Der Zusammenbruch der Sowjetunion war für Russlands Präsidenten Wladimir Putin die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Auch wenn wir das anders sehen und die Auflösung der UdSSR Millionen Menschen mehr Freiheiten gebracht hat, sollten wir Putins Satz und die damit verbundenen Gefühle nicht einfach ignorieren. Der 26. Dezember 1991(am Tag zuvor war im Kreml die sowjetische Flagge eingezogen worden), das offizielle Datum des Endes der Sowjetunion, einer kommunistischen Union, die immerhin 70 Jahre Bestand hatte, ist für Putin eine „Tragödie“. Und seit der Annexion der Halbinsel Krim durch Moskau, die KP-Chef Nikita Chruschtschow Kiew aus einer Laune heraus 1954 quasi geschenkt hatte, wird Putin vom Westen verdächtigt, die einstige Sowjetunion wieder errichten zu wollen. Und die Ukraine ist in größter Sorge vor einem Einmarsch russischer Truppen in ihr Land.
Angst vor Putin? Oder hat Putin Angst vor dem Westen, einer Nato, die im Falle einer Mitgliedschaft Kiews ihren Einzugsbereich um 1000 Kilometer weiter östlich ausdehnen und damit eine gemeinsame Grenze mit Russland hätte? Ist es berechtigt, dass sich Putin isoliert, bedrängt fühlt? Putin, so formulierte es der schwedische Außenpolitiker und Diplomat Carl Bildt, müsse befürchten, als jener russische Anführer in die Geschichte einzugehen, „der die Ukraine verloren hat“. Im Vergleich dazu könne, so Bildt, der Zusammenbruch der Sowjetunion „letztlich weniger wichtig aussehen“. Ob Putin eine militärische Invasion in die Ukraine plane, schloss Bildt, der früher auch als Hoher UN-Repräsentant für Bosnien und Herzegowina tätig war, nicht aus. Bildt attestierte Putin ein völliges Scheitern in der Politik gegenüber der Ukraine. Es sei ihm nicht gelungen, das EU-Freihandelsabkommen zu verhindern, er habe es auch geschafft, durch sein Verhalten den Nachbarn, der Russland früher durchaus freundlich gesonnen gewesen wäre, in ein „Land zu verwandeln, das Russland als gefährlich und feindselig wahrnimmt.“
Auf Basis stiller Diplomatie
Waffenklirren auf allen Seiten. Nicht nur Putin schlägt laute, sehr laute Töne an, auch der Westen reagiert mit dröhnender Stimme. Putins Truppen an den Grenzen zur Ukraine werden als Bedrohung wahrgenommen, die Manöver der Nato in Polen und den baltischen Staaten sind die Antwort. Man kennt das aus der Zeit des Kalten Krieges, wo sich waffenstarrende Systeme gegenüberstanden, die sich gegenseitig hätten vernichten können. Niemand hätte gewonnen, höchstens hätte der, der als Zweiter auf den nuklearen Knopf gedrückt hätte, ein paar Minuten länger gelebt, aber er hätte nicht überlebt. Ich halte das für sinnlose Muskelspiele, die nur Geld kosten, aber nichts bringen. Das hat der Westen doch gar nicht nötig. Und ein Krieg muss mit allen Mitteln verhindert werden, weil er tötet, zerstört, Hass sät. Was für seinen Sinn hat so eine Strategie?!
Die Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr sah anders aus, verlief auf der Basis stiller Diplomatie. Nach der Devise des SPD-Kanzlers Brandt wurde geredet und geredet, „weil, solange geredet wird, wird nicht geschossen“. So hat es Brandt mal gesagt. Man versuchte sich in die Lage seines Gegenüber zu versetzen. Das Motto lautete: Man ist selber nur dann sicher, wenn der andere sich auch sicher fühlt. Was mit Vertrauen zu tun hat, mit Glaubwürdigkeit. Ich weiß, es gab den Nato-Doppelbeschluss. Und einige sind der Meinung, damit habe man letztlich die UdSSR tot gerüstet. Mag sein, es war eine andere Zeit.
