Niemals zuvor in den Jahrzehnten seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges war der Graben zwischen den USA und Europa tiefer als zur Zeit. Der amerikanische Präsident Donald Trump zerstört das transatlantische Verhältnis mit immer neuen Eskapaden. Er setzt auf eine nationale Politik, die seinen Wählern in vielen Staaten der USA gefallen soll. Den Partnern und Verbündeten von einst stößt er garstig vor den Kopf; einige schiebt er brachial von der gemeinsamen Bühne der Weltpolitik.
Gestörtes transatlantisches Verhältnis
Kalte Duschen verpasste Trump jüngst seinen Partnern in der NATO und beim G7-Gipfel. Die meisten standen wie begossene Pudel da, obwohl der Parvenu aus Washington schon vor seinem Einzug in das Weiße Haus landauf, landab sein „America first“ verkündet hatte. Jetzt im Amt ist er mehr als unberechenbar geworden. Damit gefährdet er die geopolitische Stabilität und Sicherheit. Und das in einer Zeit, in der die Kriege, Krisen und Konflikte unübersehbar sind und deren Lösung nach Einigkeit der transatlantischen Partner geradezu schreit.
Nahezu alle Staats- und Regierungschefs haben es bei ihren Treffen mit Donald Trump versucht, wahrlich mit Engelszungen auf ihn einzureden und ihn auf einen gemeinsamen Kurs der Vernunft zu bewegen. Doch angesichts seines allzu simplen Weltbildes und seiner amerikanischen Cowboy-Mentalität waren mit ihm keine echten Deals zu machen. Mit seiner Twitter-Methode desavouiert er andere Politiker, Experten und Medien. Ob solche Trump-Attacken für ihn die beste Verteidigung sind, muss bezweifelt werden. Denn daheim in den USA braut sich einiges gegen den Präsidenten, seine Familie und Getreuen aus dem Trump-Tower zusammen. Ob das alles zu einem Impeachment-Verfahren und damit zu einem vorzeitigen Ende der Präsidentschaft Trumps führen wird, das mögen viele hoffen, doch ist das unsicher und wird auf jeden Fall noch lange dauern. Und niemand weiß, was von einem möglichen Nachfolger im Weißen Haus zu erwarten wäre.
EU-Sklerose beenden!
Europa ist gefordert. Da genügt es nicht, wenn die Bundeskanzlerin Zweifel an der Zuverlässigkeit der USA äußert. Richtig ist jedoch ihre Forderung, dass „wir Europäer jetzt unser Schicksal selbst in die Hand nehmen müssen“. Allerdings befindet sich die EU seit Jahren nicht gerade in Top-Form. Viel zu lange und intensiv ging es um die Bewältigung interner Krisen. Die Stabilisierung des Euro-Systems hat zwar Fortschritte gemacht, doch das Schuldenproblem Griechenlands längst noch nicht endgültig gelöst. Die Brexit-Entscheidung traf die EU wie ein Keulenschlag. Die notwendigen Verhandlungen mit Großbritannien werden gewiss schwierig, zumal klar ist, dass den Briten keine Rosinenpickerei gewährt und von ihnen hohe Milliarden-Beträge für den EU-Austritt gefordert werden. Zudem zeigen die meisten Staaten Europas nach wie vor die größtmögliche Unsolidarität bei der gemeinsamen Lösung der Flüchtlingsprobleme. Schließlich werden in einigen EU-Mitgliedsstaaten Tendenzen zu einer Renationalisierung deutlich – vor allem in Polen und Ungarn.
Neue Chancen mit Frankreich
In Frankreich konnte mit der Wahl von Emmanuel Macron zum Staatspräsidenten die rechtsradikale Front Nationale noch einmal abgewehrt werden. Doch schon Anfang Juni wird sich bei den Wahlen zur Nationalversammlung zeigen, ob eine handlungsfähige Mehrheit im Parlament den außerordentlich europafreudigen Kurs von Macron in den nächsten Jahren unterstützen wird. Der Präsident braucht dringend Erfolge, sonst wird das Damoklesschwert von Marie Le Pen weiter über Frankreich und Europa schweben.
Frankreichs neuer Präsident hat bei seinem Einzug in den Elysée-Palast die Europa-Hymne intonieren lassen und damit ein mehr als deutliches Signal gesetzt – vor allem in Richtung Berlin. Die deutsch-französische Partnerschaft könnte nun von dem Duo Merkel/Macron neu belebt werden und kräftige Impulse für die Stärkung der EU auslösen – wie einst von Adenauer/de Gaulle und Mitterrand/Kohl. Die Zeit des Zögerns und Zauderns sollte von der Bundesregierung sofort beendet werden. Mit manchen Bedenken und einer Politik des kleinen Karos wird die Achse Berlin-Paris nicht in Schwung zu bringen sein. Angela Merkel ist deshalb gefordert, gemeinsam mit Präsident Macron neue Perspektiven für die EU zu entwerfen und zu realisieren. Die wirtschaftliche Stärke Deutschlands ist dabei ein starkes Pfund, um zum einen auch Frankreich nach vorne zu bringen, zum anderen gemeinsam mit den französischen Freunden die europäische Sklerose zu überwinden.
Ein starkes Kern-Europa formieren!
Dabei ist durchaus denkbar, dass sich einige EU-Staaten zu einem Kerneuropa formieren, das angesichts der großen globalen Herausforderungen auf einen mutigen Vorwärtskurs ausgerichtet wird. Denn die Probleme der inneren und äußeren Sicherheit, der Bekämpfung des Terrorismus, der Wirtschafts- und Währungspolitik, der Digitalisierung und der Renationalisierung lassen sich nur von einer starken europäischen Gemeinschaft lösen. Eine solche Kerngruppe von EU-Staaten wäre auch stark genug, dem US-Präsidenten Donald Trump Contra zu geben, mit der Volksrepublik China politisch und wirtschaftlich ein neues Kapitel der Kooperation zu beginnen und auch die Beziehungen zu Russlands Präsident Putin zu verbessern. Europa first: Nur so ist die Zukunft unseres Kontinents erfolgreich zu gestalten – in Frieden, Freiheit und Wohlstand. Kuschen vor Trump, nationaler Chauvinismus und Angst um die eigenen Pfründe würden mit Sicherheit alle Europäer zu Verlierern machen.
Nur wenn Europa nach außen geschlossen auftreten und mit einer Stimme sprechen wird, kann es eine mitbestimmende Rolle in der Weltpolitik spielen. Wer auch immer in Zukunft Präsident der USA sein mag, ein starkes Europa würde ihm Respekt abverlangen und als Partner auf Augenhöhe begegnen. Das transatlantische Verhältnis muss dringend neu justiert werden – mit einem new deal von Amerika und Europa. Die USA werden auch in Zukunft ein wichtiger Partner Europas bleiben, aber eben mit Trump als Präsident ein unzuverlässiger. Das gemeinsame politische Porzellan ist leider weitgehend zerbrochen. Deshalb sollten die Europäer auf Neues setzen anstatt nun mühsam zu versuchen, die Scherben zusammenzukleben.
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