thema orientieren, mit dem man vertraut ist.
Quellenangaben: Liefert die Webseite Quellenangaben? Werden Quellen richtig wiedergegeben? Das kann leicht anhand von Statistiken überprüft werden.