Gelegentlich hilft der Blick von außen auf die Zustände dieser Bundesrepublik, damit man sich ein anderes Bild machen kann von Deutschland. „Land des Lächelns“ überschreibt die SZ den Aufmacher ihrer Feuilleton-Seite. Es ist die Schilderung der Schriftstellerin A. L. Kennedy aus Schottland. Sie war gerade auf einer Lesereise durch die Schweiz und Deutschland, Holland und Frankreich und räumt freimütig ein, „Sie jetzt besser zu kennen“, gemeint uns, die Leserinnen und Leser der „Süddeutschen Zeitung“. Die Selbstwahrnehmung hierzulande mag düster sein, so die Unterzeile der SZ-Geschichte. Doch, wer aus dem Vereinigten Königreich komme, staune hier über glückliche Menschen und üppige Supermärkte. Nicht zu vergessen der funktionierende Staat, ein Rechtsstaat, der auf den Ruinen des Zweiten Weltkrieges errichtet wurde, einen besseren gab es nie in der deutschen Geschichte, was ich als über 80jähriger Bürger dieses Staates seit längerem betone. Nichts ist so gut, dass man es nicht noch verbessern könnte, mehr soziale Gerechtigkeit, ja, das ist wahr, die Reichen müssten stärker zur Kasse gebeten werden. Aber sonst? Ja, ein Land des Lächelns.
Um noch bei dem SZ-Beitrag-aus dem Englischen übersetzt- zu bleiben: Die schottische Autorin gibt uns, den Deutschen, den dringenden Rat, nicht auf die Faschisten reinzufallen und deren falsche Versprechen. „Als Schriftstellerin habe ich zuletzt immer öfter für Sie(sie meint uns Europäer) geschrieben, für Europa, einen Ort und eine Idee, die abzulehnen man das Vereinigte Königreich verführt hat.“ Verführt, hat sie die Lügen genannt, mit denen die Austritts-Befürworter einst die Briten zum Nein bewegten. Und Kennedy blickt mit Neid und Bewunderung auf das Deutschland, das sie kennengelernt hat auf ihrer Reise. Jetzt biete eine weitere Massenmigration Gelegenheit zum Lernen, zur Heilung und zum Aufbau.“ Aber sie schiebt auch eine Warnung hinterher, weil diese Migration „auch eine Gelegenheit für die Rechtsextremen“ sei, „zu spalten, grausame Inkompetente in die Regierung zu hieven und Sie zu zerpflücken.“ Sie warnt und mahnt uns vor den Populisten, denen man nicht nachgeben dürfe, denen man nicht erlauben dürfe, „die Moral zu verzerren, die Realität zu untergraben und zu tun, als gäbe es zum jedem Argument ein ebenso legitimes Gegenargument, dann bekommt man Scheiße“. Und weiter die Schottin Kennedy: „Wenn man einer hypnotisierten Presse erlaubt, Faschisten Sauerstoff zu geben; wenn man diese Faschisten Macht sammeln lässt an schäbigen Orten, wo sich Spionage, Mafiamentalität und Narzissmus treffen, dann bekommt man Scheiße. Endlos viel Scheiße!“
Und Sie kriegen Tod, warnt sie uns. „Menschen ertrinken in kleinen Booten, verhungern zu Hause, bringen sich um, erliegen unbehandelten Krankheiten, sterben in Gefangenenlagern und Polizeizellen. Wer einen Faschisten wählt, der wählt den Tod. Ihre glänzende Gewissheit, ihre Versprechen, sie sind Scheiße und Tod“.
