Die Entscheidung über die Nachfolge des britischen Premierministers Boris Johnson soll Anfang September verkündet werden. Bis dahin stimmen die Mitglieder der Konservativen Partei per Briefwahl ab, ob sie die Geschicke des Vereinigten Königreichs in die Hände von Liz Truss (46) oder Rishi Sunak (42) legen wollen. Sie, amtierende Außenministerin, er, bis vor wenigen Wochen noch Finanzminister im Kabinett Johnson, sind in dem Auswahlverfahren übrig geblieben, das an das Kindergartenspiel „Die Reise nach Jerusalem“ erinnert.
Elf Frauen und Männer hatten sich um den Chefposten beworben, als Boris Johnson seinen Rücktritt vom Parteivorsitz ankündigte. Damit einher geht der Rücktritt als Regierungschef; denn die Mehrheitspartei im Unterhaus entscheidet über die Besetzung des Premierpostens, den traditionell ihr Parteivorsitzender bekommt. Natürlich hat die Königin ein Wörtchen mitzureden, doch in aller Regel folgt sie dem Vorschlag der stärksten Partei. Die hat sich entschlossen, ihren neuen Vorsitzenden in einer Urwahl durch die Mitglieder zu küren. Wie viele das noch sind, ist nicht genau bekannt. Die Tory-Partei gibt die Zahl ihrer Parteigänger nicht preis. Sie wird auf unter 200.000 geschätzt.
Ganz schön viel Einfluss, gemessen an den gut 47 Millionen Wahlberechtigten in Großbritannien, und reichlich öffentliche Aufmerksamkeit während der sechs Wochen der Entscheidung. Das könnten die Tories für eine riesige Werbeshow in eigener Sache nutzen, doch wie es nach dem ersten TV-Duell zwischen Truss und Sunak samt der entsprechenden Begleitmusik aus beiden Lagern aussieht, ist das Gegenteil der Fall. Beide lieferten eine Vorstellung, die die Zerrissenheit der Konservativen Partei vorführte, die eigene Verantwortung für die bisherige Regierungspolitik wegwischte und keinerlei Antworten auf die drängenden Zukunftsfragen bot.
Wie hältst du es mit den Steuern? Das schien die einzige sachpolitische Frage zu sein, an der sich Sunak und Truss unterscheiden wollen. Kein Wort über das marode Gesundheitssystem, keins über die wachsende soziale Spaltung, auch das nach dem Brexit erheblich belastete Verhältnis zur Europäischen Union, der Streit um das Nordirland-Protokoll oder die schottischen Fliehkräfte waren beiden nicht der Rede wert, geschweige denn die Klimakrise. Truss verspricht der Wirtschaft Steuersenkungen, Sunak will damit warten, bis die Inflation überwunden ist. Einig waren sie sich darin, dass Boris Johnson in der künftigen Regierung keinen Posten erhalten werde. Das Gegenteil wäre eine Nachricht gewesen.
Der scheidende Premier spielt dennoch eine Rolle bei der Abstimmung der Parteibasis. Da gebe es immer noch viele Anhänger von Johnson, die Sunak seinen Rücktritt übelnähmen. Liz Truss hingegen, die schon beim überstandenen Misstrauensvotum gegen Johnson als dessen mögliche Nachfolgerin gehandelt wurde, blieb in der Deckung und gilt daher vielen als Favoritin.
Allerdings hat die entscheidende Phase gerade erst begonnen, und die Kandidatin, die sich selbst gern in die Tradition der früheren Premierministerin Margaret Thatcher stellt, hat erste Dämpfer kassiert. Nie und nimmer, so sagten es einstige Weggefährten der Eisernen Lady wie Chris Patten und Malcom Rifkind dem Guardian zufolge, hätte Thatcher in einer Phase der Inflation Schulden gemacht, um Steuern zu senken.
Das hat gesessen, und vielleicht gibt es noch den Anstoß, die Themenpalette des parteiinternen Wettstreits auszuweiten. Was sich da bisher bietet, ist eine peinliche Veranstaltung sowohl für die beiden Kandidaten, als auch für die Tories insgesamt. Sie haben abgewirtschaftet. Gewiss, die oppositionelle Labour-Partei könnte davon profitieren, wenn es 2024 zu regulären Unterhauswahlen kommt. Zu befürchten ist jedoch, dass der desolate Zustand, in dem die langjährige Regierungspartei sich präsentiert, den Verdruss an der Politik generell befördert.
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