1. Einleitung
„Halb zog sie ihn, halb sank er hin“ – dieses Motto aus Goethes Gedicht „Der Fischer“ beschreibt den Beratungsstand der EU im Umgang mit den in Europa beschlagnahmten Devisenreserven der russischen Zentralbank.
Gezogen wird im G7-Rahmen, dort vor allem von den USA. Die sähen gerne, wenn die Europäer ihre Währung, den Euro, auf’s Spiel setzen. Damit würde er aus dem Wettbewerb darum, den US-Dollar vom Thron der Weltwährung zu stoßen, ausscheiden. Die USA mit nur etwa 5 Mrd. $ beschlagnahmtes Vermögen der Zentralbank Russlands können leicht für den Grundsatz plädieren, russisches Staatsvermögen habe mit dem Angriff auf die Ukraine seinen Anspruch auf Schutz verwirkt.
In Europa ist das anders. Hier geht es um viel Geld. Die EU hat berichtet, dass mehr als 200 Mrd. € bei europäischen Clearing Houses (auf deutsch „Zentralverwahrern“) liegen, davon 141 Mrd. € bei Euroclear in Belgien). Es geht zudem um eine weit weniger robuste Währung. Das Hinsinken der EU ist Ergebnis einer Verführung. Die EU benötigt dringend Geld zur Unterstützung der Ukraine – nach Ausfall der USA als Geber für die Ukraine hat sich der Bedarf enorm erhöht, der Krieg findet zudem vor der Haustür der EU-Staaten statt, bei Ausfall der staatlichen Strukturen in der Ukraine ist Europa betroffen, nicht die USA jenseits des Atlantiks. Aus Haushaltsmitteln ist das benötigte Geld für die Unterstützung der Ukraine nicht annähernd in der erforderlichen Größenordnung zu bekommen. In dieser Situation liegt nun ein güldener Schatz in der Größenordnung von mehr als 200 Mrd. € an Beständen der Zentralbank Russlands, den EU-Staaten gleich am 24. Februar 2022 festgesetzt haben. Auf den muss man doch zugreifen können, ohne rüde zu „enteignen“. Der Schutz des Eigentums gehört schließlich zu den Grundwerten des Westens. Die Enteignung findet deshalb in Salami-Taktik statt.
Präsentiert wird hier die nächste Salami-Scheibe, die der Europäische Rat bei seiner Sitzung am 12. Februar 2024 abgeschnitten hat. Es geht um eine Aktualisierung des Standes in diesem EU-internen Ringen, der in meinem Beitrag vom 22. Januar 2024 festgehalten worden ist.
2. Der Beschluss des Europäischen Rates vom 12. Februar 2024
Erst diesem Beschluss habe ich mit Erstaunen entnommen, dass die sog „Immobilisierung“ russischer Vermögenswerte bei sog. „Zentralverwahrern“ wie Euroclear in Belgien dazu geführt habe, dass der Verwahrer nun „außerordentliche Erträge erhält“ – was dem Sinn von „verwahren“ widerspricht. Wenn ich mein Geld einer Bank anvertraue und dieses beschlagnahmt wird, so fließen die Erträge weiterhin meinem Konto zu und nicht dem Konto der verwahrenden Bank.
Der Beschluss des Europäischen Rates vom 12. Februar 2024 setzt voraus, dass die Erträge der Devisenguthaben der russischen Zentralbank bereits enteignet wurden und dem Verwahrer überantwortet wurden. Der aktuelle Beschluss besagt nun, dass diese außerordentlichen Erträge dem Verwahrer nicht überlassen werden sollen, dass dieser sie vielmehr – später – abzuführen hat. Am 12. Februar wurde somit die nächste Enteignung beschlossen, nun die der europäischen Clearing Houses.
Die gewählte Sprechweise lautet: Mit dem Beschluss werde „der rechtliche Status der Einnahmen, die die Zentralverwahrer aus der Verwahrung immobilisierter russischer Vermögenswerte erzielen, präzisiert.“
Im Ergebnis müssen „Zentralverwahrer, die … Vermögenswerte der russischen Zentralbank verwahren, außerordentliche Barbestände, die sich aufgrund restriktiver Maßnahmen der EU akkumulieren, gesondert verbuchen und die entsprechenden Einnahmen getrennt verwahren …. Darüber hinaus ist es Zentralverwahrern untersagt, über die daraus resultierenden Nettogewinne zu verfügen.“
Der Sinn der Sache: Mit diesem Beschluss wird der Weg geebnet, um die erwähnten „Nettogewinne“ in den EU-Haushalt fließen zu lassen. Die so doppelt enteigneten Erträge aus den konfiszierten russischen Devisenreserven können später über den EU-Haushalt in die Ukraine-Fazilität fließen, über die der Rat und das Europäische Parlament am 6. Februar 2024 eine Einigung erzielt haben. Deren Volumen liegt bei 50 Mrd. €, davon ein Drittel (17 Mrd. €) als Zuschüsse – der Rest, 33 Mrd. €, wird als Kredit vergeben werden. Der Ertrag der Clearing Houses dürfte bei mehr als 4 Mrd. €/a liegen, das Zuschuss-Volumen in Höhe von 17 Mrd. € (für vier Jahre) dürfte damit finanzierbar sein, ohne die EU-Mitgliedstaaten zu belasten. Im Ergebnis besteht die so umstrittene „Unterstützung“ der Ukraine seitens der EU voraussichtlich allein aus einem Kredit (2/3) und Weiterleitung russischen Staatsgeldes (1/3). Geschenkt wird der Ukraine nichts.
Es bleibt allerdings noch der Konflikt mit Belgien, welches bei Euroclear auch schon auf die Vermögenserträge zugegriffen hatte und in nationaler Initiative einen Fonds aufgelegt hatte, dessen Erträge der Ukraine bilateral zugesagt worden sind. Das schöpft nun die EU ab. Wenn Belgien der Ukraine wie versprochen weiterhin helfen will, so bleiben nur Konfiskationen russischen Privatvermögens.