Ich hätte das nicht gedacht
Die Rechtsextremen gewinnen an Zugkraft. Man nehme die neueste Umfrage, die die AfD bei 22 Prozent sieht, nur noch drei Punkte hinter der CDU mit 25 Prozent und vier Punkten vor der SPD, der Regierungspartei mit Kanzler Scholz, dessen Ampel-Regierung das Land gerade ziemlich heil durch den Winter gebracht hat. Vor der SPD, der ältesten deutschen Partei, die 1933 als einzige Partei Hitler ihre Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz verweigerte, deren Mitglieder wie die Kommunisten von den Nazis gejagt wurden, gefoltert, verprügelt, in KZs gesteckt und umgebracht. Ist das, war das alles nichts? Die Faschisten sind wieder auf dem Vormarsch. Es tut weh. ´Wo bleibt der Aufschrei der Demokraten? Empört Euch, könnte man Stefane Hessel zitieren, der als 90Jähriger die Jugend und Alten aufrief, sich zu wehren gegen die Macht der Banken und zu kämpfen für Menschenrechte. Hessel war ein Anti-Faschist, ein Deutsch-Franzose, dem aus den KZs in Buchenwald und Bergen-Belsen die Flucht gelang. Der später für die UNO arbeitete. Empört Euch, gewaltfrei, demonstriert. Hessel hätte zum Widerstand gegen die Faschisten aufgerufen. Er starb 2013 im Alter von 95 Jahren.
Nein, ich hätte mir das nicht vorstellen können, dass die Braunen wieder in die Parlamente einziehen, deren Vorläufer uns den Zweiten Weltkrieg eingebracht hatten mit über 60 Millionen Toten, die verantwortlich waren für den Zivilisationsbruch, die Ermordung von sechs Millionen Juden. Und jetzt marschiert eine Partei wie die AfD nach vorn, deren Ehrenvorsitzender Gauland die Nazi-Zeit als Vogelschiss abgetan hat, als wäre das nichts gewesen. Und deren Chef in Thüringen, Björn Höcke, die Holocaust-Gedenkstätte am Brandenburger Tor als Mahnmal der Schande bezeichnet hat. Und dieser Höcke gilt heute als der starke Mann der AfD, der auf dem jüngsten Parteitag der Rechten sagte: „Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann.“ Wo bleibt der Aufschrei der Demokraten in Deutschland? Ist uns die Fehl-Entwicklung Großbritanniens nach dem EU-Austritt nicht Warnung und Mahnung genug? Der Abstieg des Vereinigten Königreichs, wie ihn die Schriftstellerin Kennedy oben beschrieben hat, ist das nicht abschreckend genug?
Deutschland lebt von der EU, seit Jahrzehnten. Und es lebt gut davon, sehr gut sogar. Die Menschen wissen das und neigen dennoch zu über 20 Prozent in Umfragen der AfD zu, die diese EU zerstören will. Ohne EU hätten wir wieder Grenzen, die uns das Leben erschweren, das Studium, das Reisen, das Arbeiten, den Austausch von Gütern. Die EU hat uns das Leben erleichtert, alles andere sind Vorurteile, Fakes. Wenn diese Europäische Union zerplatzen würde, geriete die Balance in Europa auseinander, die deutsch-französische Freundschaft, ein Garant für den Frieden nach 1945, wäre in Gefahr wie die politische Stabilität. Schon vergessen, dass die Angst der übrigen Europäer vor einem zu großen Deutschland mit der EU verschwand? Deutschland allein, ohne eingebunden zu sein in das europäische Vertragswerk, könnte plötzlich wieder zu groß, zu stark werden für Polen, die Tschechen, die Franzosen.
