“Der Tagesspiegel“ ist ohne Zweifel eine seriöse, durchaus lesenswerte Zeitung. Die verkaufte Auflage ist zwar seit 1998 um mehr als 15 % zurückgegangen; doch mit gut 111.000 Exemplaren liegt das Blatt neben der Berliner Zeitung noch gut im Rennen.
Eine echte große Hauptstadt-Zeitung hat sich nach der Wiedervereinigung Deutschlands und mit dem Zusammenwachsen Berlins bislang nicht entwickelt.
Mit den Herausgebern Giovanni di Lorenzo und Sebastian Turner sowie mit den Chefredakteuren Stephan-Andreas Casdorff und Lorenz Maroldt präsentiert sich “Der Tagesspiegel“ durchaus prominent in dem Verlag Dieter Holtzbrinck Medien GmbH.
Dennoch wird dieses gut gemachte Blatt vornehmlich im Westteil Berlins gelesen, findet in anderen Regionen der Republik jedoch kaum Leser. Das soll sich offenbar ändern und zwar mit einer Agenda 2016-Konferenz, die als “Der deutsche Politik-Gipfel für Ende November dieses Jahres angekündigt und beworben wird. Antworten auf die wichtigsten politischen Fragen sollen die Teilnehmer dieser Zeitungsveranstaltung von den Machern aus Politik, Verbänden, Wirtschaft und Medien erhalten, auch von Think Tanks, NGO’s und aus der Wissenschaft. Das Themenspektrum reicht von Energie und Umwelt, Wirtschaft und Freihandel bis hin zur Agenda Digital und Flucht wie Soziales.
Für die Eröffnung dieses Events kündigt “Der Tagesspiegel“ immerhin Sigmar Gabriel, den Vize-Kanzler und Bundeswirtschaftsminister, an, für die Abschluss-Keynote Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit. In Kurzreferaten sollen “Topvertreter wichtiger Stakeholder“ ihre Gipfel-Vorschläge machen, die danach von “Politischen Entscheidern“ bewertet werden. Bei den von der Zeitung angepriesenen Stakeholdern handelt es sich vor allem um Funktionäre aus Verbänden, BUND, WWF oder von UNICEF. Das lässt sich durchaus sehen, wenn auch in diesem Reigen weniger Macher und Manager, sondern insbesondere Lobbyisten auftreten werden.
Etwas dick aufgetragen hat offenbar “Der Tagesspiegel“ bei den Politik-Entscheidern, die den Kurs für 2016 bestimmen sollen. Aus dem Bundesumwelt- und Bauministerium wurde dafür der beamtete Staatssekretär Flasbarth gewonnen, aus den Regierungsfraktionen die Abgeordneten Fuchs (CDU), Jarzombek (CDU) und Franke (SPD). Die Opposition aus dem Bundestag wird gleichermaßen vertreten sein – allen voran die neue Linke-Fraktionsvorsitzende, Sarah Wagenknecht. Welche wichtigen Weichen sie oder ihre Oppositionskollegen schicksalhaft für 2016 stellen, welche bedeutenden Entscheidungen für unsere Republik von ihnen getroffen werden, das wird wohl erst von den Zeitungs- und Event-Machern des Blattes “Der Tagesspiegel“ am 30. November 2015 aufgeklärt werden müssen. Vielleicht werden dabei auch die Unterstützer der Agenda 2016-Veranstaltung helfen, die SNPC GmbH und der BPI: SNPC ist nämlich ein Berliner Beratungsunternehmen, fokussiert “auf Märkte der Daseinsvorsorge und Energiewirtschaft“; beim BPI handelt es sich um den Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie. Honi soit qui mal y pense – ein Schelm, wer Böses dabei denkt, so steht es auf dem berühmten Hosenbandorden. Das mag doch auch für die Agenda 2016 vom “Tagesspiegel“ gelten.
Bildquelle: Wikipedia, Conny, CC BY-SA 3.0: Motto am Tagesspiegel Gebäude: Rerum cognoscere causas – Die Ursachen der Dinge erkennen
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