Es ist nicht so einfach über einen Mann zu schreiben, den ich lange kenne, der ein großer öffentlich-rechtlicher Geschichtenerzähler war, der einer Generation von Journalisten angehörte, die das öffentliche – rechtliche Fernsehen geprägt haben und von denen es immer weniger gibt, was schrecklich ist. Dagobert Lindlau, Fritz Pleitgen, Gert von Paczenski, Wolf von Lojewski, Friedrich Nowottny gehören dazu, um nur einige zu nennen. Männer des vergangenen Jahrhunderts ja, die ihr Fernsehen zum wichtigsten Medium in der Bundesrepublik gemacht und die sich in der Republik, im Ausland, selbst in der DDR und in der Sowietunion herumgetrieben haben, im wahrsten Sinne des Wortes. Hör- und sichtbar in ihrer Berichterstattung. Sie waren neugierig auf Neues. Erst beim NDR als Panorama-Chef, als Redakteur beim Spiegel und später als Korrespondent in Washington, London und Ost Berlin, um nur einige Stationen zu nennen.
Und sie waren eben nicht nur Berichterstatter, sie waren auch Zeitzeugen. Peter Merseburgers Buch „AUFBRUCH INS UNGEWISSE – Erinnerungen eines politischen Zeitgenossen (DVA ISBN 978 3 42104818 )“, erst vor knapp einem Jahr erschienen, ist dafür ein großartiges Beispiel, wie Ruges „UNTERWEGS“, wie Lindlaus „REPORTER“, wie Trollers „SELBSTBESCHREIBUNG“. Sie alle blickten zurück, nicht als Privatmänner, als Zeitgenossen. Selbst im Ruhestand, was auch für Peter Merseburger galt. Seine Biografien über Kurt Schumacher und Willy Brandt, sein Buch „MYTHOS WEIMAR“ sind aus der Literatur über das Nachkriegsdeutschland ebenso nicht wegzudenken wie seine Werke über Rudolf Augstein und den ersten Bundespräsidenten der Republik nach dem Krieg, Prof. Theodor Heuss.
17 Jahre alt war er, als das Deutschland, das er kannte, ruiniert war und die meisten Teile von Europa auch. Er hörte Ernst Reuter 1948. Kurt Schumacher faszinierte ihn. Peter Merseburger – und ich merke schon an dieser Stelle, es gibt viel mehr über ihn zu sagen, zu schreiben, als es mir hier möglich ist- war ein Mann, der zuhörte, hinschaute, geduldig und keineswegs distanziert. Konzentriert. Hellwach. Ohne Angst vor Obrigkeiten. Er stellte sich den öffentlich – rechtlichen Rundfunk als ein offenes System vor. Gleich, ob es die alten Nazis betraf, die Gegner der Abtreibung, die Rote Armee Fraktion. Darüber könne man nicht berichten, hieß es oft. Doch, war seine Haltung, seine Reaktion, wir können. Er war nicht fügsam, nicht ängstlich und ertrug mit Fassung und Ironie Drohungen aus der CDU, „dass wir das intellektuelle Getue eines Herrn Merseburger endlich leid“ seien. Er überlebte die ihn ständig begleitenden Rufe der Springer-Presse, die seine Absetzung forderten oder wenigstens seine Bildschirm-Abstinenz. Hans Leyendecker berichtet, dass Merseburger hinter seinem Schreibtisch einen eingesandten Hampelmann mit seinen Gesichtszügen hängen hatte, verziert mit den Koseworten „Genosse, Stinker, Verräter“.(SZ)
Er ist ein alter Zeitgenosse geworden, bisher nur übertroffen von Georg Stefan Troller. Und er wurde einer, der die Ungeduld in seinem Medium, das Hastige, das Ungenaue beklagte: „… ich hielt mich vom Fernsehen fern – das Kommentieren sollen die Jüngeren übernehmen. Aber ich gebe zu, daß mir die Berichterstattung über das Aktuell-Politische inzwischen an, wenn auch von Notwendigkeiten diktierter Kurzatmigkeit zu leiden scheint,“ schreibt er Ende seines „AUFBRUCH INS UNGEWISSE“. Es ist sehr schwer, sich an ihn nicht zu erinnern. An diesen so freundlichen, uneitlen Mann und deswegen möchte ich, daß dieser Text nicht als ein Nachruf betrachtet oder empfunden wird. Besser an eine Erinnerung an einen großen Journalisten, der im Alter von 93 Jahren in Berlin gestorben ist.
Bildquelle: Tohma, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons