„Endlich“. So war unsere Reaktion, als wir im Bonner „Treppchen“ die politische Lage sondiert und einhellig festgestellt hatten, der Kanzler muss entscheiden, jetzt, es ist höchste Zeit, Scholz muss dem Lindner die rote Karte zeigen. Aufatmen in unserem Kreis, Erleichterung, dass das ewige Gezerre und Gewürge ein Ende hat, als Medien wie die SZ und der Spiegel Eilmeldungen per Email absetzen: Scholz feuert Lindner, unsere auf dem Tisch liegenden iPhones zeigen es an. Des Kanzlers Begründung teilen wir: „Um Schaden von unserem Land abzuwenden“. So heißt es in der Erklärung von Scholz, nachdem er „den Bundespräsidenten um die Entlassung des Bundesministers der Finanzen gebeten hat.“
Unserer Meinung nach hatte Lindner Olaf Scholz viel zu lange auf der Nase herumgetanzt, hat der Kanzler Führung vermissen lassen. Über das weitere Vorgehen waren wir uns einig: Der Kanzler müsse die Vertrauensfrage stellen, die er dann verliert, es muss Neuwahlen geben. Für ein konstruktives Misstrauensvotum, wie einst 1972 bei Rainer Barzel gegen Willy Brandt und 1982 bei Helmut Kohl gegen Helmut Schmidt, fehlt es jetzt an der nötigen Mehrheit, da kaum anzunehmen ist, dass die Grünen um Robert Habeck mit der FDP Lindners und Merzens CDU/CSU diesen statt Scholz im deutschen Bundestag zum Kanzler wählen würden.
Ukraine-Krieg warf alles über den Haufen
Aus und vorbei mit der selbst ernannten Fortschrittskoalition, die, das muss man ehrlicherweise sagen, im Grunde nie eine richtige Chance hatte, weil sie von Anfang unter einem unglücklichen Stern Politik machen musste. Russlands Überfall auf die Ukraine hat alles über den Haufen geworfen, hat Scholz die Politik-Agenda vermasselt. Dieser Krieg lastet auf ganz Europa, er belastet die politische Arbeit in Berlin, er hat zum Ende der Gaslieferungen aus Russland geführt, was die Energiekosten für alle im Land erheblich verteuerten, durch den Krieg sind über 1,2 Millionen nach Deutschland geflüchtet, ein Ende ist nicht abzusehen.
Der Kanzler hat gehandelt. Endlich, das haben nicht nur wir sieben Freunde gesagt, endlich, das hörten wir aus vielen Kehlen. Endlich, schrieb t-online in seinem Kommentar, ist der Spuk vorbei. Der FDP-Politiker Lindner hätte bei seinem geflügelten Wort aus dem Jahre 2017 bleiben sollen: Lieber nicht regieren als schlecht regieren. Denn vor allem er, der eitle Porschefahrer Lindner, hat schlecht regiert, hat stets zwischen Scholz, Habeck und ihm zuvor erzielte Einigungen kurz danach wieder aufgekündigt. Man kann gegen die Rentenpolitik der SPD sein, gegen das Bürgergeld des Ministers Heil, aber dann muss man seine Bedenken von vornherein vortragen und nicht erst zustimmen, um am nächsten Tag seinen Einspruch öffentlich zu machen. Das ist keine Politik, das ist Theater.
Man kann nicht einen vom Kanzler anberaumten Gipfel mit der Industrie mit einer eigenen Gegenvorstellung zu unterlaufen versuchen. Das ist kindisch. Wer ist Lindner? Seine FDP ist der kleinste Teil dieser Koalition, er wollte aber den Kurs bestimmen. Welche Arroganz! Und wenn dann dieser Lindner dem Kanzler Neuwahlen vorschlägt, als man über bestimmte von Scholz vorgetragene politische Vorhaben diskutieren wollte, damit die Ampel weiter regieren kann, musste der Kanzler handeln. Der Freidemokrat suchte schon länger nach einem für ihn und seine Partei passenden Ausgang, zu schlecht steht die FDP unter der Führung von Christian Lindner da, in sieben Landtagen ist sie nicht mehr vertreten, Umfragen zufolge würde sie auch aus dem Bundestag fliegen, wären jetzt Neuwahlen.
