Selten war der kapitalistische Grundsatz von Angebot und Nachfrage so plausibel nachvollziehbar wie derzeit am Mittelmeer. Die Dislozierung der millionenfachen Menschenfracht, der kein ausreichendes Angebot an Schiffen gegenübersteht, treibt die Fahrpreise in ungeahnte Höhen. Da die todesmutigen Passagiere vor der Fahrt ins Blaue die Passage bezahlen müssen, kommt das zweite Grundmuster des Kapitalismus ins Spiel: Einer wird gewinnen. Kapitalismus pur.
Längst erreichen die dabei erzielten Gewinne nicht die Gewinne und Verluste der Deutschen Bank, die gerade über 2,5 Milliarden Dollar Strafe an die USA zahlen muss, weil ihr als umsatzstärkste kriminelle Vereinigung Deutschlands Zinsmanipulationen nachgewiesen wurden. Die Zahl ihrer Betrugsopfer auf den Finanzmärkten übertrifft lässig die Todesrate am Mittelmeer, die jetzt die Regierungschefs der EU-Staaten zu einer Sondersitzung vereinte. Die Bank dürfte ein Vielfaches in Dollar und Cent eingesammelt haben, was nun als Strafe fällig wird. Ob es bei Bankkunden Todesopfer gab, ist nicht bekannt, kann aber vermutet werden.
Dass uns derzeit das Massengrab Mittelmeer und die Deutsche Bank gleichzeitig beschäftigen, beschwert auch deshalb, weil es zeigt, wie durchgängig zynisch gegenwärtig das Management in Politik und Finanzwelt mit dem hoch gelobten Wertekanon des Westens umzugehen versteht. Moral und Menschenrechte sind brauchbar im Kampf der Worte, mit denen wir uns gegenüber anderen erheben, seien sie in Moskau, Peking oder Pjöngjang zuhause, unser Dasein sollte er allerdings nicht sonderlich beschweren.
Beispiel Brüssel: Der Zehnpunkteplan des EU-Rates sieht wesentlich eine weitere Dezimierung des Frachtangebots in libyschen Häfen vor. Das beliebte Spiel heißt: Schiffe versenken. Nicht vorgesehen eine Ausweitung der 30-Meilenzone, in der sich künftig mehr Kriegsschiffe versammeln sollen, deren Personal dann zu Rettungsaktionen in libysche Küstennähe auslaufen soll. Also alles bleibt wie gehabt. Der deutsche Innenminister de Maiziere muss sich nicht dementieren. Seine Warnung, durch übertriebene Rettungsaktionen keine Brücke für Flüchtlinge zu bauen, um nach Europa zu kommen, gilt weiter und wird Pegida zur Freude gereichen und jeden mitleidsfähigen Menschen das Blut in den Adern gefrieren lassen.
Der britische Premier Cameron, der alsbald Wahlen zu bestehen hat, machte deutlich, was manchen Regierungschef antreibt. Er rief in die Fernsehkameras der britischen Journalisten, dass seinetwegen mehr Flüchtlinge gerettet werden könnten, aber nur, wenn keiner zusätzlich nach Großbritannien kommt. Ein Schlüsselerlebnis, warum es den Regierungschefs nach Auskunft von Frau Merkel nicht gelingen wollte, an einem Verteilungsschlüssel für die EU-Mitgliedsländer zu feilen, der die Tür nach Europa weiter öffnen könnte.
Bildquelle: „Syrians and Iraq refugees arrive at Skala Sykamias Lesbos Greece“ by Ggia is licensed under CC BY-SA 4.0