Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen so geht, wenn man die letzten Jahre im Weltgeschehen so Revue passieren lässt. Wir in Deutschland und wohl auch in anderen Teilen Europas fühlten uns in alten Gewissheiten gestört und verunsichert. Trump stellte die alte Liebe zu uns in Frage, weil die Investitionen in die Beziehungen zu Europa nicht genug Rendite abwarfen. Liebe in der Politik war und ist für ihn nur mit der Währung Dollar messbar. Ich stelle mir öfter die Frage, wie es wohl weiter gegangen wäre, wenn Europa nach einem erneuten Wahlsieg von Trump plötzlich „allein zu Hause“ gewesen wäre. Dies ist uns knapp noch ein Mal erspart geblieben. Haben die verantwortlichen Politiker in unserem Kontinent daraus gelernt und die nötigen Konsequenzen gezogen oder geht alles wieder nach kurzem Schrecken weiter wie bisher? Wir in Europa waren unfähig, die Bedrohung durch Russlands Imperialismus an dem Einfallstor Ukraine allein abzuwehren. Der amerikanische Präsident Biden, für den Europa immer noch mehr ist als ein Feld für das Geld verdienen, hat Geld und Waffen geschickt, um einen Dammbruch zu verhindern.
Die unschöne Wahrheit ist: Europa war bis heute nach dem 2. Weltkrieg niemals Partner sondern nur Anhängsel am langen Arm der USA. Statt sich um eine Weiterentwicklung der Beziehungen hin zu einer wirklichen und dauerhaften Partnerschaft, die unabhängig von den jeweils amtierenden Präsidenten ist, zu bemühen, schwelgt man hier zu Lande und besonders in Frankreich in der Vorstellung von einem politisch unabhängigen Superstaat Europa. Mir persönlich fehlt die Vorstellungskraft, dieser Vision auch nur einen Hauch von Realitätsnähe beizumessen. Wer alt genug ist, die würgende Abfolge der Verhandlungen seit Gründung der EWG durch die sechs Staaten der ersten Stunde aus eigener Erinnerung nach zu vollziehen, wird sich die Frage stellen, in welchem künftigen Jahrhundert der Eisprung für einen Staat Europa erfolgen könnte. Die Vielfalt der Kulturen, Sprachen und Interessen in unserem alten Kontinent lässt sich eben nicht so leicht nivellieren.
Europa ist in seiner derzeitigen und für die mittlere Zukunft absehbar allein niemals in der Lage, ein Gegengewicht zu der neuen Allianz aus Russland und China zu bilden. Und die USA sind von ihrer Wirtschaftskraft und der Dynamik einer möglichen Entwicklung ebenfalls nicht fähig, die Bipolarität als Ordnungsmacht in der Welt auf Dauer aufrecht zu erhalten. Europa und die USA und in deren Gefolge die Staaten Mittel- und Südamerikas haben nur dann eine Chance auf Erhalt der Unabhängigkeit von anderen weltpolitischen Entwicklungen, in die auch Indien eingreifen wird, wenn sie ihre Interessen ordnen und dauerhaft bindende zwischenstaatliche Vereinbarungen treffen. Daraus folgt: Partnerschaft zu den USA aufbauen statt von einer europäischen Großmacht zu träumen.