Volker Wissing verlässt die FDP
Dass Volker Wissing aus der FDP austritt, wie er Lindner zuvor hat wissen lassen, und vorerst Verkehrsminister bleiben will, müsste dem FDP-Chef zu denken geben. Eine Vertrauenserklärung für den FDP-Parteichef sieht anders aus. Es spricht Bände, Wissing hat Jahre in Mainz mit der SPD und den Grünen gemeinsam Politik gemacht, ohne täglichen Krach, ohne den Dauerstreit, wie er in Berlin aufgeführt wird, vor allem durch Lindner, durch seine Selbstdarstellung, die einem seit Monaten auf die Nerven geht. Dieser Mann hat nie verstanden, dass eine Koalition, das gilt für Zweier- und Dreierbündnisse, nur gemeinsam erfolgreich sein kann. Dass sie nur dann in der Öffentlichkeit akzeptiert wird, wenn sie gemeinsam eine Politik macht, die allen Bürgerinnen und Bürgern zugute kommt. Opposition in der Regierung, so wie Lindner das präsentiert hat, kann nicht funktionieren.
Lindner mag mit einem Bündnis mit der Union liebäugeln, nur es fehlt dafür die Mehrheit, legt man die augenblickliche Stärke der FDP im Bundestag zugrunde. Ich mag mir nicht ausmalen, wie die Politik mit einem Dreier-Bündnis aus Union, Grünen und der FDP ausginge. FDP und Grüne passen nicht zusammen, auch weil der FDP-Chef kein Mannschaftsspieler ist. Politik lebt vom Kompromiss, vom Akzeptieren anderer Meinungen, anderes wäre autoritäres Herrschen. In der Demokratie nicht wünschenswert. Lindner ist ein Freund des kalten Kapitalismus, soziale Politik ist ihm fremd, Umweltausgaben sind ihm zu teuer, den Soli für Besserverdienende will er abschaffen. Die Schuldenbremse soll nicht gelockert werden, auch nicht für die dringende Reparatur und Erneuerung im Bereich der Infrastruktur. Allein die am Boden liegende Deutsche Bahn braucht zig Milliarden Euro, damit sie wieder verlässlich und pünktlich fährt. Milliarden sind nötig für Hunderte von maroden Brücken in dieser Republik, ja auch Straßen müssen erneuert werden, was nicht zu Lasten der bedrohten Umwelt gehen darf. Wir müssen mit weiteren Flutkatastrophen rechnen, weltweit. Deutschland ist da nicht ausgenommen, das hat uns das Hochwasser an Ahr und Erft gelehrt.
Die digitale Erneuerung, Stichwort Fortschritt, muss endlich angepackt werden. Zum Nulltarif ist sie nicht zu haben.
Kleinkariert und verantwortungslos
Olaf Scholz hat in seiner Erklärung zur Entlassung des Finanzministers mit Lindner abgerechnet. Das war höchste Zeit. Man wusste doch schon seit Monaten nicht mehr, wer eigentlich in Berlin den Hut aufhat. Scholz hat Lindner vorgeworfen, er handle „verantwortungslos“. Recht hat der Sozialdemokrat. Der FDP-Chef agiere, so Scholz weiter, „kleinkariert“, stimmt. Lindner begehe „Vertrauensbruch“. Auch richtig. Lindner gehe es nur um die „eigene Klientel“, das „kurzfristige Überleben seiner eigenen Partei“ und „nicht um das Land“. Und: „Ein solches Verhalten will ich unserem Land nicht zumuten.“
Der in der öffentlichen Gunst längst zu Recht abgestürzte Bundesfinanzminister-Ex müsste ich hinzufügen- wollte den Kanzler ganz offensichtlich erpressen, er hatte nach all dem Zögern und Zaudern von Scholz wohl nicht damit gerechnet, dass dieser irgendwann sich dieses Verhalten des Liberalen nicht mehr gefallen lassen würde. Was hatte Lindner denn erwartet? Dachte er etwa, Scholz würde sein Wirtschaftspapier annehmen, das inhaltlich doch ein Scheidungspapier und unannehmbar war für einen Sozialdemokraten? Scholz hat die Querschüsse Lindners einfach satt. Und erstmals seit der Zeitenwende-Rede sprach der Kanzler Klartext, er klang richtig sauer, angewidert von seinem eitlen Minister. Ich kann das verstehen.