Der frühere sowjetische KP-Chef Michail Gorbatschow, dem wir die deutsche Einheit verdanken, ohne dass ein Schuss fiel, antwortete mal auf eine Frage von Willy Brandt, was er sich denn wünsche vom Westen. „Mehr Verständnis“, äußerte Gorbatschow. Der heute enttäuscht ist vom Westen, weil er sich hinters Licht geführt sieht. Ob zu Recht oder Unrecht, weiß ich nicht. Jedenfalls darf man neben Verträgen darauf hinweisen, dass es auch immer den Geist von Gesprächen und Verhandlungen gibt und ihn damals gab. Und dieser Geist enthielt eben nicht die Nato-Erweiterung im Osten, wie sie dann stattfand. Sondern es gab Äußerungen von führenden Politikern des Westens, die Nato werde sich um keinen Zentimeter nach Osten ausdehnen. Die Realität danach sah anders aus, Polen, Tschechien usw sind längst Nato-Mitglieder, die Ukraine will es werden.
Genscher riet: Auf Putin zugehen
Ich erinnere mich noch an Äußerungen des langjährigen deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher, der einige Wochen vor seinem Tod(2016) den Westen und seine führenden Politiker aufforderte, auf Putin zuzugehen und ihm die Hand zu reichen. Diese demütige Haltung aus einer Position der Stärke, in der sich der Westen gegenüber Russland befindet, wäre angebracht, wäre ein Schritt in die Richtung, die Putin an den Verhandlungstisch zurückbringen könnte. Wir brauchen Russland, wir brauchen Putin, auch wenn wir ihn nicht lieben, er ist nun mal der Präsident. Wir sollten nicht auf die Idee kommen, eine Politik zu betreiben, die auf einen Regime change zielt. Niemand weiß, wo das endet und wer nach Putin kommt. Sanktionen bringen gar nichts, außer dass sie die Situation verhärten. Mit dem Ende von Nordstream-2 zu drohen, das wird Putin nicht imponieren. Zumal jeder weiß, dass das Nein der Amerikaner zu Nordstream-2 damit zu tun hat, dass sie selber ihr Gas an Deutschland verkaufen wollen. Und was die Zuverlässigkeit angeht: Man frage Eon-Ruhrgas, die Firma aus dem Ruhrgebiet, die als erste vor Jahrzehnten Geschäfte mit Russland machte, die Beteiligungen erwarb und deren Vorstände immer von der Verlässlichkeit ihrer russischen Geschäftspartner gesprochen hatten.
Aufschlussreich, was Wolfgang Ischinger, früher Staatssekretär im Auswärtigen Amt und in den 90er Jahren als Politischer Direktor des AA an den Gesprächen mit Russland beteiligt, bei denen es um die Neuordnung des Verhältnisses zwischen Berlin und Moskau ging, zu dieser Problematik in einem Gastbeitrag für die SZ kürzlich geschrieben hat. Für den Zerfall der UdSSR sei zwar auch Moskau verantwortlich, der einstige Diplomat macht in seinem Zeitungs-Beitrag auch der Nato schwere Vorwürfe. Und die hingen damit zusammen, dass auf dem Gipfel der westlichen Allianz 2008 in Bukarest, als die US- Regierung unter Präsident George W. Bush sowohl Georgien wie der Ukraine den Weg ins westliche Bündnis ebnen wollte. Und dabei offensichtlich nicht berücksicht hatte die Warn-Rede von Putin ein Jahr zuvor auf der Münchner Sicherheitskonferenz-dessen Vorsitzender Ischinger damals war-: Keinen Schritt weiter! Ischinger erinnert u.a. an den Nato-Russland-Rat, der als gemeinsames Krisenbewältigungszentrum genutzt werden müsse. „Angesichts der Erfolgsgeschichte deutscher Ostpolitik“ plädiert Ischinger dafür, „wenn die Bundesregierung auf ein entsprechendes Verhandlungsangebot des Bündnisses hinwirkt und begleitend bilaterale und multilaterale Gespräche mit Moskau initiiert, sowohl auf der Ebene des Bundeskanzlers und der Außen- und Verteidigungsministerin wie auf der Ebene diplomatischer Experten“. Man dürfe sich nicht beirren lassen, schreibt Ischinger weiter, vom russischen Bestreben, in erster Linie mit Washington zu verhandeln… Über europäische Sicherheit kann und wird nicht ohne uns, die Europäer, entschieden werden“.
Als zentrale Aufgabe nennt der erfahrene Diplomat und Politiker, dass „wir auf einen Zustand hinwirken, bei dem wir tatsächlich sagen können, dass es nicht mehr um Sicherheit vor Russland, sondern um die Sicherheit mit Russland geht. Ein sehr große Aufgabe“.
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