Gefahr für die Demokratie
Das Ganze ist längst kein Spiel mehr, diese AfD ist eine Gefahr für unsere parlamentarische Demokratie. Es geht um viel, wenn nicht schon bald um alles. Man lese in der „Süddeutschen Zeitung“ und in der „Neuen Westfälischen“ nach, was der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz, als seinen Auftrag bezeichnet hat: „Jeden Tag öffentlich machen, was in den Aussagen der AfD an Menschenverachtung zum Ausdruck kommt“. Und weil Polenz das in den sozialen Medien tut, darunter bei Twitter, kriegt er das zurück. Von Gender-Gegnern, Agitatoren, irgendwie Benachteiligten oder denen, die sich so fühlen, von Putinisten, Extremisten, Bürgern, die wegen der EU die Verschlüsse nicht mehr von den Plastikflaschen lösen können. Und dann sind darunter jene, die man eigentlich gerichtlich belangen müsste, kriegte man sie denn, aber sie agieren ja anonym. Also user-willi als Beispiel: „Ich denke auch, das der erste Ofen der Polenz bekommt.“ Rechtschreibfehler sind im Netz normal. Polenz wird im Internet als Problem dargestellt, das sich irgendwann „biologisch löst.“
Einer wie Ruprecht Polenz ist ein Mann mit Haltung. Dass sein CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz den Versuchsballon startete, die Brandmauer der Union zur AfD auf kommunaler Ebene zu testen, hat Polenz mehr als verärgert. Aus dem Sommer-Urlaub heraus teilte er der Community mit: „Mit Mitgliedern einer faschistischen Partei gestalten Christdemokraten GARNICHTS“: So macht man das, klare Kante, dann muss man auch nicht zurückrudern. Ich würde den Satz von Polenz noch erweitern: „Mit Mitgliedern einer faschistischen Partei gestalten weder Christ-, noch Sozial-, noch Freidemokraten, und auch keine Grünen- und auch keine Linken-Demokraten GARNICHTS“: Polenz geht noch weiter, wie er das im Gespräch mit der „Neuen Westfälischen“ betonte: wenn ein Landesverband der CDU im Osten nächstes Jahr eine Koalition mit der AfD plante, müsste die Bundes-CDU den Verband ausschließen. Im anderen Fall werde die CDU „nicht nur mich, sondern wahrscheinlich ein Drittel der Mitglieder verlieren.“ Denn dann wäre eine Grenze überschritten.
Mit klarer Kante haben sie in Münster die AfD klein gehalten. Dort kam die faschistische AfD bei der letzten Bundestagswahl auf schlappe 2,87 Prozent, bei der Landtagswahl 2022 erreichten sie nur 2,3 Prozent. Diese Zahlen hatte Polenz der Öffentlichkeit mitgeteilt, als die blaue Welle im Juli ihren Höhenflug nahm. Und prompt erhielt er Antwort von einem sogenannten Parteifreund aus Sachsen-Anhalt: Sven Rosomkiewicz, Mitglied des Landtags. Münster sei vielleicht kein so tolles Beispiel, versuchte der CDU-Mann aus Sachsen-Anhalt die AfD-Zahlen anders zu werten. Münster, Dom-Stadt, gut bürgerlich, wenn man so will begütertes Bürgertum, 65000 Studentinnen und Studenten bei einer Einwohnerzahl von 314000, so groß wie Bonn. Oder klein, wie man will. „In dieser Stadt wurden die „linksgrünen Ökofaschisten bei der Landtagswahl 2022 mit 32,5 Prozent stärkste Kraft.“ Hat der CDU-Mann aus Sachsen-Anhalt gesagt. Ökofaschisten nennt man in bestimmten Kreisen die, die sich mit Klimaschutz befassen. “ Und einer wie Polenz trennt hier, er weist darauf hin, dass die faschistische AfD mit ihren Methoden unsere Gesellschaft spalten und die Grundlagen unserer Demokratie angreifen wolle. Rosomkiewicz hat später den Begriff in Ökofetischisten verändert, aber das ändert kaum etwas. Wir müssen sprachlich schon umsichtiger vorgehen und nicht den Faschisten nachlaufen.
Ja, die Demokratie ist gefährdet. Was ich vermisse, ist das, was wir mal in den Jahren der Regierung Schröder(SPD) hatten, als er zusammen mit dem Präsidenten des Zentralrat der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, nach Anschlägen auf jüdische Gebäude auftrat und den Aufstand der anständigen Deutschen einforderte. Wo eigentlich bleibt dieser Aufstand der Anständigen gegen die AfD? So wie wir das vor Jahren in Bonn und Münster hatten, als Pegida mit Demonstrationen in den Städten drohte und kläglich scheiterte, weil mehrere Tausend Bürgerinnen und Bürger ihnen die rote Karte zeigten. Sie bewiesen Haltung gegen diese Rechten, Faschisten und andere Menschenfeinde.