Ja, Scholz hätte früher handeln müssen, viel früher dem Freidemokraten klar machen müssen, wer Koch und wer Kellner ist. Der Hamburger hat es versäumt, die einem Kanzler zustehende Richtlinienkompetenz aufzuzeigen, durch Regieren, durch Präsenz, durch Auftritte und Reden, klare Kante, meinetwegen auch durch einen Wumms, wie es sonst schon mal klang in den Worten von Scholz. Er wollte ein Regierungschef für mehrere Legislaturperioden werden, am Ende von drei Regierungsjahren muss Scholz feststellen, dass er gescheitert ist als Kanzler. Kurt-Georg Kiesinger(CDU) waren auch nur drei Jahre vergönnt als Kanzler der ersten Großen Koalition, er wurde 1969 von Willy Brandt abgelöst, weil Walter Scheel und die FDP der neuen Politik des großen Sozialdemokraten folgten. Wir wollen mehr Demokratie wagen, war so ein Satz von Brandt, der die Aussöhnung mit dem Osten Europas anstrebte. Ludwig Erhards Kanzlerschaft dauerte auch nur drei Jahre(1963 bis 1966), glücklos regierte der ehemalige Wirtschaftsminister, der als Kanzler Konrad Adenauer folgte, was der Alte aus Rhöndorf diesem nie zutraute und dies auch öffentlich machte. Erhard legte sich mit Intellektuellen wie Günter Grass und Rolf Hochhuth an, er nannte diesen, wohl weil dieser seine Wirtschaftspolitik kritisierte, einen „Pinscher“.
Kanzler-Favorit ist Friedrich Merz
Scholz will die nächsten Wochen mit einer rot-grünen Minderheitsregierung die nötigen Vorhaben vom Tisch bringen und im Januar die Vertrauensfrage stellen. Die Neuwahlen sollen dann Anfang März stattfinden. Scholz will als Spitzenkandidat der SPD in den Wahlkampf ziehen gegen den Kanzlerkandidaten der Union, Friedrich Merz, der allen Umfragen zufolge mit über 30 Prozent-Zustimmung als klarer Favorit ins Rennen geht. Mit welcher Partei ein Kanzler Merz regieren wird, ist heute unklar. Wenn die SPD sich ein wenig erholen sollte, könnte es ein Bündnis aus Union und SPD geben. Nach heutigem Stand bleiben die Grünen zu schwach für eine Allianz unter Führung der Union, aber Merz und die anderen Demokraten müssen mit einer erstarkten AfD rechnen und dem Bündnis Sahra Wagenknecht-BSW-, was das Regieren nicht erleichtern wird. Dazu kommt, dass in München ein CSU-Chef Ministerpräsident ist, der lieber selber in Berlin regieren würde: Markus Söder.
An Krisen ist kein Mangel, da ist der Ukraine-Krieg, da ist der Krieg im Nahen Osten, da stehen Deutschland und Europa angesichts des künftigen US-Präsidenten Trump vor riesigen Herausforderungen, die die ohnehin angeschlagene deutsche Wirtschaft belasten werden. Da ist eine handlungsfähige Regierung in Berlin gefragt, ein Kanzler, der entschlossen regiert und einer Koalition vorsteht, die gemeinsam handelt. Auf Friedrich Merz, wenn er denn gewählt wird, kommt einiges zu, ob Olaf Scholz dann noch im Bundestag sitzt, sollte die SPD in der Opposition landen, ist fraglich, aber nicht entscheidend.
Scholz muss nicht die Vertrauensfrage stellen. Er muss nicht vorgezogene Neuwahlen herbeiführen. Er kann auch probieren, mit der Minderheitsregierung bis zum Ende der Legislaturperiode durchzuhalten, mit wechselnden Mehrheiten für jedes Gesetz. Möglicherweise kann auch der Bundeshaushalt stückweise abgestimmt werden, mit wechselnden Mehrheiten. Vorgezogene Neuwahlen haben eine Tendenz zur Selbstzerstörung des Parlaments. Sie zeigen, dass die Parteiführungen die für vier Jahre getroffene Entscheidung der Wähler nicht respektieren. Das reiht sich ein in die weltweit zu beobachtende Tendenz, demokratische Wahlergebnisse nicht mehr zu respektieren und demokratisch gewählte Präsidentinnen und Regierungen gewaltsam zu stürzen.