„Sittenwidrig“, „arglistig“, das BGH-Urteil gegen VW ist messerscharf. „Bewusst“ nennen die Richter des obersten deutschen Gerichts das skandalöse Verhalten der Manager des Wolfsburger Konzerns. Ob sie sich schämen, Autos mit manipulierten Abgassystemen gebaut und verkauft zu haben? Um mehr Gewinne zu machen? Ob sich irgendeiner aus der damaligen Führung des Konzerns oder aus der heutigen Chefetage schämt ob des Betrugs, den sie begangen haben, in voller Absicht, wie der BGH gesprochen hat?
VW, das war mal was für deutsche Autofahrer. Ein Volkswagen, ein Käfer. Ich erinnere mich an meine eigenen Anfänge als Autofahrer, an den ersten Käfer, den ich damals fuhr, Mitte der 60er Jahre. Ich war Student, arbeitete in den Ferien auf dem Bau, um das nötige Geld für den Führerschein zu verdienen. Und später schrieb ich für die Lokal-Redaktion der WAZ im Ostvest, also Datteln, Oer-Erkenschwick und Waltrop. Und dann kaufte ich mir bei einem Gebrauchtwagenhändler in Recklinghausen einen VW Baujahr 1953, Standard hieß die Ausführung, satte 23 PS, die den Wagen, wenn es bergab ging, schon mal auf stolze 120 km/h sausen ließen. Mausgrau war die Farbe, die Stoßstange hieß nicht nur so, sie hielt auch manchen Stoß aus. Der Wagen hatte ein kleines Fenster hinten, die Heizungsklappen waren nicht mehr ganz in Ordnung, im Winter wurden sie mit einem Stück Holz zugeklemmt, damit es warm war im Innern.
Schöne Erinnerungen an mein erstes Auto, den Käfer, der billig war auch im Unterhalt. Und weil der Anlasser nicht immer so funktionierte, wie er sollte, musste ich den Wagen gelegentlich anschieben. Das ging, mit geöffneter Tür brachte icn das Fahrzeug zum Rollen, sprang rein, trat auf das Kupplungspedal, legte den zweiten Gang ein und schon fuhr ich los.
Filmreif, das war der Käfer
VW, der Käfer, das war mal was. Filmreif, genau, wer hat den Streifen nicht gesehen und sich köstlich darüber amüsiert. Heute fahre ich einen Tiguan, ein kleiner SUV, bequem zum Ein- und Aussteigen, weil man höher sitzt, schön zu fahren. Ich will auch gern betonen, dass mich die Werkstätte der Firma in Bonn gut behandelt, man ist freundlich dort zu den Kunden, wie man das eigentlich wünscht. Aber dass der so genannte Weltkonzern Volkswagen seine Kunden betrog und dabei eine Verschmutzung der Umwelt in Kauf nahm, hätte ich mir nicht vorstellen können. Ich hätte es mir auch nicht voerstellen können, wie die Chefetage von VW sich damals nach den Urteilen in den USA gegenüber den deutschen Kunden verhalten hatte? Dass sie in Amerika Milliarden an Entschädigungen zahlen mussten, aber dass sie sich stur stellten in der Heimat, das hätte ich nicht gedacht. Vielleicht weil ich zu naiv war wie viele meiner Freunde, die mit VW groß geworden waren und jetzt erleben müssen, wie abgehoben die Millionäre aus Wolfsburg sich aufführen.
Winterkorn, der einst mächtige Chef von VW, der sich als besten Schrauber der Firma feierte, will sagen, der jede Mutter, jede Schraube, jedes Plättchen, das in einen Volkswagen eingebaut wurde, persönlich kannte. Aber dann von den Manipulationen nichts gewusst haben wollte? Wie billig war das denn. Er entschuldigte sich, ging nach Hause, wie hoch seine Abfindung war, interessiert mich schon nicht mehr, auch nicht die Höhe seiner Betriebsrente, die später veröffentlicht wurde. Zum Kotzen fand ich das und finde ich das noch immer.