SPD muss in die Problem-Viertel
Ich weiß, dass es zum Beispiel im Ruhrgebiet Problemzonen gibt, die sich abgehängt fühlen. In Essen-Karnap ist das so, in Essen-Altenessen vielleicht, es gibt Ecken in Duisburg und anderswo. Dort, wo früher die SPD gewählt wurde, hat sich inzwischen die AfD breit gemacht. SPD-Mitglieder sind enttäuscht zur AfD gewechselt. Die inhaltlichen Gründe sind oft schwer auszumachen, weil die AfD ja inhaltlich so gut wie nichts bietet, sie schürt den Hass, sie hetzt gegen das System. Und so ist es oft ein Gefühl, das manche Leute eher der AfD die Stimme geben wollen, weil sie dort ihre Heimat gefunden haben. So eine Seite-3-Geschichte in der SZ am Wochenende, wo sich die Macher der angesehenen Zeitung aber mal fragen müssten, ob sie mit einer derartigen einseitigen Story die faschistische AfD, wie sie Polenz nennt, nicht aufwerten, gesellschaftsfähig machen. Richtig ist an der Kritik der Parteien, dass sie nicht mehr präsent sind in den Problem-Vierteln der Städte, sondern der AfD das Feld überlassen haben. Da gebe ich dem früheren SPD-Chef Sigmar Gabriel Recht, der mal sagte, die SPD müsse dahin gehen, wo es weh tue, wo es stinke.
Man kann nicht oft genug daran erinnern. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat mehrfach auf die Gefahren für unsere Demokratie hingewiesen. Sie sei kein Selbstläufer, hat er betont, auch wenn es die beste Regierungsform sei, die Deutschland je gehabt habe und habe. Die Demokratie, hat der Bundespräsident gesagt, brauche Demokraten, die sie verteidigen. Menschen mit Haltung, Zivilcourage. Ruprecht Polenz sieht das ähnlich. Der 77Jährige steht ja auch im Gegenwind, weicht nicht und hält dagegen. Man könnte auch, wie das die SZ in ihrer tief greifenden Seite-3-Geschichte tat, mit Polenz andere Warner und Mahner der Republik erwähnen wie Hildegard Hamm-Brücher, Gerhard Rudolf Baum, Hans-Jochen Vogel, den älteren Heiner Geißler. So unterschiedlich sie waren, eines hielt sie zusammen: Nie wieder Faschismus! Oder wie es im Namen der Aktion in Münster steht: Keinen Meter den Nazis!
Halt, ruft jemand, nicht alle Wähler der AfD sind Faschisten. Wenn das so ist, ist die Gegenfrage erlaubt: Warum wählen Sie dann eine faschistische Partei?! Nein, so leicht kommen die Sympathisanten der Rechten nicht mehr davon. Sie müssen merken, dass es unanständig ist, was sie tun. Mein Europa, meine Bundesrepublik sind mir wichtiger als die Parolen der Faschisten, sie wollen das Bewährte zerstören.
Es ist schon kurz vor Zwölf, muss man die Lage im Land beschreiben. So weit ist es gekommen, dass wir die Lage nicht mehr schönreden können. Passt bloß auf! heißt der Titel der Seite-3-Geschichte in der SZ. Soll später niemand sagen, das haben wir nicht gewollt und nicht gewusst. Letzter Satz von der schottischen Schriftstellerin Kennedy: „Sie und ich befinden uns in einem Informationskrieg, der ebenso verzweifelt und existenziell geführt wird wie der Konflikt in der Ukraine und an dem viele derselben Akteure beteiligt sind. Großbritannien begann seinen Krieg zu verlieren, als wir die Hoffnung verloren, als wir der Lüge zustimmten, dass alle Politiker gleichermaßen schlecht sind. Bitte lassen Sie uns Ihnen eine Lehre sein- wiederholen Sie nicht unsere Fehler. Es sind so dumme Fehler.“