Wird unsere Jugend das „bedrohte Projekt Europa“ retten? Das ist eine der vielen Fragen, die bei der Europawahl beantwortet werden, bei der erstmals in Deutschland auch 16-Jährige ihre Stimme abgeben dürfen. Mit um die 90 Prozent betrachtet sich eine große Mehrheit der Schülerinnen und Schüler als zugehörig zu Europa, so die repräsentative Untersuchung „International Civic and Citizen Education Study (ICCS)“ zur politischen Einstellung der europäischen Jugend. Das wirkt nur auf den ersten Blick beruhigend, denn es gibt andere Umfragen, die aufhorchen lassen. Laut einer Trendstudie des Jugendforschers Simon Schnetzer gibt es kein so uneingeschränktes Bekenntnis zu Europa. Nur knapp zwei Drittel der Befragten aus der Altersgruppe der Erstwähler bewerten die Aussage „Deutschland wäre ohne die EU besser dran“ mit „stimme eher nicht zu“ bzw. „stimme überhaupt nicht zu“. Eher euroskeptische Ergebnisse liefert auch die ICCS-Studie, wenn genauer nachgefragt wird: 64 Prozent (der NRW-Schüler) glauben, Armut und Arbeitslosigkeit werde EU-weit in den nächsten 10 Jahren steigen. Für 73 Prozent dauert die Umsetzung politischer Entscheidungen der EU zu lange. Und nur 36 Prozent glauben, es werde in 10 Jahren überall in Europa Frieden geben. Und welcher Partei stehen die Erstwähler nahe? Aufschluss liefert die Studie „Jugend in Deutschland 2024“ (aus 2/24), auch wenn sie sich auf eine Bundestagswahl bezieht. Fast gleichauf liegen dabei CDU/CSU (12,6 %) und Grüne (12,5 %), schon dicht dahinter folgt die AfD mit 11,7 % und eine SPD mit nur 7,6 %. Es kann wohl nicht ausgeschlossen werden, dass ein erheblicher Teil der Protestwähler zur AfD weiterzieht. Ob wir nach der Europawahl auch von einem Rechtsruck in der sog. „Generation Z“ sprechen werden? 4,8 Millionen junge Deutsche zwischen 16 und 22 Jahren können am 9. Juni erstmals ihre Stimme für oder gegen Europa abgeben. Werden sie sich der Tragweite ihrer Entscheidung bewusst sein?
Demoskopen sehen in vielen EU-Ländern Zuwächse bei den Rechtsaußen-fraktionen im Europäischen Parlament, sie werden mindestens 30 Abgeordnete mehr als bisher stellen. Noch hält die Mitte, aber sie könnte auf 400 von 720 Sitzen schrumpfen. Das bedeutet, es wird schwieriger, demokratische Mehrheiten im EP zu finden, das fest vereinbarte Koalitionen nicht kennt. Das gegenseitige Erpressungspotential wächst. Das nächste Europaparlament steht vor einer gewaltigen Bewährungsprobe, nationalistische Töne drohen lauter zu werden. Es ist bisher nicht gelungen, die Fehler im System zu beseitigen, die eine Reform der europäischen Demokratie verhindern. Ein Beispiel ist die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Liste für einen Teil der Parlamentssitze, die Macron bereits 2017 angeregt hatte. Damit hätte der Einfluss nationaler Parteien (z. B schon bei der EP-Kandidatenaufstellung) reduziert werden können. So sollte ein wirklich europäischer Wahlkampf entstehen, eine Debatte über drängende EU-Themen. Macrons Staatsbesuch wenige Tage vor der Wahl kann diesen Meinungsaustausch jedenfalls nicht ersetzen. Fatal, dass uns dann ausgerechnet Putins Angriffskrieg eine gemeinsame europäische Debatte aufgezwungen hat. Die Frage, welche Anstrengungen unternehmen wir, um unsere Freiheit zu verteidigen, beschäftigt inzwischen alle europäischen Völker und sie wird auch bei den Europawahlen eine entscheidende Rolle spielen, vor allem bei den Erstwählern.
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