Das jetzige Urteil betrifft die Ansprüche eines kleinen Rentners aus Rheinland-Pfalz, der den Mut hatte, gegen den Riesen aus Wolfsburg vor Gericht zu ziehen, um Recht zu bekommen. Ich bin froh, dass der kleine Mann Recht bekommen hat und dass die Mächtigen von VW verloren haben. Das Urteil wird Konsequenzen für 60000 weitere Fälle haben. Vor fünf Jahren war VW in den USA mit Abschalteinrichtungen im Abgassystem von Dieselfahrzeugen aufgeflogen, später stellte sich heraus, dass auch andere Auto-Konzerne derartige Betrügereien-darf man nach dem Urteil des BGH sagen- begangen hatten. Nochmal zur Vertiefung des Falls: Im Normalbetrieb auf den Straßen stießen die Diesel-Autos wesentlich mehr Abgase aus als auf dem Prüfstand beim TÜV. Die Folge in den USA waren Urteile mit hohen Abfindungen, ähnliche Regelungen in Deutschland verweigerte der Konzern. Wohl in der Annahme, daheim sei ihr Einfluss noch so groß, dass niemand sich trauen werde, gegen den milliardenschweren Konzern mit seinen einflussreichen Rechtsabteilungen zu klagen. Deshalb zogen hunderttausende Käufer von VW-Fahrzeugen vor Gericht, in einer Musterfeststellungsklage klagte dann die Verbraucherzentrale Bundesverband im Namen von 235000 Volkswagen-Kunden auf Entschädigung. Es kam zu einem Vergleich, der den Betrugsopfern bescheidene Beträge zwischen 1350 und 6257 Euro an Schadenersatz brachte.
Der Fisch stinkt vom Kopf
Das jetzige Urteil des BGH wird teurer werden für VW. Wolfsburg muss den Kaufpreis erstatten, darf aber die in der Zwischenzeit entstandene Abnutzung durch gefahrene Kilometer abziehen. Man wird beobachten müssen, wie der Konzern sich dabei verhält. Ob er erneut in die Trickkiste greift, oder ob er den Kunden Angebote macht, die sie nicht ablehnen können. Nochmal: VW steht im Schaufenster, aber dieses Mal auf der Anklagebank, sie sind nicht mehr der Blickfang, der früher den Kunden beim Anblick der leuchtenden Karossen die Augen übergehen ließ. Es macht sich nicht gut, wenn man beim Bund wegen der Corona-Flaute um milliardenschwere Hilfen bittet und bettelt, wenn von Lobbyisten um Kaufprämien geworben wird, und man gleichzeitig versuchen würde, die eigenen Kunden über den Tisch zu ziehen. VW ist in einer Bringschuld.
Das Urteil trifft den Konzern, die Milliarden an Entschädigungen werden aber nicht das Einzige sein. Der Ruf von VW ist mehr als angeschlagen, der Ruf von VW und seiner Tochterfirmen gerade auch gegenüber den Kunden, die mehr als verunsichert und misstrauisch sind gegenüber der Auto-Industrie. Die Zeiten dürften vorbei sein, da sie mit ihrer mächtigen Lobby in der Politik vieles, wenn nicht alles durchsetzen konnten, was ihnen und ihren Aktien gefiel. Einen Auto-Kanzler gibt es nicht mehr. Und das ist gut so. Er fährt und fährt und fährt, das Motto ist verbraucht. Der Fisch stinkt vom Kopf. Das hat das BGH-Urteil bestätigt, indem es feststellte, es gebe „hinreichende Anhaltspunkte für Kenntnis des Vorstandes“. Was denn sonst?! Der Gärtner kann es nicht gewesen sein. VW muss liefern, schnell.
Bildquelle: Screenshot aus VW: The Dark Side, Clip von Greenpeace